Wie ich mit meinen Dämonen am Strand liege
Urlaub ist schön. Urlaub ist Entspannung. Urlaub ist Baden im Meer oder Wandern im Gebirge. Urlaub ist Familie und Abenteuer. Urlaub ist aber auch „Vor die Haustür“-Gehen. Hier setzt die Angst an.
Wie soll man denn bitteschön in den Urlaub fahren, wenn die Angst einem nicht einmal erlaubt, zum Briefkasten zu gehen? Wenn ich in den letzten zehn Jahren etwas gelernt habe, dann, dass es geht. Es geht häufig sogar ziemlich gut.
Ich fahre jedes Jahr in den Urlaub. Seit dem Beginn meiner Angststörung bin ich quer durch England gedüst, war in Schottland Monster suchen, habe in London meinen Zukünftigen kennengelernt, war in Österreich in Tümpeln schwimmen, in Ungarn radeln, in Italien Erdbeben aushalten, in Frankreich surfen und in Prag die Spuren von Kafka verfolgen. Immer war die Angst dabei.
Manchmal war sie stärker. Dann ging fast gar nichts, ich saß alleine im Wohnwagen und habe mich höchstens zum Spazieren gehen in Schlösser getraut. Manchmal musste ich Ausflüge abbrechen oder wollte es zumindest tun. Dann habe ich dauernd geweint und geflucht und mich mit meinen Reisepartnern gestritten.
Manchmal war sie fast weg. So wie dieses Jahr. Da habe ich jeden Tag Badminton mit meinem Liebsten gespielt, war in eiskalten Flüssen schwimmen und habe mir 30.000 Jahre alte Höhlenmalereien angeschaut. Drei Wochen lang, wohlgemerkt. Drei Wochen keine bzw. kaum Angst. Ja, sowas gibt es auch.
Jeden Urlaub habe ich genossen, jeden auf seine ganz eigene Art und Weise. Von manchen hatte ich mehr (was die Ausflüge angeht), von manchen weniger. Immer aber habe ich eine Menge gelernt und Erfahrungen gesammelt. In Frankreich hat mich mal in einem Bergsee ein kleiner Fisch in den Fuß gebissen. Einmal war ich mit zittrigen Knien und Übelkeit am Strand und habe mich in den gar nicht so kalten Atlantik geworfen, damit die Angst weggeht. Sie ist weggegangen. Ich war einfach glücklich.
„Reisen gehört den Mutigen“, habe ich mal gehört. Bin ich das? Bin ich mutig? Vielleicht schon. Mutig kannst du ja bekanntlich nur sein, wenn du vorher Angst hattest. Vor jedem Urlaub habe ich mir gedacht „Das schaffst du nicht. Du kannst nicht mitfahren!“ und nach jedem Urlaub habe ich mir gedacht „Scheiße, wie hast du das denn geschafft?“
Die Antwort ist ganz einfach: Durchs Machen. Mit Übelkeit und Tränen in den Augen bin ich losgefahren, mit Freude und Tränen in den Augen wieder zurückgekommen. Einmal waren es Tränen der Angst, einmal des Stolzes.
Reisen bieten immer die Möglichkeit des Perspektivenwechsels. Wenn du zu viert in einen kleinen Wohnwagen eingepfercht bist, gehst du auch mit Angststörung freiwillig raus. Am besten sind die Orte, an denen man gleich den Fuß in die Natur setzt. Dann kann man morgens erstmal die ganze Angst weg atmen. Oder man springt in den nächstgelegenen eiskalten See.
Reisen bieten außerdem die Möglichkeit, ziemlich über sich selbst hinauszuwachsen. An der Loire (Frankreich) saßen wir dieses Jahr auf einem Stein, aus dem unter der Wasseroberfläche ein Flusskrebs herausgestiefelt kam. „Vergiss es, an dem schwimme ich nicht vorbei, der kneift mich und lässt nicht mehr los!“, habe ich gesagt. Nur leider lagen die Handtücher und die Zivilisation am anderen Ufer. Also musste ich irgendwie an dem Vieh vorbei. Siehe da, er hat nicht gekniffen. Ich habe nicht gekniffen. Gott, war ich stolz danach.
In meinem Lieblingspark hat dieses Jahr eine neue Attraktion eröffnet, bei der ich mich partout geweigert habe, mitzufahren. „Da wird mir sicher schlecht drin. Das geht nicht. Nie!“, habe ich gesagt. Am dritten Tag bin ich mitgefahren. Was soll schon passieren? Ich bin angeschnallt, wenn ich kotzen muss, dann soll es halt sein (ist sicher auch eine Art der Therapie). Kurze Geschichte lange erzählt, es war die beste Fahrt meines Lebens. Es war einfach großartig. Und danach habe ich mir gedacht: „Wie wäre es, wenn du nicht immer vom Schlimmsten ausgehst, sondern vom Besten? Immerhin ist beides gleich wahrscheinlich.“
Reisen bieten die Möglichkeit, zu lernen. Nicht nur über den Ort, wo man hinfährt, sondern vor allem auch etwas über sich selbst. Ich habe auf meinen Reisen enorm viel über mich und das Leben gelernt. Außerdem hat mir wohl die Zeit ohne Internet ganz gut getan. Das alleine war es schon wert.