Studieren an sich kann schon ziemlich schwer und überfordernd sein. Jeder Student der Welt kann davon ein Liedchen singen. Wie aber ist es, wenn man nicht nur mit nervigen Klausuren und langweiligen Profs kämpfen muss, sondern auch mit den eigenen Dämonen im Kopf? Kleiner Spoiler: Nicht einfacher.
Leider ist es so, dass die meisten Studis mit psychischen Problemen nicht offen sprechen. Das liegt selten an ihnen selbst, sondern vor allem an der Angst vor Stigmatisierung und Unverständnis. Ich selbst habe phänomenale acht Semester gebraucht, um überhaupt jemandem an der Uni von meinen Problemen zu erzählen. Und ganz ehrlich: Diese Person, der ich mich endlich anvertraut habe, war die Behindertenbeauftragte der Universität. Muss das sein? Ja, weil psychische Störungen als Behinderung gelten. Wie man das findet, kann jeder mit sich selbst ausmachen. Ich selbst habe damit kein Problem. Wo soll auch die Trennlinie zwischen körperlichen und seelischen Krankheiten gezogen werden? Aber das ist ein anderes Thema.
Dieser Artikel dreht sich vornehmlich um die beiden größten Probleme, die sich mir persönlich beim Studieren stellen: Anwesenheit und Dasein. Aufgrund meiner Angststörung ist es mir zeitweise mehr oder weniger unmöglich, auch nur das Haus zu verlassen. Wie soll man da zu Seminaren oder Vorlesungen gehen? Ganz einfache Antwort: Gar nicht.
Das führt allerdings zu logischen Konsequenzen. Bei Vorlesungen ist es vor allem die Schwierigkeit, an Lehrstoff zu gelangen und diese um die Ausführungen des Profs zu erweitern. Die Vorlesungsfolien sind zwar meistens im Internet zu finden, wenn auf denen allerdings jeweils nur drei Worte stehen, ist der Interpretationsrahmen grenzenlos. Ein paar Mal ist es mir tatsächlich passiert, dass mir in der Prüfung erst klar geworden ist, wie die Folien gemeint waren. Ich selber kann darüber lachen, die Profs eher nicht.
Bei Seminaren stellt sich eine ähnliche Schwierigkeit ein. Wenn man in den Sitzungen nicht anwesend ist, weiß man logischerweise oft genug nicht, was eigentlich gerade Thema ist. Kommt man dann doch mal dazu, einer Veranstaltung beizuwohnen, weiß man als Einziger nicht Bescheid, was besprochen wurde.
Seminare bieten allerdings noch eine weitere Unannehmlichkeit: Es fällt auf, wenn man nicht da ist. Bei Vorlesungen mit über hundert Teilnehmern interessiert sich der Dozent selten für den einzelnen Studenten. Wie sollte er sich auch die ganzen Gesichter merken? Bei Seminaren, in die sich selten mehr als zwanzig Studis mit Namen eingetragen haben und Dozenten gerne Anwesenheitslisten führen, ist man aber schnell der „Name ohne Gesicht“. Wenn man es dann schafft, zum eigenen Vortrag zu erscheinen, können Dozenten selten ihr Unverständnis und ihre Enttäuschung verbergen.
Kann ich das verstehen? Absolut. Denn für die Dozenten erscheint jeder fehlende Student als potentieller Faulpelz, der das Seminar offensichtlich nicht ernst nimmt. Verständnis kann man für beide Seiten einfordern. Und genau das tue ich jetzt: Liebe Dozenten, nicht alle chronisch abwesenden Studenten sind faul und finden euch oder eure Themen langweilig. Ehrlich, ich fand bis jetzt alle toll und hätte es noch besser gefunden, wenn ich ihnen wirklich hätte folgen können. Das konnte ich aber nicht. Das ist nicht böse gemeint. Das hat nichts mit euch oder euren Seminaren zu tun, sondern nur mit mir.
Was aber kann man jetzt tun? Regel Nr. 1: Man kann immer was machen. Also: Bei Vorlesungen bietet es sich an, Verbündete zu finden. Wen kennst du, der dir Mitschriften anfertigen und dir bei Fragen zur Seite stehen kann? Musst du ihn einweihen? Nein, eigentlich nicht. Du kannst auch vage bleiben und einfach sagen, dass dir der Zeitpunkt der Vorlesung nicht in den Plan passt. Desto offener du bist, umso verständnisvoller kann dein Gegenüber aber sein (Vorsicht, es gibt auch chronisch Unverständige da draußen!). So ein eingeweihter Verbündeter ist übrigens auch dann toll, wenn man es doch einmal in eine Vorlesung schaffen will. Der kann dann ganz super Händchen halten (oder dich nach Hause bringen, wenn es doch nicht geht).
