Vom Aufgeben und Loslassen

Ich muss euch etwas sagen. Oder nein, ich muss gar nichts, aber ich möchte. Weil ich auf dem Blog hier immer ehrlich war und da schon länger ein Fehler auf meiner Seite ist. Eine Kleinigkeit. Oder, eine Kleinigkeit für den Rest der Menschheit, eine Großigkeit für mich. Ich wollte mir selbst erst einmal darüber klar werden, was ich überhaupt möchte. Was überhaupt gerade Thema ist. Wer ich bin und wer ich sein möchte.

Ich habe mein Psychologiestudium geschmissen. So, jetzt ist es raus. Ich plane das seit drei Jahren, schwanke wie eine Betrunkene auf einem Schiff, das durch die raue See pflügt. „Ich will das nicht“, sage ich seit dem fünften Semester. „Aber du kannst nicht aufgeben, du bist so gut!“, sage ich seit dem fünften Semester.

Ja, ich war gut darin. Ich hatte einen Notenschnitt von 1,2. Zeitweise war es 1,1, dann kam die Erkrankung zurück. Das Drama, der Zusammenbruch, das negative Feuerwerk, das mir direkt ins Gesicht flog. Das Studium hatte daran seine Teilschuld. Ich war zwar vorbelastet, ich war aber vor allem unglücklich.

„Wie kann man damit unglücklich sein?“, habe ich mich gefragt. Ich hatte alles! Einen der begehrten Plätze bei NC-Fächern, jemandem weggenommen, der dessen wirklich würdig ist. Ich sah meine Kommilitoninnen fröhlich von einer Prüfung in die nächste hüpfen, klar, alle gestresst, aber so überzeugt von dem, was sie tun.

„Ich will Menschen helfen“, war meine Devise, mein Antrieb. Bis ich merkte, dass ich das nur wollte, weil es meinem alten Muster entsprach. Meinem kranken Anteil, der das Helfersyndrom nicht nur hatte, sondern Professor in „Klar erledige ich das für dich“-ologie war. Ich war es gewöhnt, Probleme für andere zu lösen, ich fühlte mich fast schon zu gebraucht, hatte einen Helferfetisch, der emotionale Mülleimer meines Umfelds. Bis ich merkte, dass ich dabei jemanden ganz vergessen hatte: Mich.

Ich mag Menschen, so ist es nicht. Aber ich habe genug eigene Probleme, um nicht die Verantwortung für andere zu übernehmen. Das kann ich nicht und das möchte ich nicht. Ich wäre nie eine gute Therapeutin gewesen, weil die auf sich selbst achten würde. Ich kann keine Distanz herstellen. Ich wäre vermutlich noch während der PiA-Ausbildung verbrannt und hätte es nicht bemerkt.

„Das interessiert mich nicht“, klagte ich ein ums andere Mal und fühlte mich wie eine ganz normale Studentin mit Selbstzweifeln. Wieder fühlte ich mich undankbar und faul. Natürlich ist ein Studium anstrengend! Was hast du denn erwartet, ein Gänseblümchenfeld mit Doughnut-Stand? Aber je länger ich studierte, umso mehr bemerkte ich, dass ich wie ein geschecktes Pferd unter Kühen war. Die anderen mussten sich zwar auch anstrengen und hatten Problemfächer, die sie nicht ganz so faszinierten, aber im Großen und Ganzen passte es für sie. Für mich passte es nie. Ich lief sechs Jahre lang in Schuhen, die mir drei Nummern zu klein waren.

Am Ende, als mir klar war, dass ich das nicht möchte, dass ich keine Psychologin werden will („Aber was ist mit Organisationspsychologie, du könntest doch in die Personalauswahl oder ins Marketing, in der Psychologie gibt es soooooo viele Felder, eins muss dich doch interessieren!“ – „Nein, muss es nicht.“), stand die letzte Hürde im Raum: Ich wollte keine Versagerin sein.

Aufgeben ist ein schwieriges Thema. In unserer Gesellschaft bedeutet es, dass man nicht die Fähigkeiten hat, etwas durchzuziehen. Wir schauen herab zu Menschen, die aufgeben, die fünf Meter vor dem Hügel sagen: „Eigentlich hasse ich Bergsteigen“ und dann von da aus die Aussicht genießen. Dass es viel gesünder und mutiger ist zu sagen: „Das ist nichts für mich“, das können wir oft nicht sehen. Wer sich scheiden lässt, hat nur nicht genug um die Beziehung gekämpft. Wer sich von Menschen lossagt, die einem nicht guttun, ist viel zu empfindlich. Wer eine Party frühzeitig verlässt, ist ein Spaßverderber. Immer mehr. Immer höher. Und ja niemals etwas vorzeitig beenden. Ist das nicht krank?

