Aufgaben

So ein Assistenzhunde-Superhelden-Leben ist ziemlich anstrengend. Neben 12 bis 14 Stunden Schlaf am Tag gibt es nämlich die ein oder andere Aufgabe, die er erfüllen möchte. Ja, möchte, denn Hunde sind per se Arbeitstiere und wollen beschäftigt werden. Da reicht eine Runde Gassi am Tag nicht aus. Aber darum soll es in diesem Artikel gar nicht gehen. Ein Assistenzhund hat eine wichtige Aufgabe im Leben, nämlich die Unterstützung seines Assistenzhundeführers. Je nach Einsatzgebiet variieren diese Fertigkeiten, sind sich im Kern aber recht ähnlich, drehen sie sich doch um zwei Punkte: Kommandos befolgen oder selbst Initiative zeigen.

Beim Befolgen von Kommandos bekommt der Hund direkt eine Aufforderung zur Aufgabenerfüllung durch den Assistenzhundeführer: Hol dies, tu das, lass jenes. Zusätzlich muss ein Assistenzhund häufig aber auch in der Lage sein, die Situation selbst einzuschätzen und entsprechend darauf zu reagieren. Wichtig ist das vor allem bei gefährlichen Situationen, wie beim Anzeigen von Unterzuckerung (Diabetes-Warnhund) oder dem Unterbrechen von Dissoziationen (PTBS-Assistenzhund). Gerade dann, wenn der Hundeführer selbst nicht mehr in der Lage ist, dem Hund Kommandos zu geben, zeigt sich die Heldenhaftigkeit von Assistenzhunden.

Yoshi wird als PTBS-Assistenzhunde-Azubi bereits von klein auf an seine zukünftigen Aufgaben gewöhnt. Dies geschieht sehr spielerisch, um den Hund durch intrinsische Motivation (also eine, die vom Hund selbst ausgeht) dazu zu bringen, in etwaigen Situationen korrekt zu reagieren – Fehlerquote und lange Hirnleitung mit eingerechnet, immerhin ist und bleibt er ein Lebewesen, das Fehler machen darf und manchmal auch einfach keine Lust hat. Welche Aufgaben aber sind das überhaupt? Was tut ein PTBS-Assistenzhund?

 

Sicherheit verschaffen

Yoshi ist ein riesiger schwarzer Dämon von einem Hund. Das ist praktisch, wenn mir Menschen zu nahe kommen, zum Beispiel in Gesprächen oder in der Supermarktschlange. Er schafft also eine natürliche Distanz zu meinen Mitmenschen. Das brauche ich, weil Menschen mir grundsätzlich Angst machen oder mich reiztechnisch überfordern. Unerwartete Berührungen zum Beispiel (wie beim Anrempeln) sind für mich wie körperliche Angriffe. Das zu unterbinden, ist Aufgabe eines PTBS-Assistenzhundes. Möglich macht er es zum Beispiel durch das sogenannte „Blocken“. Dabei stellt der Hund sich vor mich, hinter mich oder zwischen meine Beine, entweder quer oder sogar längs. Im Optimalfall habe ich dann zwischen mir und fremden Menschen eine Hundelänge Abstand.

Außerdem kann Yoshi für mich zum Beispiel dunkle Räume absuchen oder bei Häuserecken vorgehen. Er kann mich auf sich von hinten nahenden Personen aufmerksam machen und so Schreckmomente verhindern oder abmildern.

 

Symptome anzeigen

Das nervigste und gefährlichste an einer PTBS sind sicherlich die Symptome – Flashbacks, Albträume, Hypervigilanz, Panikzustände, Krampfen, Dissoziationen. Mit diesen Symptomen kann man alleine schwer umgehen, weil sie zwar häufig nur in extrem stressigen Momenten auftauchen, allerdings die Reizschwelle von Betroffenen auch sehr gering ist, also beinahe alle alltäglichen Augenblicke Stress bedeuten. So kann zum Beispiel eine ganz gewöhnliche Szene in einer Serie bei mir zu fantastischsten Flashbacks führen. Die einzudämmen, ist mir alleine nicht möglich, vor allem dann nicht, wenn ich eh schon eine Vielzahl an Symptomen zeige (wie Albträume in der Nacht zuvor).

