Erste Hilfe bei psychischen Symptomen

Ich wurde in den letzten Monaten sowohl offline als auch online mehrfach gefragt, was man als Außenstehender bei etwaigen psychischen Symptomen tun kann. Kann ich als Freund ein Flashback unterbrechen? Oder mache ich eine Panikattacke nur schlimmer, wenn ich interveniere? In Ruhe lassen oder eingreifen? Hier meine Antwort.

Aber: Das hier ist nur das, was mir hilft und was ich mir von anderen Menschen wünsche. Da psychische Erkrankungen hochgradig individuell sind, sowohl in Bezug auf die Ursache als auch auf die Intensität, Ausprägung, Dauer etc., helfen auch ganz unterschiedliche Dinge. Von daher mein Tipp: Frag vorher! Wenn du weißt, dass eine Person in bestimmten Situationen (zum Beispiel unter Stress oder im Fahrstuhl) heftig reagiert, dann klärt doch einfach in einem ruhigen Moment ab, was helfen könnte und wie du dich verhalten solltest.

Denn Hilfe ist immer gut, aber nur dann, wenn sie auch gewünscht ist. Alles andere ist übergriffig und kann in der jeweiligen Situation auch tatsächlich vieles schlimmer machen. Die meisten Betroffenen sind in einem akuten psychischen Ausnahmezustand tatsächlich auch noch in der Lage zu sprechen, also frag spätestens hier nach – und fang dann bitte nicht an zu diskutieren. Es ist mir nämlich auch schon passiert, dass ich mir gewünscht habe, die Situation zu verlassen, und mein Gegenüber so: „Nee, da musst du jetzt durch.“ Danke. Nicht hilfreich.

Also, was hilft mir denn bei meinen Symptomen, bei denen ich denke, akut sterben oder durchdrehen zu müssen? Hier meine Top 3.

 

Panik

Wenn ein Mensch Angst hat, fährt die Hälfte seines Körpers hoch und die andere herunter. Herzschlag und Atmung zum Beispiel werden intensiver, die Muskelspannung nimmt zu und sogar dein Sehvermögen verbessert sich. Im Gegenzug stellt dein Körper die Verdauung ein (oder versucht kurzfristig noch, alles loszuwerden, ich sag nur „Stresspinkeln“). Gleichzeitig fühlt es sich so an, als müsstest du fliehen oder jemanden hauen – der Psychologe sagt dazu „Fight or flight“ (kämpfe oder fliehe).

Den offensichtlichen körperlichen Reaktionen passt sich auch die Psyche an – oder andersherum, je nachdem, wie man das sehen möchte. Du fühlst also die Angst. Du fühlst die Stresshormone, die dein System überfluten, Tränen steigen dir in die Augen, du willst nicht mehr.

Das Gute dabei: Angst nimmt wieder ab. Zwar nicht allzu schnell, der Körper lässt sich schon gerne mal eine dreiviertel Stunde Zeit, aber irgendwann hat dein Körper genug Adrenalin produziert und braucht eine Pause. Oder du merkst, dass die anderen Passagiere im Bus dir gar nichts tun wollen. Trotzdem ist der Zustand sehr unangenehm, vor allem dann, wenn er plötzlich auftaucht, dich überrollt und dann ewig nicht wegzugehen scheint.

Was also tun? Du wendest möglicherweise deine Skills an (Igelball, Akupressur, Lavendelöl, Kaugummi kauen), aber so wirklich will das auch nicht helfen. „Ich habe Angst“, flüsterst du, oder: „Ich krieg grade keine Luft mehr.“ Dein Freund oder deine Freundin neben dir schaut dich an. Verdammt! Die oder der wird gerade ziemlich blass. Ihr braucht einen Masterplan, sonst dreht ihr gleich beide durch.

Was mir als Betroffene in diesem Moment wirklich als allererstes hilft, ist die Möglichkeit für mich, meine Panik auszusprechen. Wenn dann kein blöder Spruch kommt, nimmt meine Angst zu mindestens zwanzig Prozent von selbst ab. Versuche es also mit einem: „Das ist okay. Wir stehen das durch.“ Und dann steht das auch zusammen durch. „Kann ich etwas für dich tun? Willst du einen Schluck kaltes Wasser? Willst du dich hinsetzen oder lieber herumlaufen?“ Wenn du merkst, dass der/die Betroffene gerade keine Antwort darauf hat, erinnere dich im besten Fall daran, was ihr vorher ausgemacht habt. Wenn ihr nichts ausgemacht habt, hier meine Tipps:

Laufen. Erinnert euch an dieses „Fight or flight“-Ding. Da ihr mit eurer/eurem BFF (sagt man das überhaupt noch?) vermutlich nicht kämpfen wollt, braucht er oder sie Bewegung. Spaziert eine Runde zusammen über den Marktplatz, steigt eine Bushaltestelle früher aus und lauft den restlichen Weg, macht den Flur der Uni oder Schule unsicher und das so lange, bis die Angst deutlich zurückgegangen ist.

