Krankenkasse

Es war einmal ein kleines Mädchen … ach, fangen wir besser nicht so an, das hier wird kein Märchen und ein Happy End wird es vermutlich auch nicht geben. Ganz nüchtern also: Ein Assistenzhund ist ein Hilfsmittel nach § 33 SGB V Abs. 1, ich zitiere: Versicherte haben „Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.“

Ein Assistenzhund fällt als „anderes Hilfsmittel“, das im Einzelfall erforderlich ist, um eine Behinderung auszugleichen (Blindenführhunde zum Beispiel werden bereits von der Kasse bezahlt) bzw. den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (damit ich nicht wieder ins „Ich kann meine Wohnung nicht verlassen“-Loch falle) unter diese Regelung. Außerdem ist ein Assistenzhund logischerweise kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, denn er unterscheidet sich dank seiner speziellen Ausbildung deutlich von normalen Hunden.

§ 34 Abs. 4 wiederum besagt, dass die Krankenkasse nur solche Hilfsmittel nicht finanzieren muss, die von geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen sind oder wo der Preis einfach so niedrig ist, dass er dem/der Betroffenen zuzumuten ist. Und hier haben wir den ersten Haken.

Assistenzhunde, egal welcher Art (Blindenführhunde, Epilepsie-Warnhunde, Rollstuhlbegleithunde, PTBS-Assistenzhunde, Autismus-Begleithunde) haben einen deutlichen positiven Einfluss auf das Leben des Hundeführers beziehungsweise der Hundeführerin. Das sollte soweit klar sein. Die Studienlage hingegen ist eher dünn. Es gibt zwar vor allem in den USA, wo seit einigen Jahren PTBS-Assistenzhunde für traumatisierte Soldaten ausgebildet werden, erste wissenschaftliche Beiträge zu der Wirksamkeit von diesen Hunden, aber die haben oft Probleme – wenige Probanden, die gleichzeitig andere Therapien machen, Interpretationsfehler der Ergebnisse, meistens zu kurze Zeit bei Längsschnittstudien und so weiter. Die einzige deutsche Studie zu dem Thema habe ich beim Deutschen Assistenzhunde-Zentrum gefunden. Beziehungsweise die zweizeilige Auswertung. Nicht die Studie. Schwierig. Trotzdem konnte in allen bisher veröffentlichten Studien folgendes nachgewiesen werden: Die Symptome (Flashbacks, Albträume, Dissoziationen, Angstzustände, Panikzustände, erhöhte Schreckhaftigkeit, Hypervigilanz) können durch einen PTBS-Assistenzhund reduziert werden. Viele Betroffene können dank dem Hund zum ersten Mal vor die Wohnungstür treten oder ihre Medikamente reduzieren oder sogar absetzen.

Natürlich ist es dementsprechend schwer, der Krankenkasse zu erklären, dass der Nutzen von PTBS-Assistenzhunde für die körperliche und psychische Gesundheit der Hundeführer*innen eindeutig nachgewiesen wurde. Klar gibt es einzelne Beiträge und Betroffenenberichte, aber das reicht nicht aus für eine dicke Argumentationsdecke.

Tatsächlich ist es aber wie gesagt so, dass die gesetzlichen Krankenkassen bereits Assistenzhunde bezahlen, nämlich Blindenführhunde. Die haben für ihre Herrchen und Frauchen deutliche Vorteile gegenüber dem Blindenstock. Ein Blindenstock bleibt an der roten Ampel nicht stehen. Bei einer dicken Schneeschicht findet der Blindenstock gegebenenfalls nicht die Markierungen. Ein Blindenstock bringt einem nicht die Kaffeetasse oder schaltet das Licht ein. Ein Blindenführhund kann das schon.