Ein Hund ist sehr sensibel. Ein Assistenzhund ist nicht nur sensibel, sondern auf bestimmte Zustände seines Assistenzhundeführers spezialisiert. Wie ein Drogenspürhund Kokain in kleinsten Mengen erschnüffeln kann, spürt ein Assistenzhund etwaige PTBS-Symptome bereits vor ihrem eigentlichen „Ausbruch“. Das ist nicht nur höchst interessant und faszinierend, sondern auch äußerst praktisch. Denn wenn ich ein Flashback oder eine Dissoziation rechtzeitig bemerke, kann ich noch darauf reagieren. Es gibt PTBS-Assistenzhunde, die zeigen Minuten vor dem starken Symptom bereits an, bringen die Notfalltasche oder sind extrem aufdringlich. In diesem Moment bin ich noch in der Lage, meine Skills zu verwenden, in einer ausgewachsenen Dissoziation selbst nicht mehr. Ein Assistenzhund kann also Symptome verhindern und den Assistenzhundeführer dazu bringen, selbst gegen diese vorzugehen.

Das hat auch viel mit Sicherheit zu tun. Kann der Hund eine Dissoziation nämlich nicht rechtzeitig anzeigen oder hört der Assistenzhundeführer nicht auf seinen Partner, kann es zu eben diesem Zustand kommen. Dann ist es wichtig, nicht alleine zu sein, denn eine Dissoziation kann zu einigen gefährlichen Handlungen führen, wie dem „blinden“ Überqueren einer Straße. Wichtig in so einer Situation ist es, das Symptom rechtzeitig zu beenden – wohlgemerkt in einem Kontext, in dem der Betroffene selbst nicht mehr handeln kann. Wie macht ein Assistenzhund das also? Er leckt zum Beispiel die Handflächen des Menschen ab, springt ihn an, bringt ihn an einen ruhigen Ort, der geeignet ist für das „Aufwachen“ aus der Dissoziation.

Auch in anderen Momenten, denen eine Person mit PTBS mehr oder weniger ausgeliefert ist, kann der Hund helfen. Ein Beispiel hierfür sind Albträume. Sich aus diesem Zustand selbst zu befreien, kann schwierig bis unmöglich sein und das Aufwachen selbst stellt die nächste verzwickte Situation dar. Die Orientierung im Raum und die Verbindung zur Realität können auch Stunden nach einem Albtraum noch erschwert sein, häufig folgen Albträumen Zustände wie Derealisation oder Depersonalisation. Auch hier kann ein Assistenzhund Wunder wirken, indem er die Person aus dem Albtraum weckt und durch Kontakt das Zurückkehren in die Realität erleichtert.

 

Tagesablauf gestalten

Verantwortung. Das steht ganz oben, wenn man sich einen Assistenzhund anschaffen möchte (oder überhaupt einen Hund). Denn ein Assistenzhund ist ein Lebewesen, das Bedürfnisse und Rechte hat. Er muss regelmäßig und ausreichend gefüttert werden, braucht den Zugang zu sauberem Wasser, möchte gefordert und gefördert werden, regelmäßig Bewegung haben, aber auch Ruhe, und, wenn es irgendwo zwickt, medizinische Hilfe erfahren. All das muss täglich gewährt werden, Symptome hin oder her. Die Überlegung, ob man sich also einen Assistenzhund anschaffen möchte, sollte dementsprechend gründlich sein. Wer kümmert sich um den Hund, wenn ich es gerade nicht kann? Habe ich überhaupt die Zeit, mich um meinen Hund zu kümmern? Habe ich ausreichend Ressourcen (wie Geld für Futter oder Auslaufflächen für das Tier)? Ein Assistenzhund ist eine klasse Sache, er ist aber auch kein Fabelwesen, das von Luft und Liebe leben kann.

