Romantischer Psycho

Manchmal komme ich mir vor wie in einer Freak Show. Sie kennen die? Diese Zirkusse, die damals durchs Land getuckert sind, mit bärtigen Frauen und kleinwüchsigen Männern, die angestarrt wurden und die dafür bezahlt wurden, angestarrt zu werden? So fühle ich mich manchmal. Nur bezahlt mich niemand dafür.

Psychische Erkrankungen faszinieren. Das war vermutlich schon immer so. Sie zeigen uns Grenzerfahrungen, nicht alltägliche Phänomene, die wir gerne aus der Ferne betrachten. Klar, wenn der vor sich hinredende Schizophrene deinen Weg kreuzt, wechselst du vorsichtshalber die Straßenseite. Aber so aus der Distanz betrachtet ist das total spannend. Das ist eine moderne Freak Show.

Als ich 2013 mein Abitur abschloss und überall mit stolzer Überzeugung verkündet habe, dass ich fortan das magische Fach Psychologie studieren würde, war die häufigste Reaktion diese: „Oh, das würde ich auch gerne studieren, ich finde das so faszinierend! Diese ganzen Erkrankungen und so!“ Ich sah den Menschen in die Augen und dachte darüber nach, wie faszinierend ich meine PTBS und Angststörungen finde. Und wie sehr sie mich einfach nur nerven.

Am häufigsten trifft mich diese Faszination in Bezug auf Autismus. Ich weiß nicht, wie wenig die Leute eigentlich über diese Besonderheit wissen, aber offensichtlich ist es nicht sehr viel. Autisten sind alle hochintelligent. Sie können alle super gut rechnen. Sie sind so rücksichtslos, das würden manche auch gerne sein. Obwohl sie es gerade sind. Autisten lebten in ihrer eigenen Welt, sagen sie. Mal ehrlich und ich sage das hier nur einmal: Niemand lebt in seiner eigenen Welt. Wir leben alle in derselben. Wir besuchen dieselben Supermärkte, dieselben Schulen, dieselben Ärzte. Nur weil ihr auf Autisten einen Dreck gebt, heißt das nicht, dass sie in einer magischen Parallelwelt leben. Sie müssen mit der hier klarkommen und das ist oft genug schwer genug.

Es ist diese romantische Vorstellung von psychischen Erkrankungen, die mir dermaßen auf den Jutebeutel gehen. Bei Depressionen ist es ähnlich. Die melancholischen, verlorenen Seelen, die in grauem Schleier wandeln, unfähig dazu, etwas zu fühlen. Oder halt die faulen Säcke, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Choose your side. Dass beide Ansichten absolut nichts mit der Realität zu tun haben, ist dem Großteil der Verurteilenden egal. Sie haben bereits ihr Weltbild. Gut für euch. Schlecht für uns.

Wenn ich erzähle, dass ich unter einer PTBS leide, produziere ich in neunzig Prozent der Köpfe folgendes Bild: Die heldenhafte Kriegsversehrte, wahlweise auch sexuell Missbrauchte, die mit dauernder Erinnerung an das schreckliche Erlebnis umgehen muss und ansonsten eigentlich ganz gut klarkommt, weil hey, das Trauma ist ja vorbei, fang wieder an zu leben. Jetzt nochmal O-Ton: Ich wurde nie vergewaltigt. Ich war nie im Krieg. Ja, ich habe trotzdem eine PTBS, nein, du hast kein Anrecht darauf, von mir zu erfahren warum. Ja, ich habe Flashbacks, die sind aber nicht so wie du sie aus dem Kino kennst und nein, ich komme nicht mit meinem Leben klar, weil siehe oben.

Eine kleine Anekdote am Rand: Im ersten Semester hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit einem Kommilitonen darüber, wohin wir beruflich mal streben wollen. Ja, ich weiß, im ersten Semester. Aber Erstis sind halt noch so. Verkappte Weltverbesserer. Der Kommilitone war sehr von schweren psychischen Erkrankungen fasziniert und wollte unbedingt später mal in einer Psychiatrie arbeiten, weil da ja die „echten Fälle“ sind und die total spannend sind. Ich fand das so menschenverachtend, dass ich gegangen bin. Ohne ein Wort. Sehr unhöflich. Aber ich bin ja auch psychisch krank, ich darf das, weil ich ja eine verletzte Seele bin.

Wieso fand ich das menschenverachtend? Klar kann man Sachen faszinierend finden und gerne auch Menschen. Er hat nur leider vergessen zu erwähnen, dass er diesen Menschen auch helfen will. Welche Personen er sich in einer Psychiatrie vorgestellt hat: Schwerkriminelle Schizophrene mit stündlichen Psychosen. Oder halt Norman Bates. Wer da wirklich sitzt: Depressive, die mit Typen wie ihm vermutlich eher nichts zu tun haben wollen. Er sprach über die Psychiatrie wie ein Tierpfleger über den Zoo. So niedliche Viecher da und so flauschig. Vollkommen missverstanden, die armen Weißschwanz-Stachelschweine.

Ich bin ein Mensch, der gerne vorgefertigte Bilder in Köpfen von Menschen zerstört. Das liegt sicher daran, dass ich psychisch krank bin. Ganz sicher. Vielleicht aber auch nicht, weil ich das früher schon gerne gemacht habe, bevor ich meine Störungen entwickeln konnte. Egal. Weil ich das aber eben wie gesagt gerne tue, hier nochmal zum Mitschreiben und ins Hirn einprägen:

Autisten leben nicht in ihrer eigenen Welt. Sie besuchen dieselben Supermärkte wie du. Depressive wandeln nicht in endloser Tiefgründigkeit durch die Abgründe der Welt. Sie liegen im Bett und hassen sich dafür, dass sie den Abwasch nicht schaffen. Menschen mit Angststörung sind keine quietschenden Frauen, denen du die Spinne aus dem Badezimmer entfernen musst. Sie können wahlweise ihre Wohnung nicht verlassen (nur eines von vielen Beispielen für eine unglaublich vielseitige Störungsform). Und PTBSler waren nicht alle im Krieg. Also schon, aber nicht in so einem mit Waffengewalt. Oft genug reichten Worte aus.

Psychische Erkrankungen sind nicht romantisch. Klar sind sie faszinierend. Aber können wir uns vielleicht wieder darauf konzentrieren, den Menschen zu helfen, statt sie zu bewundern? Ich will nicht hören, wie spannend meine Krankheit ist, ich will wissen, wie ich sie loswerde. Weil niemand gerne damit lebt. Und wenn ihr das nicht hinbekommt, bezahlt mich wenigstens dafür, dass ihr mich anstarrt und über mich redet.

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