Ein Trauma verschwindet nicht. Ein einfaches Wort, eine kleine Geste, ein Geruch, ein Gefühl und es ist wieder da. Und das wird für immer so sein.
Man kann Trigger nicht überwinden. Sobald etwas in das Trauma erinnert, reagiert der Körper sofort mit Schmerz und Angst. Das Bewusstsein, das darüber Nachdenken schaltet sich erst anschließend ein. Du weißt, dass das Gefühl nicht wahr ist, dass die Situation vorbei ist – aber vorher steht immer der Schmerz. Und das wird sich nie ändern. Denn in diesem Augenblick bist du nicht die Person, die du heute bist. Du bist wieder das verletzte Kind. Das missbrauchte Kind. Das Kind, das Angst hat. Existenzielle Angst. Und keinen Ausweg sieht. Das Gehirn leitet dich wie eine schlecht funktionierende Telefonvermittlung zurück ins Damals. So schnell kannst du gar nicht reagieren oder gegensteuern, wie du mit der schmerzhaften Erinnerung verschaltet wirst.
Trigger lauern überall. Es sind nicht einmal sichtbare Zeichen. Oft ist es nur ein Gedanke an früher, ein Geruch von früher, ein Geräusch von früher oder selbst nur ein Gefühl von früher. Angst triggert Angst. Weil sie uns an Momente erinnert, an denen wir uns dem Tod näher gefühlt haben als dem Leben. In dem wir uns vielleicht sogar gewünscht haben, einfach sterben zu können, weil wir uns nicht vorstellen konnten, dass irgendetwas schlimmer sein könnte als das, was wir gerade durchmachen.
Und das ist das Schlimme an Missbrauch: Du missbrauchst eine Person nicht einmal. Du missbrauchst sie immer und immer wieder. Jedes Mal, wenn etwas sie an den Missbrauch erinnert, missbrauchst du sie erneut. Egal, ob dieser Missbrauch sexuell, physisch oder emotionaler Natur ist. Du hinterlässt einen Haufen Angst und Elend und es ist dir vollkommen egal. Und dieser Haufen Elend muss lernen, mit seinem Elend zu leben. Wie soll das gehen, wenn ihm immer wieder gezeigt wird, er immer wieder getriggert wird, wie wenig wert er ist?
Ein Satz. Ein Wort. Eine Betonung. Eine bestimmte Geste. Ein Gesichtsausdruck. Eine verdammte Haarfarbe. All das kann triggern. All das kann einen Menschen aus dem Hier und Jetzt herauskatapultieren zurück an den Ort, an dem ihm die Seele herausgerissen wurde.
Ihr erzählt, wie unglaublich bewundernswert Trauma-Überlebende sind. Wie stark sie sind. Soll ich euch mal was verraten? Wenn wir nicht stark wären, wären wir tot. Daran ist nichts Bewundernswertes. Daran ist nichts Romantisches. Das ist eklig und hässlich und dreckig. Das ist genau so wie wir uns fühlen. Weil wir nicht danach gefragt haben. Weil wir verdammt nochmal nicht bewundernswert sein wollen, sondern verstanden. Eure Bewunderung bringt uns nichts. Wir wollen eure Hilfe. Euren Respekt. Wenigstens ein bisschen Respekt. Wenn ihr betont, wie stark wir sind, zieht ihr euch aus der Verantwortung uns zu helfen. Weil starke Menschen sich gefälligst selbst helfen sollen.
„Du hast doch überlebt, warum beschwerst du dich?“ Weil ich es nicht überlebt habe. Es ist nicht vorbei. Solange mich dieses verdammte Parfüm triggern kann, habe ich es nicht überlebt. Nur weil ich 500 Kilometer von meiner Täterin entfernt sitze, ist es nicht vorbei. Weil es in mir lebt. Ich kann nichts überleben, das in mir wohnt. Ich kann das Trauma nicht überleben, weil es ein Teil von mir geworden ist. Der Schmerz. Die Angst. Und zwar keine Angst vor Kleinigkeiten, sondern Angst, die mir die Luft zum Atmen nimmt, manchmal sogar jeden Wunsch zu leben.
Niemand überlebt ein Trauma. Niemand überlebt Missbrauch. Weil er nicht vorbei ist, wenn der Täter geht. Weil es nicht vorbei ist, wenn die Gesellschaft sich wieder ihrem Tagwerk zuwendet. Es ist für uns Opfer nicht vorbei und das wird es nie sein. Ich kann mir bewusst einreden, dass die Dinge von damals vorbei sind. Ich kann mir einreden, dass ich jetzt in Sicherheit bin und wertvoll und geliebt. Aber ich kann mein Gehirn nicht dazu zwingen zu vergessen. Ich kann es nicht dazu zwingen, nicht in Schockstarre zu verfallen wenn jemand ein bestimmtes Gesicht macht.
Wenn du einem Kind jahrelang einredest, dass es wertlos ist, peinlich, dumm, schrecklich, eine Bürde für die Menschheit, dann wird dieses Kind diese Worte niemals vergessen. Es wird das immer denken. Auch nach jahrelanger Therapie und bewusstem „Ich bin großartig“ werden immer die Zweifel bleiben. Er steckt in unserem Kern, dem tiefsten Inneren unserer Seele und unseres Gehirns. Da, wo die Täter es hingepflanzt haben. Das Leben kann so schön sein wie es will, die Sonne so hell scheinen wie sie will, es wird nicht weggehen. Und damit müssen wir leben.
Und wir können damit leben. Wir können uns selbst immer wieder beweisen, wie wertvoll wir sind und wie sehr wir geliebt werden. Wir können Menschen aus unserem Leben streichen, die uns nicht guttun und Dinge tun, die uns Freude bereiten. Wir lassen sie nicht gewinnen, weil sie das nicht verdient haben.
Aber wenn die Sonne untergeht oder ich dieses Parfüm wieder rieche, bin ich wieder das kleine verletzte Kind, das die Welt nicht versteht. Das um Hilfe schreit, die nicht gewährt wird. Das alleine ist mit all dem Schmerz und der Angst und der Wut. Das wird sich niemals ändern. Die Vergangenheit kann ich nicht umschreiben. Und ich kann nicht beeinflussen, wie sie die Zukunft formt. Aber ich kann mir selbst jeden Tag beweisen, wie wertvoll ich bin. Wie wichtig für diese Welt. Wie humorvoll und empathisch, liebevoll, eine gute Zuhörerin, stur, witzig, eine großartige Schwimmerin, eine gute Geschichtenerzählerin, warmherzig, spontan, lebensfroh, neugierig, klug ich bin.
Du hast meine Vergangenheit zerstört und diese Wunden werden bis in meine Zukunft hineinreichen, bis zum Ende meiner Tage. Aber ich werde es nicht erlauben, dass du jeden Augenblick meines Lebens kontrollierst. Weil du das nicht wert bist. Ich werde trotz der Trigger und trotz der Verletzungen fröhlich sein, tolle Dinge erleben und mich mit Menschen umgeben, die ich liebe. Weil du mir das nicht kaputt machen kannst. Weil es nichts Stärkeres gibt, als einen Menschen, der sich immer wieder selbst aufbaut und weiterlebt. Trotz allem.