Du brauchst aber oft auch nicht unbedingt jemanden, der dir hilft. Das ist von Fach zu Fach und von Prof zu Prof wirklich unterschiedlich. Die meisten meiner Klausuren habe ich geschafft, ohne auch nur einmal in der Vorlesung gewesen zu sein. Das sollte zwar nicht Hauptweg sein, ist aber manchmal eben einfach nicht zu vermeiden. Schau dir die Folien an, lies dir die Fachliteratur durch, vieles erklärt sich auch von selbst. Im schlimmsten Fall gilt auch mal: Mut zur Lücke. Du verstehst eine Folie nicht? Keine Panik, es gibt noch 259 weitere, die du ganz gut hinbekommst. Die Klausur selbst ist ein anderes Thema.
Auch bei Seminaren bieten sich Verbündete an. Die sollten allerdings nicht unbedingt immer vorher gesucht werden, denn dass ihr beide im selben Seminar landet, ist nicht gegeben. Schau dir bei der ersten Sitzung einfach an, wer da ist. Wer von denen könnte dir helfen? Wen von denen willst du anschreiben, um dir Unterlagen zu besorgen oder ihm Fragen zu stellen? Natürlich kannst du auch einfach den Dozenten einweihen. Hier kommen wir zum letzten Tipp.
Mal ehrlich, Dozenten reagieren auf das Thema psychische Probleme genauso unterschiedlich wie der Rest der Menschheit. Es gibt solche, die dir für deine Offenheit danken und dir wirklich helfen wollen. Und es gibt die, die dir deine Störung zum Vorwurf machen und sagen, dass du dir bessere Ausreden einfallen lassen sollst. Eins solltest du aber auf jeden Fall berücksichtigen: Dozenten und Profs haben keine Schweigepflicht. Manche von denen reden unverhohlen über deine Probleme und das selbst kann zu einem Problem werden. Ich will niemandem unterstellen, nur auf diese Möglichkeit gewartet zu haben, aber es kann vorkommen.
Ein Vorteil von eingeweihten Dozenten, die verständnisvoll reagieren, ist es natürlich, dass du dir selbst enorm viel Druck von den Schultern nimmst. Du kannst mal wieder nicht zu einer Sitzung erscheinen? Kurze Mail an den Lehrenden, alles gut. Wenn er richtig nett ist, schickt er dir direkt die Unterlagen zu. Außerdem kannst du mit dem Dozenten über mögliche Schwierigkeiten des Seminars sprechen. Du sollst einen Vortrag halten, hältst es aber nicht aus, vor anderen Menschen zu stehen? Du kannst zu den praktischen Übungen nicht erscheinen, weil du Angst vor geschlossenen Räumen hast? Für die meisten Probleme gibt es Lösungen. Das ist allerdings wie bei fast allen Dingen an einer Universität abhängig vom jeweiligen Dozenten. Du kannst Glück haben, du kannst Pech haben. Wie immer im Leben. Rein theoretisch hast du allerdings bei einer nachgewiesenen psychischen Beeinträchtigung ein Recht auf Nachteilsausgleich. Dieses Thema wird in einem späteren Beitrag behandelt.
Ist es also möglich, mit psychischen Problemen zu studieren? Ja. Definitiv. Nicht so, wie andere, aber du kannst es. Es gibt für die meisten Herausforderungen Lösungen. Schwierig wird es allerdings dann, wenn du niemandem von deinen Dämonen erzählen möchtest. Wie so oft, wenn es um psychische Störungen geht, ist Hilfe auch beim Studieren einfach unerlässlich. Und wieso eigentlich nicht? Wenn du es schaffst, dir da draußen im harten, echten Leben Hilfe zu organisieren, wieso solltest du es dann an der Uni nicht schaffen?
Wenn man es aus persönlichen Gründen reihenweise nicht in Vorlesungen und Seminare schafft, kann es auch schnell passieren, dass das Semester vorbei ist und die Prüfungen anstehen. Dann hat man zwei Möglichkeiten: Schreiben oder nicht schreiben.
Wenn du deine Prüfungen schreiben kannst, ist alles gut. Soweit du dadurch nicht hart getriggert wirst und mitten drin aus dem Raum rennen musst, die Prüfung irgendwie hinter dich bringen kannst und dir einigermaßen sicher bist, eine passable Note abzuliefern, solltest du sie schreiben. Denn wenn Prüfungen eines nicht tun, dann ist das verschwinden. Leider. Ist aber auch bei jedem Studenten dasselbe.
