Wie soll man reagieren, wenn jemand über seine psychischen Probleme spricht?
Niemand sollte mit seinen Problemen alleine gelassen werden, das gilt natürlich
auch für solche psychischer Art. Wenn man nicht alleine sein will, muss man
allerdings jemandem von seinen Dämonen erzählen. Schon in Shakespeares Hamlet
heißt es: „Speak! I am bound to hear.“, was so viel bedeutet wie: “Sprich, ich
muss es hören!” Denn wenn du niemandem von deinem Leid erzählst, kann auch
keiner Rücksicht darauf nehmen oder dich verstehen. Die Schwierigkeit
allerdings für den Hörer beginnt bereits ganz am Anfang deines Geständnisses.
Wie soll er reagieren?
„Ich muss dir was sagen … ich habe eine Angststörung.“
Es gibt gefühlt tausende Möglichkeiten einer Reaktion. Der Vollständigkeit halber hier ein paar, die du definitiv nicht wählen solltest:
„Ja, ich hab auch Höhenangst. Wenn ich auf einem Balkon stehe, werde ich ganz unruhig.“
„Angst? Hä, hat doch jeder.“
„Wieso hast DU denn psychische Probleme? Du hast doch das perfekte Leben!“
„Meine Großmutter hatte auch Depressionen.“
„Okay. Heißt das, dass du bekloppt bist oder so?“
„Oh nein, nicht schon wieder die Schiene. Musst du dich immer so in den Vordergrund drängeln?“
Und mein persönlicher Favorit: „Du musst doch keine Angst haben.“
Wenn du einen dieser Sätze wählst, hast du es verdient, instant einen Tritt gegen das Schienbein verpasst zu bekommen. Wie aber sollst du denn bitte sonst reagieren? Ganz einfach. Ich nenne es gerne die Dreifaltigkeit des Einfühlungsvermögens. Die kannst du bei so ziemlich jedem Geständnis wählen.
Schritt Eins: Geehrt fühlen
Wieso? Weil du der Person, die gerade das Geständnis ihres Lebens macht, offensichtlich ziemlich viel bedeutest. Sie hat Vertrauen zu dir und zwar so viel, dass sie dir ihre intimsten und verletzendsten Geheimnisse anvertraut. Sie rechnet damit, dass du liebevoll mit ihr umgehst, weil du anscheinend so ein toller Mensch bist. Sie respektiert dich. Respektiere bitte auch sie. Also: Wenn dir jemand von seinen tiefsten Dämonen erzählt, fühle dich geehrt. Werde dieser Ehre aber auch gerecht und bedanke dich erstmal für das entgegengebrachte Vertrauen. Es bedeutet enorm viel.
Schritt Zwei: Zuhören und Fragen stellen
Bitte an dieser Stelle keine hohlen Phrasen oder unüberlegte Sprüche raushauen! Erstmal zuhören. Du hast keine Ahnung davon, wie sich die Störung bei der Person dir gegenüber auswirkt. Keine Sätze à la: „Ach ja, Depressionen. Das heißt, dass du immer traurig bist.“ Nein! Einfach nein! Das löst einen spontanen Kotzreiz bei der oder dem Gestehenden aus. Einfach zuhören. Erklären lassen. Nachfragen. Was bedeutet das für dich? Wie wirkt es sich bei dir aus? Sei neugierig, sei aufmerksam. Du kannst ziemlich viel von der Person da lernen. Häufig fehlt übrigens auch einfach jemand, dem man alles erzählen kann und der zuhört. Reden ist die halbe Therapie (und bei vielen sogar beinahe die ganze). Denn häufig haben Menschen mit psychischen Problemen viel zu lange alles heruntergeschluckt, um bloß nicht aufzufallen. Wenn das Ganze ein bisschen länger dauert, setzt euch zusammen auf ein kuscheliges Sofa und holt Popcorn raus. Das lockert auch die Stimmung etwas auf.
Schritt Drei: Da sein
Was bei mir instant ein paar Tränen in die Augen treibt ist der Satz: „Wenn es etwas gibt, was ich für dich tun kann, dann bin ich für dich da. Sag einfach Bescheid.“ Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass du es auch ernstmeinst. Wenn nicht, dann lass es bitte auch. Was oft fehlt, ist einfach jemand, zu dem man immer kommen kann. Ein Vertrauter, der Bescheid weiß und auf meine Bedürfnisse achtet. Der keine klugen Tipps gibt, sondern fragt: „Was brauchst du und was kann ich für dich tun?“ Diese Phrase ist unglaublich wichtig. Sie sollte nicht hohl sein. Denn wenn dieser Satz fällt, kommt er einer gewissen Verpflichtung gleich. Einem Depressiven zu sagen, man ist immer für ihn da, und dann bei der ersten Krise nach Malibu abzuhauen und nicht mehr ans Telefon zu gehen, ist eins der größten Verbrechen der Menschheit. Sei da. Sei einfach da.
Ehrlicher Tipp:
So ein Geständnis fühlt sich erstmal unangenehm an und zwar für beide Seiten. Das ist ein ziemlich großes Pferd, was dir da vorgeführt wird. Natürlich wirst du dich erstmal überfordert fühlen. Das ist normal, das ist menschlich. Kommuniziere deine Gefühle ruhig. Wenn du weinen musst, weil dir jemand gerade davon erzählt, wie er als Kind misshandelt wurde, dann weine. Es zeigt deinem Gegenüber, dass du zuhörst und ein Herz hast. Sag ruhig: „Wow, das ist jetzt schon ein ganz ordentlicher Brocken. Das muss hart für dich sein. Ich bewundere es, wie du damit klar kommst. Du musst schon ziemlich stark sein.“ Denn nach dem Gespräch kommt logischerweise die Frage auf, wie ihr jetzt damit umgeht. Das muss jeder für sich selbst ausmachen.