Skills. Der oder die Betroffene hat vermutlich eine ganze Kiste davon dabei, kann sich aber gerade nicht mehr daran erinnern. Wenn nicht, gibt es viele alltägliche Gegenstände, die hilfreich sein können. Kaltes Wasser zum Beispiel (also trinken, nicht ins Gesicht schütten), scharfer Kaugummi, eine Handmassage, gemeinsames Tief-Durchatmen, Blickkontakt, über ein Thema sprechen, das euch beide begeistert oder eine Sache, auf die ihr euch zusammen freut. Oder sprecht über unwichtige Dinge. Zählt zusammen von 100 rückwärts und zwar in 14-er-Schritten.

Da sein. Wenn ich im Panikmodus bin, fühle ich mich instant alleine und ausgeliefert. Zeige also, dass du nicht weggehst, sondern ihr das gemeinsam durchsteht. Wenn ihr euch nahesteht, können auch leichte Berührungen helfen. Aber Vorsicht, das kann auch kontraproduktiv sein, wie eine feste Umarmung bei Atemnot. Eine Hand auf der Hand reicht häufig bereits aus.

 

Flashback

Ich bin ehrlich, so ein Flashback ist hässlich – sowohl für die Person, die es durchstehen muss, als auch für den Menschen, der scheinbar hilflos zusehen muss. Was bei einem Flashback hilft, ist stark davon abhängig, wie lange es anhält und wie intensiv es ist. Es gibt traumatisierte Menschen, die ein Flashback in einen Krampfanfall schicken kann. Damit kenne ich mich nicht aus, weshalb ich hierfür leider keine Tipps habe.

Um zu wissen, was man im Fall der Fälle tun kann, sollte man zuerst verstehen, was ein Flashback eigentlich genau ist. Also hier die Kurzerklärung:

Ein Flashback ist eine Erinnerung an ein traumatisches Ereignis. Im traumatisierenden Moment ist es dem Gehirn nicht möglich, Sinneseindrücke adäquat zu verarbeiten, also speichert es die Informationen falsch und unvollständig ab. Kehrt wieder Ruhe ein (meist nach mehreren Wochen bis Monaten), möchte das Gehirn diese Informationen jetzt gerne korrekt ins Langzeitgedächtnis überführen. Also spielt es die Situation wieder durch. Das Problem dabei ist, dass das Ereignis auch in der Erinnerung noch so furchtbar ist, dass das Gehirn es auch weiterhin nicht richtig abspeichern kann. Das ist der Teufelskreis der Flashbacks. Ausgelöst werden sie durch Trigger, also Dinge, die an die traumatisierende Situation erinnern – ein Geruch, ein Geräusch, ein Gefühl, ein Wort und so weiter. Während dem Flashback ist die betroffene Person wieder zurück im traumatischen Moment. Sie fühlt sich genauso hilflos wie damals, hat vielleicht sogar dieselben Schmerzen. Das ist furchtbar, unangenehm und wenig zielführend für die Genesung.

Aber was kann man dann von außen tun? Es erst einmal mitbekommen. Das ist vermutlich sogar der schwerste Teil der ganzen Sache. Denn fällt eine betroffene Person in ein Flashback, ist das von außen gar nicht so leicht ersichtlich. Hilfreich ist es vermutlich, wenn der/die Betroffene dann sagt: „Ich habe ein Flashback“, aber mal ehrlich, das ist eher unwahrscheinlich. Also achtet auf unsere Körpersprache. Krümmt sich die Person zusammen? Fällt ihr Gesicht ein? Steht da fett „Panik!“ auf der Stirn? Wird die Sprache einsilbig oder die Stimme belegt? Wird die Person vielleicht wie aus dem Nichts wütend oder traurig?

