Psycho in Love

Ein Vorurteil, das Menschen mit psychischen Problemen regelmäßig zu hören bekommen, ist, dass sie aufgrund ihrer Beschwerden nicht in der Lage sind eine Beziehung einzugehen. Nach sechs Jahren mit meinem Mann kann ich sagen: Stimmt so nicht ganz. Wäre ja auch verheerend vor dem Hintergrund, wie viele wir sind.

Es gibt ein paar Faktoren unserer Probleme, die eine tiefe Bindung erschweren. So haben manche Menschen mit psychischen Erkrankungen Bindungsschwierigkeiten, die aus früheren Bindungserfahrungen erwuchsen. Wer als Kind zum Beispiel nie Liebe erfahren hat, bemerkt später im Leben, wie schwer das Geben davon sein kann. Trotzdem haben auch wir ein grundsätzliches Bedürfnis nach Nähe, Vertrauen und Zugehörigkeit.

Eine Beziehung mit einem psychisch kranken Menschen ist nicht einfach. Aber welche Beziehung ist das schon? In welcher Ehe gibt es keinen Streit um Grundsätzliches, in welcher Partnerschaft keine Vorwürfe? Natürlich sind wir da nicht anders. Außerdem kann es passieren, dass wir in akuten Episoden und Krisen nicht so sind, wie unser Partner oder unsere Partnerin uns sonst kennt.

Es wäre utopisch zu denken, dass eine so tiefgreifende Erkrankung eine Beziehung nicht beeinflussen würde. Die psychischen Probleme umfassen sehr viele Bereiche, sie begleiten uns durch den Tag, durch das Jahr, durch unser Leben. Manches ist unmöglich für uns, vieles anderes aber eben auch kein großes Ding. Wir sind einzigartig, so, wie jeder Mensch es ist. Wir sind allerdings auch so viel mehr als unsere Erkrankungen. Mein Mann findet, dass ich witzig bin. Dass ich empathisch bin und gut zuhören kann. Dass er sich bei mir geborgen fühlt. Dass man mit mir Pferde stehlen kann. Das alles gehört zu unserer Beziehung dazu. Diese Faktoren von mir formen sie genauso wie meine Erkrankung.

Natürlich erschweren meine Symptome oft den Alltag. In einer depressiven Episode muss mein Mann den Abwasch übernehmen. Wenn ich nicht alleine das Haus verlassen kann, muss er mich begleiten. Durch etwaige hoffnungslose Phasen muss er mich führen. Das zehrt an unserer Beziehung. Hierfür gibt es kein Patentrezept, wie damit umgegangen wird, muss jedes Paar für sich herausfinden und entscheiden. Mein Mann hat sich gegen den Austausch mit anderen Angehörigen ausgesprochen. Er sucht seinen Ausgleich bei Freunden, in der Uni, in seinen Hobbys.

Wenn ihn etwas an mir stört, spricht er es aus. Das kann mich auch verletzen, aber das muss ich aushalten. Wenn mich etwas an ihm stört, spreche ich es aus. Das kann ihn verletzen, aber das muss er aushalten. So läuft es in jeder Beziehung. Da stoßen zwei Welten, zwei Charaktere, zwei Geschichten aufeinander, die irgendwie miteinander eine Verbindung eingegangen sind. Es gibt immer Reibereien in einer Beziehung, auch mit uns. Wichtig ist hier die Kommunikation.

Jedes Paar findet seinen Weg, miteinander in Kontakt zu bleiben. Mein Mann möchte alles über meine Erkrankung wissen, er geht sie logisch und rational an. Er will von mir hören, wie er sich während einem Flashback oder einem Breakdown verhalten kann. Wir haben einen Notfallplan. Wir haben Abmachungen. Und im Hintergrund steht immer: Ich bin nicht diese Erkrankung und ich kämpfe dagegen an. Das ist unser Deal. Solange ich kämpfe, steht er an meiner Seite, etwaige Rückschritte und Pausen mit eingeschlossen.

Er sagt mir, was er braucht und was er sich wünscht. Er ist in dieser Beziehung genauso wichtig wie ich. Oft haben Paare, in denen ein/e Partner/in erkrankt ist (psychisch oder physisch), das Problem, dass alles sich irgendwann nur noch um die Krankheit dreht. Ein normales Leben ist dann beinahe unmöglich. Also äußern wir unsere Bedürfnisse grundlegend und erst mal unabhängig von der Erkrankung.