Am Ende waren es zwei Dinge, die dazu führten, dass mein Studium ein jähes, vorangekündigtes Ende fand: Zum einen interessierte mich einfach der Fachbereich nicht mehr so sehr, dass ich damit meine Zeit verbringen wollte. Oder eher, so viel Zeit. Ja, Psychologie ist unendlich faszinierend und spannend. Aber deshalb muss man es nicht studiert haben. Zum anderen hatte ich einfach keine Kapazitäten mehr dafür. So ein Psychologiestudium frisst nicht nur Zeit, sondern Unmengen an Energie und die muss man mit einer komplexen PTBS erst einmal haben (Fun Fact: Ich habe sie nicht).

Und da steht wieder der Gedanke im Raum: „Ich bin zu schwach für ein läppisches Studium. Ich bin eine Versagerin!“ Aber dann denke ich mir, dass vermutlich der Großteil der Menschheit kein Psychologiestudium schaffen würde. Ich bin nicht zu dumm dafür, ich bin nicht zu faul dafür, ich bin einfach zu krank dafür. Das hat lange Zeit richtig wehgetan. Mal wieder verbaut mir meine Erkrankung meine Zukunft. Aber warte: Die habe ich ja eh nicht in der Psychologie gesehen.

Studieren ist nichts für mich, ganz einfach. Mir ist das zu viel Theorie und zu wenig Praxis (zumindest bei diesem Studienfach an dieser Uni). Ich bin jemand, der am Abend gerne sieht, was ich den Tag über getan habe und damit meine ich nicht den Stapel sauber bekritzelter Karteikarten. Damit meine ich Handarbeit.

Aufgeben ist ein Wort, das ich aufgrund der ihm zugeschriebenen Attribute nicht mag. Es hat etwas von nicht schaffen, von nicht genug wollen, von nicht genug anstrengen. Ich habe mich angestrengt, ich habe mich länger und mehr angestrengt, als das sinnvoll gewesen wäre. Ich wollte das Studium nicht aufgeben, aber nicht wegen des Studiums, sondern wegen der Angst. Der Angst vor der ungewissen Zukunft, vor den schlechten Gefühlen von Versagen und Scham.

Jetzt ist die Exmatrikulation raus. Ich bin raus. Raus aus einem System, mit dem ich sowieso nichts anfangen kann, das mich zum Ende hin immer mehr mit seiner elitären Grundhaltung angekotzt hat. Ich bin frei, nur leider so frei, wie ich eigentlich nicht sein wollte, was ich eigentlich vermeiden wollte, denn jetzt kommt unweigerlich die Frage auf: Was jetzt?

Und ich kämpfe darum, die Frage nicht endgültig zu beantworten, weil das Schicksal über feste Pläne lacht und sowieso alles anders kommt, als ich mir das in meinem beschränkten Köpfchen ausmalen kann. Ich habe eine ungefähre Richtung. Ich habe Zeit, endlich in mich zu spüren und mich zu fragen, was ich möchte. Mich auszuprobieren in dem, was mir gefällt, worin ich vielleicht gut bin, Talente zu entdecken, die ich bei mir selbst niemals vermutet hätte und endlich den Menschen kennenzulernen, der ich bin. Andere mit ihren Meinungen nicht vor mich zu stellen, sondern frei und stark zu sagen: „Das war ich nicht. Aber schau her, was ich bin, das ist doch wunderschön.“

Ich habe nicht aufgegeben. Ich habe losgelassen. Ich habe etwas losgelassen, das mir nicht gepasst hat, bei dem ich mich verstellen musste und mit dem ich mich gequält habe. Hinter mir liegt eine schwere Zeit, aber vor mir eine makellose Zukunft. Ich habe jetzt die Freiheit, mich zu finden, neu zu entdecken und ehrlich, ich liebe es – weil ich mir jetzt in diesem ungewissen Zeitpunkt näher bin, als ich das jemals war. Loslassen ist eine Liebeserklärung an sich selbst, die höchste Kunst der Selbstfürsorge, der Endgegner im Kampf gegen die psychische Erkrankung. Zu sagen: „Das tut mir nicht gut“ und den Mut zu finden, sich davon zu lösen, das ist Magie pur. Das ist krasser als Chuck Norris.

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