Wenn ihr jetzt den Traumahintergrund kennt, könnt ihr gut intervenieren. Als erste Frage würde ich immer stellen: „Wo bist du gerade?“ Kommt dann „Na im Bus 62 Richtung Innenstadt, die nächste Haltestelle ist Roter Turm und wir fahren gerade in die Uni“, ist alles in Ordnung. Kommt ein: „Keine Ahnung“, „Damals“ oder „Bei Person abc“, seid ihr gefragt.

Welche Tricks helfen, ist von betroffenem Menschen zu betroffenem Menschen höchst unterschiedlich. Also auch hier der Tipp: Klärt vorher ab, was gegebenenfalls als Intervention dienen kann. Möglicherweise hat auch diese Person Skills dabei, wie einen Akupressurring oder Ammoniakstäbchen. Falls nicht, helfen auch bei Flashbacks starke Reize, die in die Realität zurückführen – kaltes Wasser, scharfer Kaugummi, eine Handmassage.

Was bei Flashbacks und Dissoziationen gilt: Körperkontakt nur, wenn gewünscht. Warum? Stellt euch vor, die betroffene Person hängt gerade in einer traumatischen Situation fest und wird da gegebenenfalls gerade ziemlich unsanft angegangen. Würdet ihr da angefasst werden wollen? Nein. Also vor jeder Berührung fragen. „Soll ich dich umarmen?“ – „Darf ich deine Schulter berühren?“ und so weiter erspart euch beiden einiges.

Was bei Flashbacks genauso wie bei Dissoziationen wichtig ist, ist der Weg zurück in die Realität. Sprecht also mit der Person. Erzählt ihr, wo ihr gerade seid, was ihr gerade macht, was am Wochenende ansteht (nur wenig stressige oder erfreuliche Dinge!), oder ob sie dieses witzige Katzenvideo schon kennt. Stellt einfache Fragen und erwartet Antworten. Je mehr ihr dem Damals entgegensetzt, umso besser findet die Person zurück ins Jetzt. Wenn die Situation, in der ihr euch gerade befindet, das Flashback ausgelöst hat, verlasst die Situation. Das ist nicht wie bei anderen Angsterkrankungen, in denen man den Moment einfach aushalten muss. Also geht im Zweifelsfall.

 

Dissoziation

Klassiker: Wenn mich etwas an damals erinnert, bekomme ich ein Flashback. Wenn es mich zu sehr an damals erinnert oder ich unter extremem Stress stehe, dissoziiere ich. Der Vorteil von Dissoziationen im Vergleich zu Flashbacks ist aber, dass sie von außen meistens leichter zu erkennen sind.

Typische Anzeichen für eine Dissoziation ist eine Art roboterhaftes Verhalten auf Autopilot. Einsilbige Antworten. Fehlende Mimik oder Gestik. Laufen über die Straße, ohne nach links und rechts zu schauen. Scheinbar keine Emotionen mehr. Das trifft zu? Dann hat sich das Gehirn eures Gegenübers gerade in seinen hintersten Winkel verabschiedet. Aber wie lockt man das wieder hervor?

Bei Dissoziationen ist die passende Intervention genauso wie beim Flashback vor allem auf eine Sache ausgerichtet: Den Weg zurück in die Realität. Auch das ist mithilfe von scharfen Reizen am schnellsten und effektivsten zu erreichen. Da ihr dem Gegenüber nur gerade keinen Kaugummi in den geschlossenen Mund stecken könnt, solltet ihr eher akustische Reize nutzen. Kurz gesagt: Mein Therapeut klatscht gerne. Einmal kräftig in die Hände klatschen und die meisten Dissoziationen sollten zu Ende sein. Vorsicht aber auch hier wieder: Besser vorher absprechen. Denn die ersten Momente nach einer Dissoziation sind häufig schlimmer als die Dissoziation selbst. Fragt also nach, ob Klatschen vielleicht doch zu heftig ist. Klärt auch ab, ob eine leichte Berührung nicht angenehmer sein könnte (Hand auf Hand legen).

Was bei einer herannahenden Dissoziation hilfreich sein kann, ist das sanfte Zurückführen in das Hier und Jetzt. Das funktioniert aber nur dann, wenn die Person noch nicht komplett hineingefallen ist. Wie das gehen kann? All Time Favourite: 5-4-3-2-1.

