Vor gut einem Monat erschien eine neue Studie des Deutschen Studentenwerks (DSW) und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) über das Studieren mit Beeinträchtigung. Derzeit sollen etwa 11 Prozent aller Studierenden unter einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung leiden. Mehr als die Hälfte dieser Studis hat eine psychische Erkrankung (53 Prozent). An der Studie nahmen 21.000 Studierende von 153 Hochschulen teil.
Bisher noch nichts von der Studie gehört? Ich auch nicht. Wieso ist das so? Wieso werden solche enorm wichtigen Faktensammlungen nicht weiter geteilt, warum erhalten sie keine größere Aufmerksamkeit? Denn immerhin geht es hier um unsere Zukunft. Als Gesellschaft – aber auch um die der Betroffenen.
Die Studie zeigt, dass nur bei 4 Prozent der Studis mit Beeinträchtigung diese zu erkennen ist. 96 Prozent sind also einfach nur da, werden im schlimmsten Fall nicht gesehen und müssen irgendwie alleine klarkommen. Dabei haben 89 Prozent Schwierigkeiten bei der Durchführung des Studiums, sei es bei Prüfungen, der Organisation oder Kontakten zu anderen Mitgliedern der Hochschule.
Woran das teilweise liegt, zeigt eine andere Zahl: Nur 57 Prozent kennen die spezifischen Beratungsangebote für Studis mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen. Und jetzt kommt das dicke Ende: Nur 29 Prozent der Studierenden haben jemals einen Nachteilsausgleich beantragt. Immerhin wurden im Schnitt 62 Prozent dieser Anträge bewilligt und 73 Prozent der Studis waren mit der Maßnahme zufrieden.
Nachteilsausgleiche sind ein Grundrecht von Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung. Sie stehen uns zu. Trotzdem scheuen sich viele von uns, einen zu beantragen. Das liegt zum einen daran, dass wir dann offen zu unseren Erkrankungen stehen müssen. Wir müssen uns im schlimmsten Fall für unsere Einschränkung rechtfertigen, fürchten Stigmatisierung oder Zurückweisung und dumme Sprüche. Andererseits kennen aber wie gesagt viele Studierende das Angebot gar nicht. Das ist so, als wüsste ich nicht, dass mir Kindergeld zusteht, wenn ich ein Kind bekomme.
In Vorlesungen, Seminaren, Rektorrundschreiben wird von unseren Rechten nicht gesprochen. Man geht davon aus, dass wir uns das selbst erarbeiten können, falls wir es denn wirklich wollen. Aber wie soll ich von der Existenz der Sonne wissen, wenn es immer bewölkt ist? Bis vor kurzem wusste ich als Profipsycho ja noch nicht einmal, dass psychische Erkrankungen einem auch das Recht auf Nachteilsausgleiche geben. Ich wusste nichts von einer Behindertenbeauftragten oder dem Beratungsangebot vom Student_innenrat oder dem Studentenwerk. Ich war alleine. Viele von uns sind alleine.
Jetzt könnte man mir vorhalten, ich habe ja nicht ordentlich gesucht. Tja, doch. Habe ich. Sehr lange. Das ist aber gar nicht der Punkt. Wieso muss sich jemand, der mit einer starken Beeinträchtigung, mit Schmerzen, Angst und Hoffnungslosigkeit kämpft und ein wenigstens ansatzweise normales Leben möchte, der mit ganzem Herzen und ganzer Seele studieren will und alles dafür gibt – wieso muss der oder die sich noch stundenlang mit der Suche nach Nachteilsausgleichen und Behindertenbeauftragten herumschlagen? Wieso werden diese Dinge nicht in der allerersten Einführungsveranstaltung angesprochen? Wieso wird uns nicht das Gefühl gegeben, dass wir wichtig für die Hochschule sind? Eine Bereicherung?
Viele Professor/innen und Dozent/innen denken noch immer, dass Nachteilsausgleiche eine Bevorzugung darstellen. Aber das sind sie nicht – sonst hießen sie ja so. „Nachteilsausgleich“ bedeutet, dass ein Nachteil ausgeglichen wird. Um das zu verstehen, muss ich kein Genie sein. Das ist so, als würdest du einem Rollstuhlfahrer an den Kopf werfen, dass sein fahrbarer Untersatz eine Bevorzugung gegenüber Gehenden ist. Wieso also müssen wir uns alleine vor dem Prüfungsausschuss verteidigen für etwas, das uns zusteht?
Zu enge Strukturen, wenig Rückzugsraum, Anwesenheitspflicht, fest vorgeschriebene Prüfungsmodalitäten – all das erschwert Menschen mit Beeinträchtigung das Studium. Dabei wissen viele Mitarbeiter der Hochschulen (Verwaltungskräfte, Professor/innen, Dozent/innen) gar nicht, wie sie mit behinderten und chronisch kranken Studis umgehen sollen. Es sollte verbindliche Schulungen für Lehrpersonal geben, wie man uns begegnen kann (wobei ich nicht sagen will, dass das besonders schwer ist, wir sind ja nicht vom Mond). Es sollte auch für Lehrende mehr Informationen über Nachteilsausgleiche geben. Es sollte mehr Mut und Kreativität an Hochschulen geben, Veränderungen anzustreben, um allen Studis ein machbares und würdevolles Studium zu ermöglichen. Weil wir nicht einfach nur da sind. Sondern, weil wir wichtig sind.
https://www.dzhw.eu/services/meldungen/detail?pm_id=1534
https://www.studentenwerke.de/sites/default/files/dsw-best2_barrierefrei_neu.pdf