Viele Unterstützungsmöglichkeiten für behinderte Menschen aller Art sind weithin bekannt – der Gehstock, der Blindenstock, der Rollator, der Rollstuhl. Sogar Blindenhunde kann man regelmäßig in den Innenstädten bei der Arbeit beobachten. Aber schon mal was von einem PTBS-Assistenzhund gehört?
Die Reaktion von einer Freundin von mir war zuckersüß: „Hä? Traumahund? Das klingt aber nicht sehr nett. Was macht der denn?“ Ja, was macht so ein Traumahund? Netter ist tatsächlich die Bezeichnung „PTBS-Assistenzhund“, denn das klingt nicht nur freundlicher, es beinhaltet auch alles, was man über diese Arbeitsbezeichnung wissen muss.
Um die Aufgabenbereiche des Hundes erklären zu können, muss ich allerdings etwas weiter ausholen. Was bedeutet eigentlich "PTBS"? Diese vier stets großgeschriebenen Buchstaben bilden die Abkürzung für eine ziemlich miese Erkrankung: Die Posttraumatische Belastungsstörung. Als Folge von einmaligen oder mehrfachen traumatisierenden Situationen aller Art, gehen sie mit typischen Symptomen einher. Flashbacks dürften weitgehend aus amerikanischen Soldatenfilmen bekannt sein (das Wiedererleben des Traumas durch verschiedene Sinneskanäle, wie Bilder, Gerüche, Geräusche oder Gefühle). Auch Albträume kennt vermutlich jeder (auch die sind bei einer PTBS mit dem Wiedererleben der traumatischen Situation verbunden und tauchen sehr oft auf).
Zusätzlich können sogenannte Dissoziationen auftreten und hier wird es nicht nur sehr unangenehm, sondern auch gefährlich. Dissoziationen sind verbunden mit dem teilweisen oder vollständigen Verlust der bewussten Wahrnehmung und Handlungskontrolle. Akut Betroffene können nicht mehr sehen, hören, oder ihre Bewegungen steuern. Das bedeutet, der Körper schaltet auf Autopilot. Der ist aber nicht immer so klug und vergisst gerne mal das nach Links und Rechts-Schauen beim Überqueren der Straße und auch das Lesen von Busnummern funktioniert nicht immer reibungslos.
Außerdem ist die Posttraumatische Belastungsstörung meist mit starken Ängsten verbunden. In Menschenmengen, Supermärkten, oder eigentlich überall da, wo fremde Personen anwesend sind, steigt der Angstpegel aufs Unermessliche. Unerwartete Berührungen, Leute, die sich an einem vorbeidrängeln, all das führt zu massiver Schreckhaftigkeit und dauernder Aufmerksamkeit. Das ist, gelinde gesagt, verdammt anstrengend. Mein Kopf arbeitet immer auf 100 Prozent.
Diese dauerhafte Anspannung führt früher oder später zu absoluter Erschöpfung. Der Körper kann nicht mehr, die Psyche hat sowieso schon aufgegeben, die Folge sind Depressionen. Das bedeutet, dass mir wochenlang selbst das Haarekämmen zu anstrengend ist, vom Abwasch oder dem Besuch der Uni ganz zu schweigen.
Eine PTBS ist also sehr anstrengend und einschränkend. Alleine kann ich meine Wohnung nicht verlassen und wenn, dann nur unter massiver Anstrengung, Anspannung und Angst. Meine vier Wände sind mein Gefängnis. Das möchte ich ändern. Aber wie?
Nach mehreren ambulanten und stationären Therapien, entscheide ich mich jetzt für ein alltägliches Hilfsmittel – einen Assistenzhund. Das ist so, als würde ein Querschnittsgelähmter nach 10 Jahren auf die Idee kommen, sich einen Rollstuhl anzuschaffen. Warum erst so spät? Weil er vorher nichts davon wusste. So ist das bei mir.
Vor zwei Jahren bin ich das erste Mal auf den Begriff „PTBS-Assistenzhund“ gestoßen. Ich fand es mehr als faszinierend, was die alles lernen und wie sie ihre Besitzer/innen unterstützen können. Wie sich die Lebensqualität der Hundeführer/innen verbesserte, das berührte mich so sehr, dass ich mich mehr mit dem Thema auseinandersetzte. Wie könnte ein PTBS-Assistenzhund mir persönlich helfen?
Es gibt verschiedene Dinge, die ein Assistenzhund für Traumatisierte leisten kann. Der wichtigste Faktor ist vermutlich die Sicherheit. Alleine fühle ich mich, als wäre ich in einen eiskalten Ozean voller Haie gestoßen worden. Hunde geben mir einen Anker, einen Orientierungspunkt. Ihre Wärme und Ruhe schafft es, auch mich ruhig werden zu lassen. Ein Zustand, den ich selten kenne.
Außerdem kann der Hund mich „beschützen“. Klar, er wird jetzt nicht dazu ausgebildet, fremde Menschen systematisch in den Hintern zu beißen, damit sie mir nicht zu nahe kommen. Der Hund lernt aber, mich von anderen „abzublocken“. Wie macht der das? Ganz einfach: Er stellt sich vor oder hinter mich. Dadurch ist immer eine Hundelänge Abstand. Die Bürgermeisterin von Köln wäre begeistert.
