Wenn man eine Zeit lang unter psychischen Problemen leidet, bekommt man mehr oder weniger häufig Sprüche zu hören à la „Stell dich halt nicht so an, es muss nicht immer alles nach dir gehen.“
Autsch. Einfach autsch. Das tut verdammt weh. Gerade dann, wenn man sich krankheitsbedingt dauernd dasselbe erzählt, braucht man von außerhalb nicht noch die Bestätigung. Geht es immer wirklich nur um mich? Schiebe ich mich so sehr in der Vordergrund?
Wenn ich beim Arzt sitze und nach einer halben Stunde Wartezeit so viel Panik habe, dass ich kaum atmen kann, gehe ich zur Sprechstundenhilfe und frage, ob ich bald drankommen könnte, weil es mir störungsbedingt gerade sehr schlecht geht. Vertraute verstehen das. Wenn allerdings eine neue Arzthelferin da sitzt, habe ich keine Chance. „Die warten alle, da können sie genauso sitzen.“ Wie erklärt man da in wenigen Sekunden, unter welcher komplexen Störung man leidet? Würde sie überhaupt zuhören?
Tatsächlich hatte ich einmal so Schnappatmung im Wartezimmer, dass ich fast umgekippt bin. Mir ging es kurz gesagt hundeelend. War der Sprechstundenhilfe egal. „Nur fast umgekippt? Übertreiben Sie mal nicht so.“ Ich hab mich dann wieder getrollt. Zu dem Arzt bin ich nie wieder gegangen.
Im Bus brauche ich ein wenig Platz für mich. Busfahren ist an sich schon eine ziemliche Herausforderung für mich, aber wenn der Bus voll ist, muss ich alle Ressourcen zusammenkratzen, um überhaupt einzusteigen. „Entschuldigung, könnten Sie vielleicht etwas rutschen?“ – „Wir haben alle keinen Platz, stell dich halt nicht so an.“
Ich könnte die Liste womöglich unendlich lang fortsetzen. Im näheren Umfeld ist es übrigens häufig leider nicht viel anders, wobei sich hier eine abgeschwächte Form zeigt. Ich habe extreme Angst davor, Zug oder S-Bahn zu fahren. Wenn es dann am Wochenende in die Stadt geht, will ich mit dem Auto fahren. Ist aufwändiger und nerviger, weiß ich. An schlechten Tagen oder in schlechten Zeiten kann ich aber wirklich nicht in eine S-Bahn einsteigen, ohne einen Heulkrampf zu bekommen. Oft bin ich mutig. Manchmal will ich das aber bewusst nicht sein. „Muss das sein? Ehrlich? Du kannst es doch einmal probieren.“ Wenn ich das verneine, ist meistens Ruhe. Dann fühle ich mich allerdings auch immer schlecht. Es geht immer nur nach meinem Kopf. Immer kriege ich das, was ich will. Oder?
Kriege ich nicht vielleicht einfach das, was ich brauche? Wenn eine Sache partout nicht geht und ich das weiß, soll ich mich bewusst selbst unterdrücken? Oder soll ich zu dem stehen, was ich brauche? Wenn ich im Zug nicht rückwärtsfahren kann und den Typen gegenüber frage, ob wir Platz tauschen können, weil ich ihn sonst vollkotzen werde, ist es dann nicht dasselbe? Da hat noch nie jemand zu mir gesagt: „Stell dich halt nicht so an.“
Oder was sagt jemand mit Diabetes, wenn ihm ein Tortenabend angeboten wird? Oder was sagt jemand mit Asthma, wenn er auf eine Radtour über die Alpen eingeladen wird? Dürfen die absagen? Heißt es dann auch „Stell dich halt nicht so an, erstick halt einfach.“
Wahrscheinlich ist es wieder die Sache mit körperlich und psychisch. Emotionen soll man unterdrücken können, einen Niesreiz nicht. Oder Kotzreiz. Oder der Typ gegenüber hat mehr Angst davor, dass ich ihm auf das MacBook reihere und weniger, dass ich weiß anlaufe und Schnappatmung bekomme. Das geht ihn dann einfach nichts an.
Es tut weh, gesagt zu bekommen, dass sich immer alles nach mir richten muss. Das tut es auch nicht. Aber ich habe eine Stimme und die gebrauche ich. Du hast keinen Bock, Auto zu fahren? Okay, dann kann ich nicht mitkommen. Ich soll mich wieder ins Wartezimmer verkrümeln? Sorry, keinen Bock drauf, dann geh ich halt. Ich bin eine mündige, starke, junge Frau und ich kann für mich einstehen. Wenn dir das nicht passt, okay. Denn für mich wird es in meinem Leben jetzt viel häufiger um mich gehen. Ich stehe für mich ein. Ich stehe für meine Bedürfnisse ein. Und darauf bin ich verdammt stolz.