Depressionen sind kein Trend, sondern eine ernstzunehmende Erkrankung. Über sie zu schreiben, ist hingegen zu einem guten Lesermagneten geworden. Natürlich bieten Bücher, Zeitungen und Zeitschriften eine nicht zu unterschätzende Plattform für Aufklärung und gegen Stigmatisierung von psychischen Störungen. Dabei sollten die Artikel allerdings umfangreich recherchiert sein. Die Bunte hat das offensichtlich versäumt.
In ihrem Artikel „7 Irrtümer über Depressionen“ (http://www.bunte.de/fitness/psyche-stressbewaeltigung/depressionen/hilfe-fuer-betroffene-und-angehoe...) vom 04. Oktober 2017 schreibt Die Bunte über Hilfe für Betroffene und Angehörige. Das klingt erstmal gut, denn Irrtümer über Depressionen gibt es viele. Manche der angesprochenen Themen wirken allerdings viel zu kurz und wenig differenziert. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, sie auseinanderzunehmen.
1. „Die Depression ist gar keine echte Krankheit“
Tatsächlich kann und möchte ich gegen diesen Punkt gar nichts sagen, denn die Depression ist definitiv eine ernstzunehmende, allerdings häufig unterschätzte Erkrankung. Ich verstehe tatsächlich diese Unterscheidung in mentale und körperliche Störungen überhaupt nicht. Eine Depression hat nicht nur körperliche Symptome, sie wird auch häufig durch körperliche Faktoren verursacht. Eine Depression bedeutet nicht nur, schlecht gelaunt oder traurig zu sein. Sie ist eine umfangreiche und komplexe Erkrankung, die endlich auch als solche anerkannt werden sollte.
2. „Wer Depressionen bekommt ist schwach“
Auch bei diesem Punkt hat Die Bunte voll ins Mark getroffen. Dadurch, dass die Depression eine ernsthafte Erkrankung ist, ist sie logischerweise auch nicht durch Schwäche verursacht. Wobei man ja auch bei einer Grippe behaupten könnte, die Erkrankung sei durch eine Schwäche (nämlich des Immunsystems) bedingt. Macht aber keiner. Bringt auch nichts.
3. „Immer mehr Menschen erkranken an einer Depression“
Den Punkt finde ich streitbar, denn Statistik erfasst niemals die Realität, sondern zeigt nur den Versuch einer Erfassung ebendieser. Fakt ist, dass immer mehr Menschen über ihre Depression sprechen und das ist nicht nur gut so, sondern extrem wichtig. Denn nur durch offenen Umgang kann einer Stigmatisierung entgegengewirkt werden.
4. „Wer Depressionen hat, muss viel schlafen“
Okay, absolut richtig, dass exzessives Schlafen häufig nicht hilft. Dann frage ich mich allerdings im Umkehrschluss, wie ein Angehöriger das vermeiden will. Wenn ich wegen meiner Depression nicht aus dem Bett komme, hilft mir auch keiner, der am Bettrand steht und mir sagt, dass ich nicht schlafen soll. Tatsächlich ist zu viel Aktivität nämlich auch häufig nicht hilfreich. Bei mir ist es so, dass ich mich, wenn die Depression an meiner Hirnrinde kratzt, mehr zurücknehmen muss. Sie ist bei mir ein Zeichen für Überforderung. Und ja, ich schlafe dann mehr. Es hilft mir nicht wirklich, aber es ist besser als sinnloser Aktionismus.
5. „Antidepressiva machen abhängig“
Es ist tatsächlich so, dass Antidepressiva keine typischen Suchtsymptome nach ICD-10 hervorrufen, wie z.B. Toleranzbildung oder fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen. Trotzdem führt das Absetzen von Antidepressiva häufig zu körperliche Entzugssymptomen. Tatsächlich haben die sogar einen eigenen Namen: „SSRI-Absetzsyndrom“ (https://www.depression-heute.de/falschaussagen/antidepressiva-machen-abhaengig). Jetzt könnte man sagen, dass man sie halt einfach nicht absetzen soll. Das kann allerdings keine Lösung sein, denn Antidepressiva sind immer noch ein starker Eingriff in den Körper- und Gehirnhaushalt. Und wenn man etwas nicht absetzen kann, weil die Nebenwirkungen viel zu stark wären, ist man dann nicht abhängig?
6. „Antidepressiva wirken persönlichkeitsverändernd“
Der Punkt hat mich voll in die Magengrube getroffen. Doch, Antidepressiva haben sich bei mir persönlichkeitsverändernd ausgewirkt (und das bei der Kinderdosis). Und was soll bitte der Nachsatz: „Wenn Betroffene dann erfolgreich mit Antidepressiva behandelt werden, haben sie das Gefühl, wieder der oder die Alte zu sein.“ Erstens, nach Absetzen von Antidepressiva ist man schnell wieder der Alte, allerdings häufig inklusive Störung. Denn wenn man nur auf eine medikamentöse Therapie setzt, tauchen die Symptome nach Absetzen der Tabletten schnell wieder auf. Eine Depression kann man nicht austherapieren wie eine Lungenentzündung. Man nimmt nicht einfach zwei Jahre Pillen und danach ist alles perfekt. Außerdem haben Antidepressiva viele andere Nebenwirkungen, wie sexuelle Funktionsstörungen, Angstzustände oder Halluzinationen. Übrigens standen bei meinen Antidepressiva auch „Persönlichkeitsstörungen“ unter der Kategorie „häufig“ (also 1 bis 10 Behandelte von 100).
7. Depressionen sind nicht heilbar“
Dazu habe ich mich, denke ich, in einem anderen Blog-Artikel hinreichend ausgelassen. Bei einer Rückfallquote von über 70 % (https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/behandlung/rueckfallprophylaxe), ist es unfair zu sagen, Depressionen seien heilbar. Was genau das überhaupt bedeuten soll, ist mir schleierhaft, denn Depressionen tauchen häufig rezidivierend, also wiederkehrend, auf. Man hat auch gerne mal zwei Jahre lang keine Symptome und plötzlich haut dich die Depression wieder voll um. Warst du in der Zwischenzeit geheilt oder haben die Dämonen nur kurz Urlaub gemacht? Natürlich muss es nicht passieren, dass man zurückfällt. Wenn dir allerdings jemand sagt, du seiest geheilt, und die Probleme tauchen wieder auf – fühlst du dich dann nicht belogen? Bei mir war es so.
Was also?
Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Die Bunte sich an ein schwieriges Thema wie Depressionen herantraut und ich finde, sie trägt einen wichtigen Beitrag gegen Stigmatisierung und Hilflosigkeit bei. Gerade der letzte Abschnitt über Symptome und Möglichkeiten, sich Hilfe zu suchen, kann sicher helfen. Allerdings hätten die „Fakten“ besser recherchiert sein müssen. Denn der ganze Artikel wirkt zwar ermutigend und positiv, allerdings mehr so in Richtung zu perfekte Welt. Denn wenn man Halbwahrheiten verbreitet, tut die Wahrheit umso mehr weh.
Quellen:
http://www.bunte.de/fitness/psyche-stressbewaeltigung/depressionen/hilfe-fuer-betroffene-und-angehoe... (Stand: 10.10.2017, 15:14 Uhr)
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/behandlung/rueckfallprophylaxe (Stand: 10.10.2017, 15:14 Uhr)
https://www.depression-heute.de/falschaussagen/antidepressiva-machen-abhaengig (Stand: 10.10.2017, 15:14 Uhr)