12 Monate Yoshi

Ein Jahr Yoshi. Wobei ich dich nur noch so nenne, wenn du was ausgefressen hast (oder genau das planst). Wenn ich dich zum Beispiel ermahne, dass du keine Hasenköttel futtern sollst. Oder dass du jetzt wirklich herkommen sollst. Dann bist du Yoshi. Sonst bist du eigentlich nur der Muckel. Oder Mucki. Mucki nenne ich dich, wenn ich dich zum Futtern rufe (als würdest du das jemals verpassen). Mucki flüstere ich, wenn ich dir einen Gute-Nacht-Kuss zwischen deine Schlappohren gebe. Mucki bist du, wenn du dich bei deiner Arbeit konzentrieren sollst.

Du bist ein Assistenzhund, dementsprechend groß waren die Erwartungen an dich. Anfangs klappte das irgendwie nicht so. Da dachte ich: „Das kann ja was werden.“ Dich hat es kurz gesagt nicht die Bohne interessiert, wie es mir geht und ob ich Symptome habe. Ich war oft enttäuscht, las immer wieder Berichte über Hunde, die ihren Frauchen und Herrchen alles Mögliche anzeigen konnten und fragte mich insgeheim, ob du keine Lust hast oder es wirklich einfach nicht kannst.

Dabei warst du am Anfang mit etwas ganz anderem beschäftigt: Ankommen. Du wurdest mitten in der Pubertät in eine komplett neue Umgebung geworfen (ein denkbar schlechter Zeitpunkt, denn gerade dann braucht man feste Bezugspersonen). Du warst beschäftigt mit Erwachsen werden und Stöcke angeln aus dem Fluss. Es war meine Aufgabe, dich dort gut zu begleiten und auch mal ein Auge zuzudrücken, wenn du deine fünf Minuten hattest, die gerne auch mal ein paar Tage anhalten konnten.

Der Dank kommt jetzt, viele Monate später. Wenn du mir deine Plüschtiere bringst, wenn ich traurig bin. Wenn du dich an mich kuschelst, weil du spürst, dass ich das gerade brauche. Wenn du mich mit deinen warmen braunen Augen anschaust und förmlich sagst: „Keine Sorge, das wird schon wieder.“

Du hast in diesen 12 Monaten so unglaublich viel gelernt. Ich meine nicht, dass du deine Kommandos inzwischen perfekt beherrschst (mit Leine, ohne Leine, aus der Nähe, aus der Ferne, müde und hellwach), sondern, dass du sie auch verstehst. Du weißt, dass du mir wirklich helfen kannst, wenn du eng im Fuß läufst oder dich im Supermarkt hinter mich setzt. Du tust es nicht mehr nur für die Leckerlis (wobei die natürlich ein nettes Beiwerk sind), du tust es für mich.

Wir haben in den 12 Monaten gelernt, uns aufeinander abzustimmen. Ich konnte erkennen, was ich brauche und was du mir anbietest – und dass das erstaunlich gut zusammenpasst. Ich hatte einen genauen Plan im Kopf, was du alles können sollst und wie genau das aussehen muss. Dabei kannst du Sachen, die für mich viel besser sind. Das Anzeigen von Symptomen, das wir seit kurzem aufbauen, ist da das beste Beispiel. Ich wollte, dass du mich anstupst. Dir war das nicht genug und als du mal nicht sofort deine Belohnung bekommen hast, bist du mich angesprungen. Wir hatten kurz vorher gelernt, wie du Männchen machen kannst und wie viel Spaß dir das macht. Jetzt machst du Männchen gegen mein Bein, wenn du etwas bei mir bemerkst. Das ist viel besser, weil ich Anstupsen allein in manchem Zustand gar nicht bemerke, das Anspringen aber immer.

Wir sind ein Team geworden. Eine*r bietet etwas an und der*die andere reagiert darauf. Es ist ein Spiel geworden, ein vertrautes Miteinander. Ich glaube, wenn uns Fremde in manchem Moment beobachten würden, die würden uns für total bekloppt halten. Aber ehrlich, nichts macht so viel Spaß, als sich mit einem Labbi um einen Maisstrunk zu duellieren oder zusammen durch den Wald zu rennen.