Wenn man aber all das einem Hund ermöglichen kann, gibt er einem sehr viel zurück. Einen geregelten Tagesablauf zum Beispiel – Futterzeiten, Gassi-Geh-Zeiten, Schlafens- und Aufstehzeiten sind relativ fest durchgetaktet. Bei einer psychischen Erkrankung, vor allem bei einer chronischen, ist das alleine schon Gold wert. Auch das Gefühl, gebraucht zu werden, kann ein riesen Motivationsfaktor sein. Da ist ein Wesen, das einem vertraut und dem man selbst vertrauen kann. Die meisten Menschen mit einer PTBS haben dieses Gefühl vor langer Zeit verloren. Es wiederzufinden, ist beinahe unerträglich schön.

 

Psychotherapie unterstützen

Häufig wird ja das Argument angebracht, dass ein Assistenzhund zu viele Symptome abfedert und so den Assistenzhundeführer bei der Genesung behindert. Meistens kommt diese Aussage von Menschen, die sich mit Assistenzhunden bis dato nicht auseinandergesetzt haben. Denn im besten Fall ist das Gegenteil der Fall.

Stellt euch vor, ihr habt jeglichen Mut im Leben verloren. Seit Jahren dümpelt ihr von einer Therapie zur nächsten, nichts hilft so wirklich, ihr isoliert euch zunehmend, verliert euren Job, eure Freunde, die Beziehung geht zu Bruch oder steht kurz davor und nichts scheint vorwärtszugehen. Und dann kommt da so ein feuchtschnauziger Motivationsschub auf vier Pfoten angerannt. Ihr schöpft wieder Hoffnung, erlebt erste kleine Erfolge und findet den Mut, euch eurer Erkrankung zu stellen – mit Unterstützung. Ihr lernt das Gefühl von Vertrauen wieder (oder zum ersten Mal in eurem Leben), von Sicherheit und Kompetenz. Klar. Das ist definitiv ein Hinderungsgrund für eine Psychotherapie.

Menschen, die sich ihren Symptomen nicht stellen konnten, die sich anderen Personen schlicht nicht anvertrauen konnten, können das plötzlich dank dem Assistenzhund. Vielleicht führt ein Assistenzhund zu Vermeidungsverhalten, zumindest anfangs, aber er führt auch zu positiven Gefühlen, die einen erst dazu bringen, sich schwierigen Momenten auch alleine zu stellen. Gerade durch das Aufmerksam machen auf etwaige Symptome, kann der Hund dem Hundeführer beibringen, diese selbst rechtzeitig zu erkennen. Er kann die Traumatherapie begleiten und so erst ermöglichen, dass der PTBS-Betroffene sich den schlimmsten Ereignissen seines Lebens stellen kann. Er kann eine Tiefe schaffen, die eine Heilung oder zumindest eine Besserung wahrscheinlicher macht.

 

Teilhabe ermöglichen

Teilhabe verschafft ein Assistenzhund fast schon allein durch seine bloße Anwesenheit. Er ist in schwierigen Momenten ein Fixpunkt, an dem man sich orientieren kann. Häufig kennt er den Weg, weiß, wie es nach Hause geht. Wenn man nach mehreren schlaflosen Nächten mit Albträumen und Tagen voller Flashbacks, Derealisation und Hypervigilanz einkaufen gehen will, ist so eine Orientierungshilfe äußerst praktisch. Viele Tätigkeiten, die ohne Assistenzhund undenkbar waren und die man trotz mehrerer Jahre Therapie einfach nicht schafft, sind plötzlich möglich. So gibt es den einen oder anderen Assistenzhundeführer, der allein dank seinem Assistenzhund wieder arbeiten oder in die Schule gehen kann. Dabei ist Teilhabe ein Menschenrecht und ein ziemlich wichtiges dazu. Gerade Menschen mit chronischer Erkrankung leiden unter Einigeln und Isolation. Alleine zu Veranstaltungen zu gehen, Freunde zu besuchen oder selbst alltägliche Aufgaben wie Arztbesuche oder den Einkauf zu erledigen, ist für viele undenkbar – bis sie einen Assistenzhund haben. Teilhabe wird ermöglicht durch all die Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Assistenzhundes, die ich oben beschrieben habe. Deshalb ist ein Assistenzhund mehr als eine Krücke oder eine Hilfe. Er ist die Grundlage für ein lebenswertes Leben.

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