Tue Gutes - auch Dir selbst

Müßiggang. Das klingt so anstrengend. Dabei ist dieser Zustand elementar: Das Nichtstun, das Aufsuchen der Muße, das zu tun, was man möchte und nicht das, was man muss. Das Fundament von Selfcare. Tatsächlich gibt es Wissenschaftler, die behaupten, dass Langeweile der Grund für unsere glorreiche evolutionäre Entwicklung ist – denn aus Langeweile entstehen Ideen. Oder warum kommen uns die besten Lösungen für die schwersten Probleme unter der Dusche oder kurz vorm Einschlafen?

Jeder Psychotherapeut dieser Welt spricht irgendwann im Laufe seiner Tätigkeit mindestens einmal folgenden Satz: „Kümmern Sie sich doch mal um sich.“ Den Patienten geht dann meistens dieser Gedanke durch den Kopf: „Kann ich nicht, habe ich gar keine Zeit für.“

Dabei braucht dieses Selfcare, oder eingedeutscht Selbstfürsorge, gar nicht lange. Eine schöne Tasse Tee, eine lange, warme Dusche, eine Wärmflasche vor dem Fernseher, das Lieblingsessen, ein Telefonat mit einer lieben Person oder eine Tablette gegen Kopfschmerzen. All das gehört zur Selbstfürsorge dazu. Aber auch Dinge des täglichen Bedarfs zählen, wie regelmäßige Mahlzeiten, feste Schlafenszeiten, eine dicke Jacke im Winter oder ein Arztbesuch bei Krankheit. Das klingt selbstverständlich?

Für Menschen mit psychischer Erkrankung (und vermutlich auch für sehr viele psychisch gesunde Menschen) ist es das nicht. Die meisten von uns kennen dieses Gefühl, selbst irgendwie zu kurz zu kommen. Sei es, weil wir uns um unsere Kinder oder andere Angehörige kümmern müssen, weil wir der Kollegin gerne bei ihrem Aktenstapel helfen wollen oder weil der Partner Hilfe braucht. Irgendwas ist immer und dann sind unsere Gedanken grundsätzlich bei den anderen, weil selbst kommt man schon irgendwie klar. Dann wird der Feierabend halt zum wiederholten Mal nach hinten geschoben, der Fernsehabend gestrichen und die Tasse Tee wird traurig und allein in der Küche kalt. Das ist okay – manchmal.

Wenn wir allerdings gar nicht mehr auf unsere eigenen Bedürfnisse achten, die anderen stets an erster Stelle positionieren, mit dem immer größer werdenden Stressball irgendwie noch klar kommen, dann werden wir irgendwann krank.

Das Leben ist ein bisschen wie eine Waage. Auf der einen Waagschale liegt der Stress, auf der anderen Seite die Selbstfürsorge. Je mehr Stress wir haben, desto mehr müssen wir auf uns selbst achten. Das ist verzwickt, denn mit mehr Stress hat man logischerweise auch weniger Zeit, sich um sich selbst zu kümmern. Oder? Vielleicht hilft es auch schon, mitten in einer stressigen Situation zu sagen: „Ich brauche kurz fünf Minuten“, den Raum zu verlassen, dreimal tief durchzuatmen, ein bisschen spazieren zu schlendern, um dann entspannter zurückzukehren. Fünf Minuten. Das ist ein geringerer Preis als monatelang wegen einem Burnout krankgeschrieben zu sein (sowohl körperlich, als auch wirtschaftlich).

Aber das gönnen wir uns nicht, weil wir das schon noch irgendwie aushalten. Eine Therapeutin von mir hat das mal bildlich dargestellt. Ganz unten war ein Strichweibchen, das stellte mich dar, die Arme nach oben gestreckt. Darauf malte sie dann ganz viele Kreise – einen für mein stressiges Studium, dann noch einer mit dem Stress in meiner Beziehung, Alltagsstress und einen ganz großen für meine Vergangenheit. Dann sagte sie: „Das alles halten Sie aus. Und da wundern Sie sich noch, dass Sie krankgeworden sind? Ein Wunder, dass die kleine Frau da unten unter dieser Belastung nicht schon viel früher zusammengebrochen ist.“ Mein erster Gedanke dazu war: „So viel ist das nicht. Ich halte das schon aus.“