Dabei bist nicht nur du für mich da, sondern ich auch für dich. Ich habe, bevor du in unser Leben kamst, immer wieder gesagt, dass es mir guttun würde, mich um jemanden zu kümmern. Es hat viel mit Verantwortung zu tun, aber Verantwortung kann auch mutig und stark machen. Ich bringe dich zum Tierarzt, wenn du eine Impfung brauchst. Ich bestelle rechtzeitig dein Futter nach, damit du dahingehend nicht auf dem Trockenen sitzt. Und ich murmele dich in den Schlaf, wenn du keine Ruhe finden kannst. Ja, auch Hunde haben Albträume und müssen mal ganz fest an Mami gekuschelt schlafen.

Du bist aber auch ein sehr individueller Charakter. Das sagen alle, die dich kennenlernen: „Sowas hab ich ja bei einem Hund noch nicht gesehen.“ Zum Beispiel, dass dein Plüschtier immer mit in den Garten kommen muss, wenn wir zum Pinkeln rausgehen. Auch, wenn du den Pinguin oder Ernie erst mal fünf Minuten suchen musst. Ich suche ja mit. Gefunden haben wir sie immer, egal, wo du sie abgelegt hast. Alle, die dich kennen, sagen auch, dass du sie mit deinem Blick verzaubern kannst. Ich bin mir sicher, das tust du. Du bist ein Hund, den man nie wieder vergisst, wenn man einmal mit dir zu tun hatte.

Du bist nicht perfekt. Niemand ist das. Ich weiß nicht, wie oft ich dir schon den Hals umdrehen wollte, weil du Wildschweinkacke fressen musstest, obwohl ich dich schon Yoshi genannt habe. Manchmal bist du ein unglaublicher Sturkopf. Vor allem bist du aber sehr sensibel. An der Leine zu ziehen, beeindruckt dich gar nicht, da schaltest du auf Durchzug. Wenn man dich aber in Ruhe anspricht, dir zeigt, dass der andere Weg auch ganz toll ist und dass Liegenbleiben auf einem Feld genauso viel Spaß machen kann wie die Suche nach Mäuselöchern, wenn man dich also für sich gewinnt, dann bist du mit Herz und Seele dabei.

Es gibt noch so vieles, was ich mit dir entdecken und ausprobieren möchte. Ich denke, kaum ein Hund lernt so schnell wie du und du lernst auch gerne. Als uns beiden mal langweilig war, habe ich dir beigebracht, mir die Socken auszuziehen. Du warst so behutsam, meine Zehen nicht zu verletzen mit deinen scharfen Zähnen, dass ich lachen musste. Nach zwei Übungseinheiten konntest du es perfekt.

Ich habe dir in diesen 12 Monaten vier neue Kommandos beigebracht, die wir beinahe täglich brauchen. Bei „Brücke“ kannst du dich jetzt auf meine Beine legen, aber nur ein bisschen, weil wenn du dich ganz drauflegst mit deinen 30 Kilo, dann tun mir nach kurzer Zeit die Knie weh. Das haben wir herausgefunden. Bei „Anker“ stellst du dich zwischen meine Beine, wenn ich dann „Weiter“ sage, gehen wir ein Stück nach vorne und bei „Stopp“ bleiben wir stehen. Wir können uns im Anker jetzt sogar schon nach links und rechts drehen. Vor allem „Hier“ brauchen wir wirklich jeden Tag. Mir ist aufgefallen, dass Fuß laufen manchmal viel zu ernst ist, aber es gibt Situationen, da möchte ich, dass du neben mir bleibst. Dann bist du im „Hier“. Und zum Schluss bauen wir jetzt wie gesagt das Anzeigen von Symptomen auf. Ach ja, Männchen machen kannst du ja auch inzwischen! Das hat lange gedauert, weil du gar keine Rückenmuskeln hattest und dich gar nicht halten konntest. Mit viel Geduld und Training klappte es aber super.

Genau das hast du mir beigebracht: Geduld. Ich denke, dass man gerade in der Hundeerziehung zu schnell zu viel erwartet. Manchmal vergisst du auch, wie man ein Kommando korrekt ausführt. Manchmal verstehst du nicht, was ich von dir möchte. Dann muss ich es dir anders zeigen. Manchmal siehst du einen Vogel am Horizont und es entfällt dir, dass du eigentlich im Fuß läufst. Das ist menschlich. Nein, das ist tierisch. Du atmest, also machst du Fehler. Aber du machst auch sehr viel sehr richtig. Und nichts auf der Welt ist so befriedigend wie der Blick, den du einem schenkst, wenn du gelobst wirst.

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