Wenn er sagt, dass er gerne mal wieder etwas mit mir unternehmen möchte, schaue ich, ob das derzeit überhaupt möglich ist und wenn ja, wie. Er will einen Abend mit Freunden verbringen, aber ich habe gerade Angst davor, meine Wohnung zu verlassen? Okay, sie kommen zu uns. Oder wir fahren mit dem Auto hin, das geht noch. Er möchte Weihnachten bei seinen Großeltern verbringen, aber ich kenne das Haus noch nicht und fühle mich unwohl? Okay, wir machen ein ungezwungenes Probewochenende, die Großeltern werden in meine Erkrankung eingeweiht und dann schauen wir mal. So viele Dinge sind möglich, wenn man sie nur möglich machen möchte. Denn einen Weg findet man fast immer. Und wenn es mal wirklich nicht realisierbar ist, dann ist das auch in Ordnung. Ich bin ein Mensch mit Bedürfnissen und die äußere ich in unserer Beziehung genauso wie mein Mann.

Ich möchte ihm das Gefühl geben, dass ich für ihn genauso da bin wie er für mich. Er führt mich durch suizidale Krisen, ich führe ihn durch seine Masterarbeitszeit. Ich schmeiße den Haushalt, wenn er keinen Kopf dafür hat, er holt meine Medikamente von der Apotheke ab. Ich brauche eine Begleitung zum Arzt, er eine zu seinem Bewerbungsgespräch. Wichtig ist, dass sich kein/e Partner/in selbst auf eine niedrigere Stufe stellt. Auch wenn es manchmal nur Kleinigkeiten sind, wir sind für unsere Liebsten genauso bedeutsam wie sie für uns.

Gerade in akuten, schweren Phasen braucht ein/e Betroffene/r aber eine/n Partner/in, der/die auch gut wegstecken und aushalten kann. Ich will das nicht schönreden. Mein Mann bekommt immer Angst um mich, wenn ich sage, dass eh alles hoffnungslos ist. Er bekommt Dissoziationen, Flashbacks und Vergangenheitsbewältigung live und aus erster Reihe mit. Dafür braucht er ein dickes Fell und die Möglichkeit, auszusprechen, was das mit ihm macht und wie er sich dabei fühlt. Verzweifelt. Überfordert. Ängstlich. All das darf ein/e Partner/in sein. Man muss dann nur gemeinsam schauen, wie das abgefedert oder wie damit umgegangen werden kann.

Wenn eine Beziehung zerbricht, sind nicht wir grundsätzlich daran schuld. Das zu glauben, wäre irrsinnig. Zu einer Trennung gehören immer zwei Parteien, die offensichtlich einfach nicht zusammenpassen. Das ist okay. Aber grundsätzlich sind wir Menschen mit psychischen Problemen nicht beziehungsunfähig. Psychopathen vielleicht, aber wie viele von denen gibt es denn überhaupt?

Sobald ein/e Partner/in erkrankt, ist alles anders. Die ganze Welt steht Kopf, die derzeitige Beziehung muss hinterfragt werden, die Person ist nicht mehr wie vorher. Dann müssen Anpassungen vollzogen werden. Dann muss gemeinsam geschaut werden, wie man damit umgehen kann. Ist eine Therapie sinnvoll? Sollte ein/e Psychiater/in aufgesucht werden? Wer übernimmt das Badputzen? Wer bringt die vielleicht vorhandenen Kinder in den Kindergarten? Wer kocht? Eine Erkrankung wirft das gesamte bisherige Leben über den Haufen. In dieser Zeit kann es auch sein, dass der/die gesunde Partner/in bemerkt, dass die Beziehung nicht mehr möglich ist.

Ich halte es hier wie so oft gerne mit dem Vergleich von psychischen und physischen Erkrankungen: Stell dir vor, deine Frau landet im Rollstuhl oder hat eine schwere, chronische Autoimmunkrankheit. Da wird auch alles über den Haufen geworfen. Da kommt auch alles durcheinander. Längere Klinikaufenthalte, die Unfähigkeit, etwas zum gemeinsamen Haushalt beizutragen, schwere Tage im Bett oder auf dem Sofa. Wieso sollte ich in einer akuten depressiven Episode mehr hinbekommen als jemand mit einem akuten Rheumaschub? Was geht, das geht. Was nicht geht, ist auch okay. Leider findet das eine Akzeptanz in unserer Gesellschaft und das andere nicht.

Beziehungen sind nie einfach. Beziehungen leben davon, dass es schwere Zeiten gibt, denn die schweißen zusammen. Diese Phasen sind es, die uns zeigen, was wir am anderen haben. Jetzt, wo ich einhundert Prozent ehrlich zu meinem Mann bin und das Gefühl habe, gehört und verstanden zu werden, liebe ich ihn mehr denn je. Ich kann mich auf ihn verlassen und er sich auf mich. Wenn ich Sorgen habe, kann ich ihn jederzeit erreichen. Bei ihm ist es genauso. Wir leben miteinander und voneinander. Das ist es, was eine Beziehung ausmacht. Und das ist es, wofür es sich jeden Tag lohnt zu kämpfen – ob mit Erkrankung oder ohne.

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