Bei einem PTBS-Assistenzhund ist das ähnlich. Die Tatsache vorausgesetzt, dass ich gerade nicht ohne Begleitung meine Wohnung verlassen kann, wäre die Alternative für einen PTBS-Assistenzhund eine persönliche Assistenz – eine menschliche, logischerweise. Dem gegenüber hat der PTBS-Assistenzhund ebenfalls deutliche Vorteile. Eine persönliche Assistenz muss immer extra zu mir gefahren kommen, das wird teuer. Ein Hund ist immer an meiner Seite. Eine persönliche Assistenz ist nicht rund um die Uhr verfügbar, kann mich also zum Beispiel nicht aus Albträumen oder Flashbacks am Abend wecken. Ein Hund kann das schon. Eine persönliche Assistenz darf mich in Dissoziationen nicht berühren, sonst bekomme ich im Anschluss Panik. Ein Hund darf das schon. Ein Mensch bekommt es gar nicht mit, wenn ich in eine Dissoziation zu rutschen drohe. Der Hund schon. Ähnlich wie ein Epilepsie-Warnhund kann ein PTBS-Assistenzhund erkennen, wenn die Kacke anfängt zu rutschen. Ein Mensch wird dieses Feingefühl niemals entwickeln – weil er es anatomisch gar nicht kann.

Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass ich meine Freiheit damit deutlich beschränke, dass ich immer auf einen anderen Menschen angewiesen bin, wenn es eine bessere Alternative dazu gibt.

So urteilt auch das SG Aachen (29.05.2007 Az. S 13 KR99/06):

„Der Kläger hat Anspruch auf die Versorgung mit einem Blindenführhund zu Lasten der GKV.
– Ein Blindenführhund ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, er wurde speziell für diese Bedürfnisse gedacht und geschult und wird nur von diesem Personenkreis benutzt.
– Er ist als Hilfsmittel der GKV erforderlich, um eine Behinderung des Betroffenen auszugleichen:
– Körperpflege, Greifen, Mobilität
– selbstständiges Wohnen
– Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Vermeidung von Vereinsamung (siehe auch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 10.05.2012; Az.: L 11 KR 804/11)
– sichere Teilnahme am Straßenverkehr usw.
– Es ist unzumutbar, zur Befriedigung all dieser Grundbedürfnisse auf andere Personen angewiesen zu sein.
– Ein Blindenführhund ist eine sinnvolle und notwendige Ergänzung.
– Blindenstock als Ersatz für einen Blindenhund ist unzureichend (siehe auch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 16.10.2007: Az: L 4 KR 5486/05).“

Alle diese Punkte können ebenfalls auf einen PTBS-Assistenzhund übertragen werden. Er ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (hatte ich ja schon erklärt). Er wurde speziell für die Bedürfnisse gedacht. Er ist notwendig, um eine Behinderung auszugleichen – vor allem, um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und Isolation zu verhindern. Selbst die sichere Teilnahme am Straßenverkehr ist mir regelmäßig dank meiner Dissoziationen nicht möglich. Außerdem, und hier kommt der wichtigste Punkt, kann eben nicht davon ausgegangen werden, dass ich in all diesen Belangen von anderen Personen abhängig bin. Und: Vor dem Gesetz sind alle Assistenzhunde gleichgestellt (Zutrittsrechte, Ausweispflicht, Wesenstest, Sichtbarkeit und so weiter). Also müssen eigentlich auch alle Assistenzhunde bei der Krankenkasse gleich behandelt und finanziert werden. Alles andere wäre eine deutliche Diskriminierung von Behinderten.

Jetzt könnte die Krankenkasse noch sagen, dass psychische Erkrankungen ja angeblich heilbar sind und dass ich nach einer guten Therapie keine Probleme mehr haben, beziehungsweise mit ihnen besser umgehen können werde. Funktioniert nur nicht bei allen Betroffenen – und niemand sagt nach ein paar Monaten Erkrankung: „Yeah, Assistenzhund, 22 Monate Ausbildung, dann kann er mir helfen!“ Ich bin seit 10 Jahren krank. Ich habe ein paar Therapien hinter mir, ambulant, stationär, medikamentös. Hat alles nicht wirklich geholfen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass es auch weiterhin nicht unbedingt den großen Unterschied machen wird. Ich denke, dass ein Assistenzhund eine Therapie nicht ersetzen kann, aber er kann sie ergänzen, wenn davon auszugehen ist, dass die Erkrankung chronisch ist. Und es ist inzwischen nachgewiesen, dass Posttraumatische Belastungsstörungen chronisch verlaufen können.