Zusätzlich kann der Hund drohende Dissoziationen und Panikattacken erkennen und rechtzeitig warnen, oder, wenn es zu spät ist, diese unterbrechen. Er lernt dann, meine Körperhaltung und den sich verändernden Körpergeruch wahrzunehmen (ich schwitze selten so viel wie während einer Panikattacke), und mich so lange anzustupsen und vollzukuscheln, bis ich das Okay gebe, dass es mir besser geht.
Wenn ich dann doch mal so fest in einer Dissoziation oder Panikattacke festhänge, dass selbst der Hund im öffentlichen Raum nichts mehr ausrichten kann, führt die Fellnase mich zur nächsten Sitzgelegenheit oder dem Ausgang/Rand der Veranstaltung. Der Hund kann mich also zum Beispiel aus Seminarsitzungen, in denen ich dissoziiere, herausführen und mich in die Cafeteria bringen (in der eigentlich nie jemand ist), wo ich mich wieder stabilisieren kann.
Der Hund wird noch viel mehr Dinge erlernen (wie das Unterbrechen von Albträumen), aber vor allem diese Hilfen werden mir mein Leben deutlich erleichtern und mich vor gefährlichen Situationen schützen. Die Schnuffnase ist dann in der Lage, meine Lebensqualität deutlich zu erhöhen und mir eine Menge Selbstständigkeit zurückzugeben. Zum Vergleich: Im Moment muss mein Mann mich überall hin begleiten. Wenn ich den Hund habe, übernimmt der diese Aufgabe.
Natürlich stehen die Bedürfnisse und der Charakter des Hundes immer im Mittelpunkt. Ich werde den Hund niemals zu etwas zwingen, was er nicht möchte. Er ist ein Lebewesen und hat seinen eigenen Kopf und den möchte ich nicht verbiegen. In der Woche wird der Hund nur wenige Stunden „arbeiten“ müssen, ansonsten ist er ganz Hund – mit allen Flausen, die ein Hund so haben kann. Es wird also auch Tage geben, an denen der Hund nicht so will wie ich. Das ist aber absolut kein Problem. An solchen Tagen machen wir eben einfach weniger bis gar nichts (außer Kuscheln und Spazieren gehen).
Der Hund lernt zwischen Freizeit und „Arbeit“ zu unterscheiden. Den wichtigen Unterschied macht die Kenndecke, die der Hund in der Öffentlichkeit tragen wird. Wenn die einmal angezogen ist, weiß der Hund, dass jetzt etwas kommt, was er gelernt hat. Hunde sind aber fantastische Wesen. Auch ohne Kenndecke wird er Dissoziationen oder Flashbacks erkennen und mich beruhigen. Hunde tun das aus einer natürlichen Gutmütigkeit heraus. Nenne mir einen Hund, der seinem Frauchen/Herrchen nicht absolut loyal gegenübersteht und immer helfen will.
Leider sind Assistenzhunde sehr teuer, zumindest dann, wenn sie gut ausgebildet werden. Die Krankenkassen bezuschussen das selten bis nie, meine stellt sich komplett quer. Die Summe muss ich also irgendwie alleine aufbringen. Seit zwei Jahren sparen wir jeden Cent von unserem BAföG ab. Trotzdem fehlt noch eine ziemliche Menge Geld. Wer mich und mein Unternehmen, endlich wieder ein halbwegs normales Leben zu führen, unterstützen möchte, kann das gerne unter dem folgenden Link machen.
https://www.leetchi.com/c/ptbs-assistenzhund-fuer-julia
Assistenzhunde sind in unserer Gesellschaft noch vollkommen verkannt (oder unbekannt, je nachdem). Obwohl es inzwischen gut belegt ist, welchen positiven Einfluss Tiere und vor allem Hunde auf unsere Psyche haben können, gelten Assistenzhunde als Luxusgut. Da stellt sich mir ehrlich die Frage, ob Brillen dann nicht auch ein Luxusgut sind. Oder Rollstühle. Oder Blindenstöcke. Ich kann meine Wohnung nicht verlassen. Ich kann am normalen gesellschaftlichen Leben nur sehr eingeschränkt teilnehmen (und das habe ich mir schon hart erkämpft). Der Hund bietet mir eine Möglichkeit, wieder das Leben zu ergreifen und es zu spüren – zumindest mehr davon als dauernde Panikattacken und hohe Anspannung.
Ich freue mich sehr auf meine kleine Fellnase. Im Moment wird noch nach einem passenden Welpen gesucht, dann folgen 22 Monate Ausbildung (am Anfang natürlich noch weniger, weil der kleine Schnuff ja erst mal älter werden muss). Dann habe ich einen Assistenzhund. Einen Hund, einen Freund, der mir dabei helfen kann, die Dämonen von früher zu bekämpfen. Mit sehr viel Kuscheln und Anstupsen.