Wenn du allerdings in der Prüfungszeit oder am Prüfungstag krank wirst, ist es kein Beinbruch, die Prüfung zu streichen. Das geht bei den meisten Universitäten innerhalb einer gewissen Frist (bei uns ist es bis eine Woche vor Prüfungstag) ohne Angabe von Gründen, danach brauchst du ein ärztliches Attest. Soweit, so gleich bei allen Studis.
Mir ist es bisher in insgesamt drei Semestern nicht gelungen, auch nur eine einzige Prüfungsleistung abzulegen. Das hat verschiedene Gründe, im Kern sind sie allerdings alle gleich: Es ging einfach nicht. Mal war ich die ganze Prüfungszeit über krank (fette Erkältung mit Nasennebenhöhlenentzündung), mal konnte ich mich einfach wegen meiner Angst und der Depression kein Stück weit konzentrieren. Die Tage habe ich damals auf der Couch bei zehn Staffeln Supernatural verbracht.
Was aber, wenn es wirklich nicht geht und sich langsam die Semester ohne Prüfungen ansammeln? Tatsächlich ist es so, dass hier zwei Probleme im Raum stehen. Nummer Eins: Die Exmatrikulation. Hässliches Wort. Meist ist es so, dass nach drei aufeinanderfolgenden Semestern ohne Prüfungen ein „klärendes Gespräch“ mit der Uni ansteht. Da soll dann darüber gesprochen werden, warum es dem Studenten nicht möglich war, Prüfungen abzulegen. Das konnte ich mir bis jetzt ersparen.
Das zweite Problem: Die Regelstudienzeit. Keine Panik, die allerwenigsten Studis schaffen es in dieser vorgegebenen Zeitspanne, einen Studienabschluss hinzubekommen. Verlangt auch niemand von dir. Es geht nicht darum, schnell fertig zu werden, sondern eigentlich viel zu lernen. Auch auf persönlicher Ebene.
Ungemütlich wird es allerdings an Universitäten, die nach einer gewissen Zeit Langzeitstudiengebühren erheben. Bei uns ist das ab dem elften Semester der Fall. Das ist schneller erreicht, als man bipolare Störung sagen kann. Ich bin wie gesagt inzwischen im achten Semester angelangt und habe gerade einmal ein bisschen mehr als die Hälfte der Prüfungen hinter mich gebracht. Damit bin ich beim besten Willen nicht allein. Jetzt ist es allerdings so, dass du ja eigentlich nichts dafür kannst, dass du keine Seminare besucht und Prüfungen geschrieben hast. Es ist deine Störung, die dir das unmöglich macht. Hier zählt eine Person mit psychischer Beeinträchtigung genauso wie jeder andere chronisch Kranke. Du hast Rechte. Nur kennst du die wahrscheinlich nicht.
Der erste Schritt, wenn du merkst, dass es alleine nicht mehr geht, sollte in Richtung Beratung gehen. Viele Universitäten bieten diese inzwischen für Personen mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung an. Die Damen und Herren sind meistens etwas verständnisvoller als der Bevölkerungsdurchschnitt, mach dir darüber also keine Sorgen.
Mein Weg führte tatsächlich auch zu der Beratungsstelle und ich muss zugeben: Beste Entscheidung meines gesamten Studentenlebens (mal abgesehen von der Party mit Cocktails im Maßkrug, kein Scherz). Hier habe ich tatsächlich endlich mal etwas über meine Rechte erfahren. Und die sind wie folgt:
1. Das Urlaubssemester
Wenn du davon ausgehen kannst, dass du im nächsten Semester auch keine Prüfungen oder Vorlesungsbesuche hinbekommst, weil du dich zum Beispiel voll und ganz auf deine Therapie konzentrieren möchtest, kannst du ein Urlaubssemester beantragen. Ein Formular findet man auf jeder guten Universitätshomepage. Urlaubssemester kann man sich nicht nur bei persönlichen Krisen (z.B. Tod eines Angehörigen) oder einer körperlichen Erkrankung organisieren, sondern auch bei psychischer Beeinträchtigung. Oft ist die Anzahl der möglichen Freisemester begrenzt (bei uns sind es maximal zwei aufeinanderfolgende Semester). Jetzt kann man allerdings nicht davon ausgehen, dass es dir nach zwei freien Semestern unbedingt wieder besser geht. Wenn es später erneut zu einer Krise kommen sollte, kann dir eigentlich niemand diese Calm-Down-Zeit nehmen. Wichtig ist hierbei natürlich, dass du deine Beeinträchtigung darlegst und erklärst. Hierfür brauchst du vor allem zwei Dinge: Mut und ein ärztliches Attest.
