Wie so oft im Laufe eines Psychologiestudiums musste ich vor kurzem eine Studie mitmachen. Psychologiestudenten werden bevorzugt für sowas rekrutiert, weil wir uns wenig dagegen wehren können. Oft machen die Studien sogar Spaß. Diesmal hat sie mich ein wenig grüblerisch zurückgelassen. Denn wir sind keine Sache.
In der Studie einer Kommilitonin von mir, von der ich übrigens sehr viel halte, ging es wie so oft zuvor um psychische Störungen und die Wahrnehmung „ebensolcher“ Personen. Wie fühlt man sich gegenüber einem Menschen mit Schizophrenie? Und finde ich Personen mit Depressionen wärmer oder kompetenter als solche mit Intelligenzminderung? Ich muss ehrlich sagen, die Studie hat mich wütend gemacht. Das war sicher nicht die Absicht der Kollegin. Aber mal ehrlich … was soll denn bitte die Formulierung „Personen mit …“?
Wir sind keine „Personen mit ...“. Wir sind Personen. Mit ziemlich viel. Wir sind keine Dinge, über die man pauschal urteilen soll. Oder darf. Wir sind alle Individuen, ja, auch wir Bekloppten. Es gibt nicht „die Person mit Depression“ und ganz sicher kann man uns nicht alle über einen Kamm scheren. Wir sind alle unterschiedlich. Keiner ist wie der andere und jeder hat seine ganz eigenen Dementoren im Kopf. Wir sind nicht „Personen mit …“, wir sind eure Kollegen, eure Freunde oder der nervige Kerl, der mitten in der Nacht noch Trompete spielen übt.
Mir selbst ist übrigens aufgefallen, dass ich Personen mit bestimmten Diagnosen positiver einschätze, wenn mir schon mal „so jemand“ begegnet ist. Das klingt jetzt fies, ist aber zumindest bei mir wirklich so. Bei „Depressiven“ denke ich an gute Freunde, bei „Suchtkranken“ an den netten Kerl, der jetzt Geigen baut und bei „Essgestörten“ an eine Schulkameradin von mir. Sie alle bedeuten mir sehr viel und sie alle bewundere ich aus tiefstem Herzen, denn sie alle haben etwas geschafft, oder schaffen es jeden Tag, was für viele von euch selbstverständlich ist – überleben. Früh aufstehen und sich selbst Kaffee kochen. Oder was zu Essen zubereiten.
Wir sind nicht „Personen mit …“, wir sind Helden. Zumindest ein bisschen. Also hört auf, über uns als Sachen zu sprechen und uns zu bemitleiden oder schief von der Seite anzuschauen. Wir springen euch nicht gleich an den Hals … viele von uns nicht. Sprecht mit uns. Stellt Fragen. Stellt unangenehme Fragen. Aber stellt sie euch auch selbst.
Und ganz nebenbei ist die ganze Studie auf eine Sache ausgerichtet gewesen: Würde ich jemanden mit Essstörung eher helfen als einem Demenzkranken? Ehrlich? Müssen wir solche Fragen allen Ernstes noch stellen? Wir sind keine bemitleidenswerten Häuflein Elend, die man an der Hand nehmen und über die Straße führen muss. Wenn ich eins im Laufe meines Lebens immer mehr satt geworden bin, dann ist das Mitleid. Hört auf, ihr macht euch nur selbst lächerlich. Dieses peinliche, aufgesetzte „Ihr seid alle so stark, aber mit euch zu tun haben will ich ja eigentlich auch nichts, lieber von der Ferne betrachten“. Ihr müsst uns nicht helfen, zumindest die meisten von euch nicht und vor allem nicht, wenn wir nicht danach fragen. Nehmt uns doch einfach, wie wir sind, mit allen Macken, egal, wie groß sie sind.
Ich meine, die Frage, ob ich jemandem mit Schizophrenie helfen würde, worauf zielt die denn ab? Klar, ich würde meinem Schizo-Nachbarn einen Liter Milch schenken, wenn er ihn braucht, aber will die Frage das beantwortet haben? Oder geht es um was anderes? Aber um was denn bitte? Soll ich ihm bei seiner Schizophrenie helfen? Ganz ehrlich? Ganz. Ehrlich?!
Und dann noch die Formulierung „tolerieren“. Ach, du bist ja so großzügig, dass du mich tolerieren würdest. Ganz lieb, vielen Dank, ich fühle mich gleich wohler. Was bist du, dass du mich tolerieren willst? Was Besseres? Nur weil deine Dämonen eher die Klappe halten oder gar nicht existieren? Du bist nicht besser als ich und deswegen musst du mich auch nicht tolerieren. Akzeptiere mich … wäre mir lieber.
Ich frage mich auch, wie die allgemeine Reaktion auf die Studie gewesen wäre, würde sie sich um sexuelle Eigenheiten drehen. Würde ich einem Homosexuellen eher helfen als einem Transgender? Die Frage ist doch genauso Banane wie die, ob ich einem Depressiven eher helfen würde als einem Essgestörten. Ich helfe Menschen. Nicht "Krankheiten".
Übrigens am Ende des Textes: Ich bin es leid, Studien über psychische Störungen für eure Bachelorarbeiten auszufüllen, obwohl ihr von denen so viel Ahnung habt wie von der Rückseite eures Kühlschranks. Denn uns kann man nicht studieren. Uns kann man nur erleben.