Keine Sorge, das ist heilbar

Depressionen und Angststörungen, Zwangsstörungen und PTBS – das ist heilbar. Heißt es zumindest häufig. Eigentlich klingt das ganz gut: Du machst ein paar Monate lang eine Therapie, dann bist du für alle Zeiten deine Probleme los. Sounds good. Doesn’t work.

Eine psychische Störung ist kein gebrochenes Bein. Man macht nicht einfach einen Gips um die Seele und lässt sie ausheilen. Man kann nicht einfach Tabletten schlucken und die Probleme verschwinden nach einiger Zeit von selbst. Häufiger sind psychische Leiden wie andere körperliche, chronische Erkrankungen – Rheuma, Diabetes, Morbus Crohn. Das wird man eigentlich nie wieder wirklich los. Man kann aber lernen, damit zu leben. Es gibt Zeiten, da fühlt man sich ziemlich gut und kann die Krankheit vielleicht sogar ein wenig vergessen. Es gibt aber auch Zeiten, wo die Schmerzen oder andere Symptome zurückkommen. Das ist häufig bei psychischen Leiden der Fall, genauso wie bei vielen chronischen Erkrankungen. Man kann lernen, damit zu leben. Loswerden ist etwas ganz anderes.

Deswegen habe ich mich oft gefragt, was meine Therapeuten meinten, wenn sie sagten, die Störung sei „heilbar“. Wann gilt man eigentlich als geheilt? Wenn man nur noch eine Panikattacke pro Monat hat und nicht mehr alle vier Stunden? Oder wenn man gar keine Panik mehr hat? Und vor allem: Ist man geschützt davor, dass die Probleme nie wiederkehren? Sind psychische Störungen wie Krebs, bei dem man nie sicher sein kann, dass er einen erneut befällt?

Das ist kein sehr beruhigender Gedanke. Deswegen klingt „heilbar“ auch deutlich besser. Geheilt werden zu können, das macht Mut. Das bringt Hoffnung. Ruhe zu haben vor den Dingen, die einen gerade aufzufressen drohen. Möglichkeiten zu finden, mit ihnen umzugehen und ihnen mit diesen Werkzeugen entgegentreten zu können, sollten sie es jemals wagen wiederzukehren. Darum geht es in einer Therapie. Kein Therapeut der Welt wird seinem Patienten versprechen, dass die Dämonen in Zukunft die Klappe halten. Er kann seinem Schützling aber helfen, sie zu verstehen und ihnen entgegenzutreten – heute und, wenn es sein muss, in der Zukunft.

Das hat enorm viel mit Übung zu tun. Die Psyche und die eigenen Gedanken sind wie ein Muskel, den man entweder trainieren oder verkümmern lassen kann. Der „innere sichere Ort“ oder die „5-4-3-2-1-Taktik“ müssen in stundenlanger, teils nerviger Wiederholung einstudiert werden, damit sie in auftauchenden Krisensituationen auch verfügbar sind. Sie geben Sicherheit. Sie können aber nicht heilen.

Bei meiner ersten großen Krise hat mein Therapeut mir gesagt, dass die Heilung meiner Probleme fünf Jahre dauern kann. Nach zwei Jahren hatte ich meine letzte Sitzung. Ob ich geheilt war? Nein. Absolut nicht. Ich hatte zwar viele Dinge gelernt, wie ich mit meiner Störung umgehen kann, aber der erste Vorfall hat mich direkt wieder aus den Latschen gekippt. War die Therapie einfach zu kurz? Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass einmal einstudierte Verhaltens- und Denkweisen (Vermeidung, Schuld, Angst) nicht so einfach wegzubekommen sind. Ich denke, die Heilmöglichkeit einer Krankheit liegt auch an den Ursachen und der Vorgeschichte eines Leidens. Körperlich und psychisch.

„Bei Ihrer Störung sehe ich eine gute Chance, dass Sie geheilt werden kann“, hat mein Therapeut damals gesagt und ich war unendlich erleichtert. Ich stellte mir einen kurzen, harten Weg vor, an dessen Ende die vollständige Genesung stand. Ich sah mich mit meinen Kindern in einem hübschen Haus sitzen, wo ich ihnen von meiner schweren Zeit damals berichten würde und wie ich sie überwunden habe. Das macht einem Patienten viel Hoffnung und das ist eine Menge wert zu Beginn einer Therapie. Es tut dafür allerdings doppelt weh, wenn die Dämonen wieder an die Tür klopfen. War ich nicht stark genug, sie fernzuhalten von mir? Ich galt doch als geheilt?

Seitdem macht mir die Aussage nicht mehr halb so viel Hoffnung. „Bei dieser Art Störung gibt es super Heilchancen.“ Woran liegt es dann, dass ich doch wieder unter meiner Angst und dem Rest leide? Dieser Satz bringt nämlich auch eine große Portion Druck mit sich. Wenn es dir nicht besser geht oder nach einer Weile wieder schlechter, dann bist du selbst schuld dran. Denn offensichtlich kriegst du es nicht einmal hin, geheilt zu werden. Das ist gefährlich. Es nimmt irgendwie den Schwung für die zweite Therapie.

Erst seitdem ich mir selbst eingestehe, dass die Störung mich wohl ein Leben lang begleiten wird und einfach ein Teil von mir ist, den ich nicht so leicht auskurieren kann, werde ich ruhiger. Manchmal ist der Gedanke „Es ist halt so.“ angenehmer als die gebetsmühlenartige Wiederholung des Satzes „Das krieg ich schon wieder weg.“

Ich würde also Therapeuten empfehlen, nicht zu sagen „Das ist heilbar“, sondern lieber „Es gibt Möglichkeiten, damit umzugehen und die Symptome zu lindern.“ Den zweiten Satz finde ich nicht nur beruhigender, sondern vor allem ehrlicher. Ich bin meinem alten Therapeuten irgendwie immer noch böse, dass er damals die erste Aussage gewählt hat. Denn er hat mich angelogen. Ich bin nicht geheilt. Und das ist okay so.

Und um nochmal auf das Beispiel mit dem gebrochenen Bein zu sprechen zu kommen: Narben zwicken auch oft noch ein Leben lang. Manchmal fühlt man alte Wunden, wenn das Wetter schlechter wird. Bei einer Depression ist es nicht anders.

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