Vom Kämpfen und Aufgeben

Wenn man eine Krankheit hat, dann richtet sich beinahe alles auf das Klarkommen aus. Man kämpft jeden Tag oder versucht es zumindest. Die Welt ist voll mit Motivationssprüchen à la „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“. Klingt auch wirklich gut. Ist nur oft genug einfach nicht möglich – und das ist okay.

Wir alle kämpfen für irgendwas in unserem Leben. Für unsere Träume, Ziele oder einfach nur um die Existenz. Jeder von uns gibt jeden Tag so viel, wie er kann. Das ist bei Menschen mit psychischen Problemen nicht anders. Wir kämpfen zwar für etwas anderes, der Kern bleibt aber immer derselbe. Wir kämpfen auch für unseren Studienabschluss oder eine gute Arbeitsstelle. Wir kämpfen für unsere Kinder, die Liebe oder um das letzte Sonderangebot. Wir kämpfen aber noch um etwas anderes: Wir kämpfen um uns selbst.

Manchmal ist es leichter. Dann gehe ich jeden Tag aus dem Haus, sitze mit Freunden am See und grille oder stelle mich meinen größten Ängsten. Manchmal ist es schwerer. Dann liege ich nur zu Hause, stehe auf, wenn andere schon von der Arbeit nach Hause kommen, und schiebe Termine ohne Ende auf. Ich vertröste Menschen auf später, weil ich weiß, dass es später besser sein wird. Wann später ist? Später halt. Nicht jetzt. Alles andere ist im Moment nicht wichtig und macht nur Druck.

Wann muss es mir wieder besser gehen? Was ist normal, wo fängt die Anormalität an? Was ist Heilung, was Selbstzerstörung? Und vor allem: Wer legt das alles fest? Ich selbst? Mein Therapeut? Der Hausarzt? Die Familie?

Mir kommt es oft so vor, als sei unsere Gesellschaft vor allem auf das Funktionieren ausgerichtet. Ein kleines, nicht ganz so geheimes Geheimnis am Rande: Niemand funktioniert immer. Niemand funktioniert so, wie man es sich wünscht. Und nichts ist so, wie man es plant. „Du musst dich nur mal durchbeißen“, sagen sie und träumen selbst von mehr Urlaub und Ruhe. Wer von uns zerstört sich mehr? Wer von uns hat mehr vom Leben?

Der Kampf um das Selbst ist der schwerste, den man ausfechten kann. Er ist nie beendet, egal, wie sehr wir es uns auch wünschen. Schwäche, Aufgeben, Unzulänglichkeit – das alles ist ziemlich mies, wenn eins der Symptome der Störung darin besteht, dass man sich selbst grundsätzlich schon immer Vorwürfe macht.

Es ist okay, aufzugeben. Es ist okay, mal nicht so zu können, wie man gerne möchte. Eigentlich ist es doch bei jeder Krankheit gleich: Wenn es dir nicht gut geht, bleib zu Hause und ruh dich aus. Ruf deinen Arbeitgeber an, streiche Termine. Egal, ob du unter einer Grippe, einem Magen-Darm-Infekt oder einer Depression leidest.

Hier kommt allerdings das nächste Problem: Ein Magen-Darm-Infekt dauert im Schnitt drei Tage. Eine Grippe zwei Wochen. Eine Blinddarmoperation mit anschließender Genesung drei Wochen. Eine Depression im schlimmsten Fall ein Leben lang. Die kann man also wohl eher mit einer chronischen Krankheit vergleichen. Bei denen sind Mitmenschen auch gerne ungeduldig. Arthrose, entzündliche Darmerkrankungen, Asthma. Betroffene dieser Krankheiten dürfen sich im Grunde dieselben Vorwürfe anhören wie Menschen mit psychischen Problemen. Wieso? Weil die Leute die Krankheit nicht auf den ersten Blick sehen können? Weil sie grundsätzlich denken, dass alle immer übertreiben? Ist das ein Grund? Bin ich daran schuld? Oder ist es eher deiner eigenen Unzulänglichkeit zuzuschreiben, dass du so wenig empathisch bist?

Ich kämpfe. Ich gebe auf. Ich kämpfe weiter. So ist das Leben. Worum ich kämpfe, kann dir eigentlich herzlich egal sein. Ob es jetzt der Traumjob ist oder die fünfstündige Zugfahrt. Ich respektiere deinen Kampf, tu du bitte bei mir dasselbe. Du darfst aufgeben. Ich darf aufgeben. Du darfst dir deine Zeit nehmen. Ich nehme mir meine. Keiner kann dir vorschreiben, wie lange du zu brauchen hast, bis es dir besser geht. Und wenn sie es doch tun, zeige ihnen deinen Lieblingsfinger (bei mir ist es der kleine).

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