Deshalb ist auch das Argument hinfällig, PTBS-Assistenzhunde würden weitere Therapieerfolge verhindern, weil der/die Hundeführer*in sich zu sehr auf den Hund stützt oder verlässt. Das ist so, als würde man einer Person im Rollstuhl sagen, dass der Rollstuhl-Assistenzhund das weitere Trainieren der Muskeln verhindern würde, weil man ja nicht mehr selber die Waschmaschine einräumt oder den Lichtschalter betätigt. Tatsächlich fördert ein PTBS-Assistenzhund die weitere Genesung. Zum einen bringt er einen dazu, sich regelmäßig zu bewegen (Sport hilft bei psychischen Erkrankungen!) und eine Tagesstruktur zu entwickeln, zum anderen ist es inzwischen ebenfalls hinreichend bewiesen, dass Hunde die Therapiemotivation steigern und ihre Besitzer*innen dazu bewegen können, in angenehmer Atmosphäre (Hund schnarcht auf Schoß) über traumatische Erfahrungen zu sprechen, was vorher nicht möglich war.

Letzter Punkt, auf den die Krankenkasse sich berufen kann: PTBS-Assistenzhunde stehen nicht im Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes. Tja, auch das ist hinfällig. So urteilte das Bundesozialgericht mehrmals, dass „nicht entscheidend für den Versorgungsanspruch ist, ob das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) gelistet ist, denn es handelt sich bei diesem Verzeichnis nicht um eine abschließende Regelung im Sinne einer Positivliste.“ (u. a. BSG, 15.11.2007, B 3 A 1/07 R; BSG, 03.08.2006, B 3 KR 25/05 R; BSG 07.10.2010, B 3 KR 5/10 R; BSG, 22.04.2015, B 3 KR 3/14 R; ich könnte ewig so weitermachen).

So muss die Krankenkasse also sehr wohl auch Hilfsmittel finanzieren, die nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt sind, wenn sie die Kriterien nach § 33 SGB V Abs. 1 entsprechen und gleichzeitig nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot der gesetzlichen Krankenkassen verstoßen (Die Leistungen der Gesetzlichen Krankenkasse müssen „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein. Sie „dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“).

Ausreichend ist ein PTBS-Assistenzhund allemal (zumindest ausreichender als ein Leben ohne, wenn man einen braucht). Zweckmäßig ist er auch, denn es ist ja in den paar Studien und in den Betroffenenberichten hinreichend dargestellt, dass die Hunde die PTBS-Symptomatik verringern, teilweise sogar Medikamente reduziert oder abgesetzt werden können, eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wieder möglich ist und insgesamt die Lebensqualität der Betroffenen deutlich steigt. Zweck erfüllt, würde ich sagen. Wirtschaftlich? Ein PTBS-Assistenzhund kommt die Krankenkasse deutlich billiger als beide Alternativen: Persönliche Assistenz beziehungsweise Betreuung oder ein Leben in Isolation, was Krankheiten fördert, Arbeit verhindert und so teuer wird für die Krankenkasse. Vom ethischen Standpunkt aus mal gar nicht gesprochen.

Bleibt noch das „Maß des Notwendigen“. Notwendig ist es, dass die Erkrankung reduziert oder die Behinderung so weit als möglich ausgeglichen wird. Durch eine Psychotherapie, durch einen Krankenhausaufenthalt oder durch Medikamente allein ist das häufig nicht möglich. Also springt der PTBS-Assistenzhund ein, um diesen Mangel auszugleichen. Im Moment kann ich nicht studieren. Ich kann nicht alleine einkaufen gehen, nicht alleine ins Kino, nicht alleine zum Schwimmen, ich kann nicht einmal alleine spazieren gehen. Das muss ausgeglichen werden. Das konnte durch Therapien nicht hinreichend ausgeglichen werden. Also braucht es eine Alternative. Die Alternative ist pechschwarz, wird immer größer, seufzt herzerweichend, wenn er müde ist, und hört auf den Namen Yoshi.

Liebe Krankenkasse: Jetzt seid ihr am Zug. Damit ich endlich sagen kann: „Und wenn sie nicht gestorben ist, dann kann sie vielleicht endlich ihre Wohnung alleine verlassen.“

 

Quellen und Empfehlungen:

https://www.pfotenpiloten.org/gesetze/

http://www.assistenzhunde-zentrum.de/index.php/organisationsprofil/forschung

https://www.researchgate.net/publication/265102711_A_Survey_of_Mental_Health_Patients_Utilizing_Psyc...

https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/33.html

https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/34.html

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