Triggerwarnungen. Ein Thema, bei dem sich die Meinungen in zwei Lager teilen: „Ja, bitte“ und „So ein Quatsch“. Ich persönlich bin tatsächlich nach anfänglichen Zweifeln ein großer Fan von Triggerwarnungen oder Content Notes. Beides wird vor Artikel, Posts oder Bilder gesetzt, die potentiell psychische Symptome und als negativ empfundene Emotionen auslösen können. Triggerwarnungen („TW“ – eine Warnung vor dem Inhalt) sind dabei stärker als Content Notes („CN“ – ein Hinweis auf den Inhalt). Aber wie sinnvoll ist das überhaupt?
Ein jeder Mensch hat Trigger, egal, ob psychisch krank oder nicht. Wir alle haben im Laufe unseres Lebens Dinge erfahren, die wir lieber vergessen möchten, die sich aber fest in unser Gehirn verankern mussten. Wenn uns jetzt etwas daran erinnert – ein Geruch, ein Geräusch, ein Wort, ein Bild – dann spüren wir den Schmerz von damals. Das ist nicht schön.
Bei Personen mit psychischer Erkrankung ist das alles noch einen Ticken stärker. Wenn wir getriggert werden, fallen wir in Symptome – Dissoziationen, depressive Gedankenschleifen, verstärkte Angstgefühle oder Zwangsverhalten. Das ist nicht nur unschön, sondern kann auch gefährlich werden. Deshalb lernen wir in der Therapie zwei Dinge: Trigger selbst abmildern (zum Beispiel durch Skills) und auf Trigger rechtzeitig reagieren, sie also rechtzeitig erkennen, um überhaupt gegensteuern zu können.
Trigger sind dabei hochgradig individuell, eben je nachdem, welche Ursachen und Auslöser es für die Erkrankung gab. Hinter jeder psychischen Erkrankung steckt ein starkes negatives Erleben, das mit dem Gefühl von Kontrollverlust und Ohnmacht einherging. Wenn jetzt etwas daran erinnert, können wir in unserem Genesungsprozess sehr weit nach hinten geworfen werden.
Wenn Trigger aber so unterschiedlich und subjektiv sind, können dann Triggerwarnungen überhaupt sinnvoll sein? Denn dann müsste ich ja vor allem warnen! Klar, wenn ich schreibe: „Ich bin heute bei schönstem Sonnenschein durch den Wald gelaufen“, dann kann das jemanden triggern, der*die zum Beispiel im Wald überfallen wurde. Aber es ist ein Unterschied, ob ich potentiell wenige Personen triggere, oder „krasse“ Themen anspreche, bei denen ich mir sicher sein kann, dass sie viele Betroffene zurück ins Trauma katapultieren. Klassische Beispiele: Körperflüssigkeiten, Gewalt, Missbrauch, Essen, Geburt, Enge. Es gibt Bereiche, bei denen ich mir sicher sein kann, dass sie bei anderen zu starken negativen Gefühlen führen können. Eine einfache Frage, die man sich da stellen könnte: „Würde dieses Motiv für einen Horrorfilm taugen?“ Spinnen, Schlangen, dunkle Räume, fremde Menschen, wir kennen das doch alle. Das macht Angst.
Tatsächlich ist ein Leben mit einer psychischen Erkrankung vergleichbar mit einem Horrorfilm. Wer jetzt denkt: „Himmel, jetzt überdramatisiert sie aber!“, lest bitte weiter. Man weiß nie, wann der nächste Trigger aus seinem Versteck springt und laut „Buh!“ ruft. Das ist eine Existenz in dauernder Habachtstellung mit unvorhersehbarer Entladung der Spannung. Das ist, als würde dir jederzeit jemand einen Stromschlag ins Hirn verpassen können und du weißt nicht, wann es das nächste Mal passiert. Natürlich tust du alles, um das zu verhindern oder wenigstens vorhersagen zu können. Warum kann man sich selbst nicht kitzeln? Weil das Gehirn die eigenen Bewegungen bereits vorplant und den Reiz ausblenden kann. Danke, Hirn! Auf negative, unangenehme Reize, die vorangekündigt werden, kann man sich einstellen. Das wäre so, als würde im Horrorfilm eine Stimme aus dem Off sagen: „Da steht eine Person hinter dem Vorhang und kommt gleich herausgesprungen.“ Nervenkitzel gleich Null? Gut so.
Jetzt ist es natürlich so, dass ich nicht jederzeit vor allem warnen kann. Gerade im echten Leben ist das fast nicht möglich. Wenn ich ein Problem mit roten Körperflüssigkeiten habe und jemand bekommt neben mir Nasenbluten, dann konnte das keiner von uns vorhersagen und dann bin ich auch nicht böse. Wenn ich aber weiß, dass jemand empfindlich auf ein bestimmtes Thema reagiert, und ich das bewusst anspreche, kann ich es vorher ankündigen. Oder es gleich ganz sein lassen. Ich kenne meistens die Menschen, mit denen ich rede. Ich weiß zumindest bei Freunden und Verwandten, welche Themen für sie unangenehm sein könnten und spare sie bewusst aus. Wenn die Person von sich aus darüber sprechen möchte, bin ich dabei. Aber ich dränge niemandem etwas auf, bei dem ich weiß, dass es der*dem Anderen unangenehm sein könnte.