2. Der Nachteilsausgleich
Hier geht es nicht um den Ausgleich von Noten (wie man es ja bei der Abiturnote machen kann), sondern um die Verlagerung von Prüfungsleistungen. Du hast eine Sozialphobie und kannst partout nicht vor Menschen sprechen? Dann ist es möglich, eine mündliche in eine schriftliche Prüfung umzuformen. Du kannst absolut nicht mit 150 anderen Menschen in einem Raum sitzen? Dann kannst du beantragen, dass du die Prüfung in einem separaten Raum schreiben kannst. Es geht also schlicht darum, eine Prüfung in eine andere Form zu bringen. Was der Nachteilsausgleich nicht bedeutet, ist die Bevorteilung einzelner Personen. Prüfungen ganz streichen geht also nicht (wäre auch wirklich unfair, oder?). Der Gedanke dabei ist, dass manche Studenten aufgrund ihrer persönlichen Veranlagungen bestimmte Leistungen nicht auf die Art und Weise erbringen können wie der Durchschnitt. Ein Blinder kann ja auch keine schriftlichen Prüfungen schreiben und ein Gehbehinderter schafft wahrscheinlich nicht den 100-Meter-Lauf in der vorgegebenen Zeit.
Leider ist es häufig so, dass Dozenten nicht gerade begeistert sind, wenn du sie um einen Nachteilsausgleich bittest. Das kommt tatsächlich auch auf die Studienrichtung an. Je Fachfremder der Studiengang von Psychologie ist, umso verständnisvoller sind tatsächlich häufig die Dozenten. Wenn du also wie ich Psychologie studierst, viel Erfolg. Wieso das so ist? Ein Dozent kann den Antrag verweigern. Möglicherweise ist ein Nachteilsausgleich bei diesem spezifischen Fach schlicht nicht möglich, vielleicht ist der Dozent aber auch einfach zu faul, deine Vorschläge umzusetzen. So oder so solltest du bei einem Nein auf jeden Fall bei deiner Beratungsstelle nachfragen und gegebenenfalls andere Instanzen hinzuziehen. Das können zur Vermittlung auch andere Dozenten sein (die du vielleicht schon besser kennst und die einen guten Draht zum Verweigerer haben).
3. Streichen von Fachsemestern
Wenn dir im Nachhinein auffällt, dass du mit deiner Studienzeit langsam am Langzeitstudenten kratzt, kannst du einen formlosen Antrag auf Streichen von Fachsemestern stellen. Da bin ich gerade dran. Auch hier musst du natürlich deine Beeinträchtigung nachweisen und erklären, warum es dir in der Zeit nicht möglich war, Prüfungsleistungen abzulegen. Ein ärztliches Attest ist dementsprechend unabdingbar. Ob der Antrag bewilligt wird, liegt in den Händen der Universität. Wenn der Antrag abgelehnt wird, solltest du auf jeden Fall nach den Gründen der Ablehnung fragen. Vielleicht hast du deine Situation einfach noch nicht nachvollziehbar genug darlegen können oder das Attest war mangelhaft.
Was hab ich jetzt von dem Artikel?
Es gibt also durchaus einige Möglichkeiten für Studierende mit psychischer Beeinträchtigung, sich selbst das Studium etwas zu erleichtern. Gerade das Streichen von Fachsemestern und die Beantragung von Urlaubssemestern nimmt enorm viel Druck von den Schultern. Es fühlt sich einfach besser an, im fünften Semester zu sein und nicht im achten. Für deine Situation kannst du nichts. Wie du damit umgehst, liegt allerdings sehr wohl zu großen Teilen in deiner eigenen Hand.
Das Problem ist, dass diese Anträge und Termine sehr viel Kraft rauben können. Gerade in akuten Phasen ist das oft schlicht unmöglich. Wie oben schon geschrieben, sind die Beratungskräfte allerdings äußerst geduldig. Es macht also absolut nichts, wenn du einen Termin verschiebst oder den Antrag eine Woche später einreichst. Achte allerdings auch hier auf die vorgegebenen Fristen (die je nach Universität variieren). Bei uns ist es so, dass ein Urlaubssemester auch noch im laufenden Semester beantragt werden kann, wenn es gut begründet wird.
Du hast zwar mit deinen Dämonen zu kämpfen, aber du hast auch Rechte. Genauso wie jeder andere Mensch auch. Genauso wie jeder andere Student auch. Studieren mit psychischen Problemen ist verdammt schwer, aber das ist eigentlich alles im Leben, oder? Steh für dich ein, das steht dir zu.