Aber tue ich das wirklich? Mein Körper weiß das meistens früher als mein Kopf. Während das Hirn noch schreit: „Das geht noch!“, sagt der Körper: „Nein, das geht nicht.“ Dann werden meine Symptome stärker, ich fühle mich getrieben und angespannt, ich bekomme Kopf- und Rückenschmerzen, Albträume, kann nachts nicht schlafen und bin tagsüber erschöpft. Selbst dann ruft der Kopf noch: „Ach, ein bisschen mehr geht immer.“

Ich lerne langsam, mehr auf mich zu achten. Ich teile meine Energie ein, ein bisschen was für den Alltag, ein bisschen was für die Therapie, ein bisschen was für Beziehungen zu Familie und Freunden und ein bisschen was für meine Symptome. Jeder bekommt etwas vom Kuchen ab. Der allerdings ist begrenzt, ich habe keine unendlichen Ressourcen, also versuche ich, soweit als möglich hauszuhalten. Dazu gehört auch, die Energiereserven aufzutanken mit positiven Emotionen und – ihr ahnt es – Selbstfürsorge.

Ich dachte immer, das ist so ein Yoga-Quatsch für Eso-Tanten (ich entschuldige mich hiermit offiziell für meine Vorurteile). Ich fand Selbstfürsorge immer ein bisschen egoistisch, denn wenn ich mich um mich kümmere, kann ich mich nicht um jemand anderen kümmern. Und was ich absolut nicht zulassen kann, ist, wenn jemand anderes seine Ressourcen dafür opfert, sich um mich zu kümmern. Jetzt könnt ihr euch in etwa vorstellen, wie ich drauf bin, wenn mich eine Grippe dahinrafft. Inzwischen weiß ich, dass es anderen auch ein gutes Gefühl gibt, wenn sie sich um mich kümmern dürfen. Mein Mann bringt mir so glücklich die Kanne Tee, wenn ich flachliege, weil er auch mal für mich da sein darf. Und das ist er gerne, immerhin liebt er mich und was wir lieben, darum kümmern wir uns gerne.

Selbstfürsorge ist die kleine Schwester von Selbstliebe. Schon in diesem superberühmten Buch steht: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Und was man liebt, das pflegt man. Tja, wir haben den Knackpunkt von psychischen Erkrankungen erreicht. Ich tue mich schwer damit, mich selbst zu lieben. Wenn ich mir etwas zu essen koche, denke ich: „Nur für eine Person, so eine Verschwendung.“ Aber auch diese eine meine Person braucht etwas zu essen, braucht Trinken, regelmäßige Schlafenszeiten und Ruhepausen. Das habe ich in der Traumaklinik gelernt. Ein Wiederaufnahmekriterium für die Klinik ist übrigens, dass ich Selbstfürsorge praktiziere. Wenn ich das nicht mache, darf ich in einem Jahr nicht wiederkommen. Das klingt hart, aber für mich ist es genau das Richtige. Ich habe den offiziellen Auftrag, mich um mich selbst zu kümmern.

Und mich dabei nicht unter Druck zu setzen. Denn selbst so etwas Altruistisches wie Selbstfürsorge wird in unserer Gesellschaft verkompliziert und verperfektioniert. Mach Yoga. Fahr in den Urlaub (aber wenn dann nach Bali). Iss das, aber bloß nicht jenes. Nein, das schmeckt dir, aber das ist ganz furchtbar für dich. Mach mal Pause, aber hock dich nicht so lange hin, dann wirst du fett. Mach Sport. Aber auch nicht zu viel. Und nicht den, sondern jenen. Trink Tee. Aber achte drauf, dass er ayurvedisch ist. Schlaf. Aber nicht zu viel! Mach dir einen Wochenplan und Checklisten, aber stress dich bloß nicht damit. Wow. Jetzt ist mir schwindelig.

Wisst ihr, was ich mache, wenn ich mich mal so richtig um mich selbst kümmere? Dann ziehe ich mir meinen bequemsten Schlafanzug an, koche mir eine Kanne von meinem Lieblingstee, mümmele mich mit einer Wärmflasche frisch geduscht auf das Sofa und schaue meine Lieblingsfilme und -serien an. Oder ich mache einen richtig langen Spaziergang mit meinem Mann durch den Wald. Oder ich gehe eine Stunde Schwimmen. Das gönne ich mir. Weil ich es mir wert bin. In der Zeit dreht sich die Welt weiter, sie geht nicht unter, weil ich mich gerade nicht um sie kümmere.

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