Fragt die betroffene Person nach fünf Dingen, die sie sehen kann (Rand der eigenen Brillengläser, Gesicht des Gegenübers, Bäume, Hände), fünf Dingen, die sie hören kann (die eigene Stimme, die Stimme des Gegenübers, den eigenen Atem, das Motorengeräusch der Autos) und fünf Dingen, die sie fühlen kann (die Füße auf dem Boden, den Sitz unter dem Hintern, das T-Shirt auf der Haut, den Wind im Gesicht). Dann soll die Person vier Dinge nennen, die sie sehen kann, vier Dinge, die sie hören kann und vier Dinge, die sie fühlen kann. Dasselbe mit drei Dingen und dann zwei Dingen. Am Schluss soll die Person noch ein Ding nennen, das sie sehen kann, ein Ding, das sie hören kann und ein Ding, das sie fühlen kann. Das soll sie so lange wiederholen, bis sie sicher wieder zurück in der Realität ist.

Die Übung hilft übrigens auch gut bei Flashbacks – allerdings eben nur dann, wenn genug kognitive Ressourcen da sind. Wenn der/die Betroffene nur Dinge nennt, die sie im Flashback sehen, hören und fühlen kann, nennt selbst entsprechende Dinge in der Gegenwart: „Siehst du die Zimmerpflanze da drüben?“ – „Welche Farbe hat mein T-Shirt?“ – „Bis wohin an deinem Bein reichen deine Socken?“ (gerne mit Draufzeigen).

 

Hilfe ist besser als keine Hilfe

Aber nur Hilfe, die auch gewünscht ist und die im besten Fall abgesprochen wird. Es gibt psychische Symptome, durch die kann man zusammen durch (wie Panikattacken). Es gibt aber auch solche, die dringend unterbrochen werden müssen (wie Flashbacks oder Dissoziationen). Da hat der/die Betroffene nichts davon, das auszuhalten.

Am besten ist es immer, vorher oder in der Situation selbst zu klären, was wer gerade wie tun kann. Wichtig ist, der betroffenen Person aber auch zuzuhören und nicht zu diskutieren. Wenn ein Mensch mit Panikattacke sagt, dass sie gerade ein Glas Wasser braucht, dann holt ihr eins. Wenn die Person die Ortschaft verlassen möchte, dann geht ihr. Ihr seid nicht der Therapeut oder die Therapeutin, der/die eine spontane Konfrontationssitzung durchführen möchte.

Bemerkt die Zustände. Wenn die Person ihr Verhalten oder ihre Körperhaltung spontan ohne jeden offensichtlichen Anlass verändert, verändert sich gerade etwas im Inneren – und das selten zum Guten. Also fragt nach: „Irgendwie wirkst du auf mich gerade verändert, ist alles in Ordnung?“ oder, wenn ihr vom Traumahintergrund wisst, meine Lieblingsfrage: „Wo bist du gerade?“

Wie die Hilfe konkret aussieht, ist stark von eurem Verhältnis zur betroffenen Person abhängig. Seid ihr beste Freunde oder Fremde auf der Straße? Bei ersterem habt ihr wie gesagt im besten Fall bereits in einem ruhigen Moment darüber gesprochen. Bei letzterem hilft meistens einfach, da zu sein und Fragen zu stellen à la „Kann ich helfen?“ und das bitte vollkommen vorurteilsfrei und ohne Stress.

Mir wurde auch schon die Frage gestellt, ob es in Ordnung ist, fremde Menschen mit Panikattacke anzusprechen. Kleine Gegenfrage: Denkt ihr, die Person könnte Hilfe brauchen? Dann seid ihr nämlich dazu verpflichtet zu helfen. Also: Hingehen. Neben die Person auf die Bank setzen. Oder daneben stellen. „Brauchen Sie etwas?“ fragen. Der/die Betroffene wird euch schon sagen, ob sie Hilfe möchte oder nicht – aber bietet sie an. Respektvollen Abstand halten. Nicht einfach drauf losagieren, stabile Seitenlage nur dann, wenn der Mensch nicht mehr ansprechbar und ohnmächtig ist. Wasser anbieten. „Soll ich Sie irgendwo hinbringen?“ – „Soll ich jemanden anrufen?“ Bei einem „Nein“ gehen. Bei einem „Ja“ das tun, was die betroffene Person möchte.

Ich bin ehrlich, mir jagen psychische Symptome bei anderen Menschen auch eine ziemliche Angst ein, weil ich instant Panik davor habe, alles falsch zu machen. Aber Hinschauen ist immer besser als Wegschauen. Bei Unsicherheit hilft einfach das Nachfragen. Und wenn alle Stricke reißen, die Person nicht mehr ansprechbar ist oder gerade akut hyperventiliert, ruft einen Krankenwagen, die sind für solche Eventualitäten ausgebildet.

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