Meine Ärzt*innen sind da vorbildlich, allerdings eben auch alle eingeweiht in meine Erkrankung. Sie kündigen jede ihrer Handlungen an und fragen damit indirekt, ob das gerade für mich in Ordnung ist. Damit kann ich mich auf die Berührungen einstellen, ich weiß, was passiert, ich kann mich aktiv um mich selbst kümmern und mich beruhigen mit „Das kenne ich schon“ und „Das tut nicht weh“. Dabei ist mein Körper auch viel entspannter, denn ich weiß ja, was kommt. Ein entspannter Körper bedeutet auch eine entspannte Psyche und damit weniger Verspannungen, gleich weniger Schmerzen und weniger Erschöpfung danach. Durch das Ankündigen ihrer Handlungen sprechen meine Ärzt*innen mehr oder weniger eine Triggerwarnung aus.
Durch Triggerwarnungen kann ich einschätzen, was kommt. Vor jeder Achterbahn steht ein Hinweisschild mit den Worten: „Bei der Fahrt mit dieser Bahn werden Sie mit dem Vielfachen Ihres eigenen Körpergewichts belastet“, gefolgt von: „Nicht fahren, wenn Sie dieses, jenes oder sonstiges haben.“ Ich sehe oft Menschen vor diesen Schildern stehen und grübeln, ob sie das jetzt echt machen wollen oder nicht. Manche entscheiden sich gegen eine Fahrt. So ähnlich ist es mit Triggerwarnungen. Wenn ich oberhalb eines Posts, Artikels oder Bildes eine entdecke, kann ich in mich gehen und mich bewusst fragen, ob ich für den Rest stabil genug bin. Das eine ums andere Mal hätte ich wohl eher auf die Triggerwarnung hören sollen, das wurde mir im Nachhinein klar. Heute halte ich mich daran: Bin ich stabil genug für dieses Thema?
„Dann müssten die Staffeln von ‚Game of Thrones‘ ja gespickt sein mit Triggerwarnungen! Und bei jedem Buch müsste in jedem Kapitel schon am Anfang stehen, was passiert! Dann ist doch die ganze Spannung weg!“ Puh, das sind viele Aussagen auf einmal.
Erstens: Wenn ich bestimmte Serien schaue oder bestimmte Bücher lese, dann rechne ich mit bestimmten Dingen. Nach den ersten zehn Minuten von „Game of Thrones“ weiß ich, dass Köpfe rollen werden und ich nicht aus Versehen die neueste Folge von „Benjamin Blümchen“ schaue. Genauso verhält es sich mit bestimmten Genres, sowohl bei Büchern, als auch bei Filmen und Serien. Schon mal einen Klappentext oder eine Filmbeschreibung gelesen? Das ist faktisch auch eine Triggerwarnung. Wenn da steht „Sie wurde von einem Mann verfolgt“, dann lese ich das Buch nur, wenn ich stabil genug dafür bin. Niemand leiht sich eine DVD aus (Ja, ich stamme aus einer anderen Zeit, in der es noch Videotheken gab) über süße Hundewelpen und landet in einem Splatterfilm.
Zweitens: Wenn das doch passiert, sollte der/die Autor*in sich schämen. Häufig werden Gewaltszenen nämlich wirklich absolut überflüssigerweise eingesetzt, um eine saulangweilige Handlung irgendwie zu pushen. Das ist beschämend für alle guten Bücher und Filme da draußen. Und wenn es in dem ganzen Buch um eine harmonische Liebesbeziehung geht, in der plötzlich absolut unangekündigt etwas Schlimmes passiert, dann ja, kann gerne eine Triggerwarnung erfolgen. Es muss ja nicht konkret über dem Kapitel stehen („Vorsicht, auf den nachfolgenden drei Seiten passiert dieses oder jenes!“), ein allgemeiner Hinweis („Gewaltszenen!“) auf dem Buchrücken reicht. Das nimmt keine Spannung raus, ist aber eine wichtige Information für viele traumatisierte Menschen.
„Wenn da aber nur ‚TW Missbrauch‘ steht, weiß ich ja gar nicht, was darauf folgt!“ Naja, den genauen Inhalt des Posts, Artikels oder Bildes kenne ich damit nicht und vielleicht wäre er auch gar nicht so schlimm. Aber ich weiß schon mal, dass es grob um Missbrauch geht und kann für mich entscheiden, ob ich gerade sowieso schon eine Krise durchmache und mich damit noch zusätzlich belasten möchte oder ob ich das nicht will.
Triggerwarnungen sind vor allem sinnvoll bei eher negativ formulierten Inhalten, konkreten Beschreibungen von Situationen oder expliziten Bildern. Es hilft ungemein, sich den eigenen Post oder Artikel noch mal durch den Kopf gehen zu lassen und nachzuspüren, was der mit einem selbst macht. Wühlt er auf? Dann sollte eine Triggerwarnung davorstehen. Könnte eine spezifische psychische Erkrankung getriggert werden (zum Beispiel Zwangs-, Essstörungen oder Suchterkrankungen)? Dann sollte eine Triggerwarnung davorstehen. Wie gesagt, man kann sie nicht alle retten, aber man kann gegebenenfalls darauf vorbereiten, was kommt. Der Rest liegt in der Verantwortung der lesenden Person.