Borderline

„Borderline“ heißt korrekt nach ICD-10 eigentlich „Emotional instabile Persönlichkeitsstörung Borderline-Typ“ und ist mit F60.31 kodiert. Die Erkrankung betrifft also dem Namen nach vor allem die Emotionalität des/der Betroffenen. „Borderline“ bedeutet übersetzt „Grenzgänger“. Es ist immer ein schmaler Grat zwischen alles okay und alles furchtbar.

Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung ist gekennzeichnet durch eine Tendenz, Impulse ohne Rücksicht auf Konsequenzen auszuleben beziehungsweise die Impulse nicht kontrollieren zu können. Die Stimmung ist launenhaft und wechselt scheinbar ständig und unvorhersehbar. Wenn impulsives Verhalten von außen behindert wird, kann es schnell zu Streit kommen. Dabei wurde bei Menschen mit Borderline beobachtet, dass sie wenig positive Klärungsstrategien haben und emotional sehr feinfühlig auf scheinbare Kritik oder Angriffe reagieren. Der Borderline-Typ bedeutet darüber hinaus eine Störung des Selbstbildes, der Ziele und Präferenzen und ein chronisches Gefühl der Leere. Das Beziehungsmuster ist häufig gestört und die Beziehungen unbeständig. Menschen mit Borderline sind besonders empfindlich für mögliche Bedrohungen von außen, weshalb Missverständnisse entstehen können oder kein Vertrauen aufgebaut wird. Außerdem gibt es eine Neigung zu selbstverletzenden oder suizidalen Handlungen. Auch komorbide Störungen, wie Depressionen, Angsterkrankungen oder ADHS, können auftreten. Suchterkrankungen können ebenfalls mit Borderline einhergehen. Es ist klar, dass diese Erkrankung mit einem hohen Leidensdruck einhergeht.

Selbstverletzendes Verhalten ist ein klassisches Symptom für den Borderline-Typ. Dabei werden diese Handlungen nicht nur häufig kleingeredet, sondern vollkommen missverstanden. Menschen, die sich selbst verletzen, tun das sehr selten, um andere zu manipulieren oder um Aufmerksamkeit zu erhalten. Selbstverletzendes Verhalten ist schlimm, kann schwere Formen annehmen und muss unter allen Umständen ernstgenommen werden. Außerdem weist nicht jede*r Borderline-Betroffene dieses Symptom auf. Selbstverletzendes Verhalten ist nur eines von vielen, von denen nach DSM-V-Kriterien nur fünf von neun erfüllt sein müssen. Man kann also Borderline haben, ohne sich selbst zu verletzen.

Wenn man sich mit den Worten „Ich habe Borderline und brauche Hilfe“ in einer psychotherapeutischen Praxis meldet, bekommt man oft direkt eine Abfuhr. Menschen mit Borderline gelten insgesamt als unbeständig, schwierig, unflexibel, wenn nicht sogar als gefährlich, manipulativ und aggressiv. Dabei neigen Menschen mit Borderline gar nicht zu mehr kriminellen Handlungen – ihre Aggression richtet sich meistens wenn dann gegen sich selbst. Die positiven Eigenschaften von Betroffenen werden vollkommen ignoriert. Menschen mit Borderline sind besonders kreativ, witzig, selbstironisch und intelligent, oft können sie sich sehr gut in ihre Mitmenschen hineinversetzen und arbeiten in sozialen Berufen. Sie sind also meistens alles andere als gefährlich. Wenn sie bereit für eine Therapie sind, dann ziehen sie die auch durch – und eine Besserung der Symptome und die Steigerung der Lebensqualität sind möglich.

Borderline ist eine Traumafolgestörung, genauso wie die PTBS. Dabei entsteht diese Erkrankung vor allem durch mangelhafte oder schädliche Beziehungserfahrungen. Menschen mit Borderline lernen früh, dass sie niemandem trauen können und dass ihnen niemand hilft. Sie lernen, auf kleinste Gefährdungen zu reagieren und entwickeln durch die Aggression von außen eine Aggression nach innen. Dabei sind Menschen mit Borderline Überlebenskünstler geworden. Sie wollen keine Schwäche zeigen, können sich schnell anpassen und beinahe unsichtbar werden. Das mussten sie damals. Manche Borderline-Betroffene leiden genauso wie Menschen mit PTBS an Dissoziationen, in denen sie die Realität verlassen und sich ganz in sich zurückziehen. Auch das ist auf den Traumakontext zurückzuführen.

In der Therapie geht es vor allem darum, grundlegende Fragen zu klären. Was genau habe ich? Wie kann ich damit umgehen? Wie viel Nähe zu anderen Menschen ist mir angenehm? Wo wurden in meinem Leben Grenzen überschritten? Da die meisten Borderlineerkrankungen durch negative Beziehungserfahrungen entstehen, liegt hierauf ein Hauptaugenmerk. Wie kann ich eine gesunde Beziehung aufbauen? Was braucht eine Beziehung? Wie kann ich Vertrauen lernen? Dabei braucht die Therapie bei dieser Erkrankung vor allem eins: Viel Zeit. Die Verhaltens- und Gefühlsmuster haben sich früh sehr tief eingebrannt und können nur langsam gelöst werden. Häufig ist ein stationäres Setting zu empfehlen, um aus dem Alltag herauszukommen und gezielt an der Genesung zu arbeiten. Borderline-Betroffene brauchen oft lange, um ihre Krankheit einzusehen und daran etwas verändern zu wollen. Denn bisher hat die Erkrankung das Überleben gesichert oder die Auto-Aggression war notwendig, um den Druck unter Kontrolle zu halten. Deshalb lernen Betroffene in der Therapie auch, destruktive Verhaltensweisen langsam abzubauen und durch andere Handlungen auszugleichen (Skills). Bewährt hat sich hierfür vor allem die DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie). Diese Therapieform orientiert sich stark an der Kognitiven Verhaltenstherapie, hat aber zusätzlich Elemente anderer Therapierichtungen und Meditationstechniken im Portfolio. Die Erfinderin der DBT, Marsha M. Linehan, hatte übrigens selbst Borderline. Der erste Anlaufpunkt ist auch hier ein*e Psychotherapeut*in oder ein Gespräch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin. Denn eine Besserung der Symptome ist absolut möglich.

Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Menschen mit Borderline gar keine Beziehungen eingehen können. Das ist absolut falsch. Auch Borderline-Betroffene können stabile Paar- und Freundschaftsbeziehungen aufbauen. Je positiver der Krankheitsverlauf und je früher die Therapie erfolgt, umso aussichtsreicher sind die Beziehungen und die Steigerung der Lebensqualität. Bei Angehörigen und Freunden von Betroffenen ist es elementar wichtig, dass sie das Verhalten von Menschen mit Borderline nicht auf sich beziehen, sondern klar unterscheiden zwischen ernstgemeinter Kritik und der Erkrankung. Es hilft sehr, wenn Verletzungen durch Worte angesprochen werden und eine wertschätzende Gesprächskultur besteht. Denn Menschen mit Borderline sind mehr als ihre Erkrankung. Sie sind wertvolle Persönlichkeiten mit einer Vielzahl an Talenten und Fähigkeiten. Diese sollten erkannt und gefördert werden.

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