Therapeuten verklagen

Der erste Anlaufpunkt für Menschen mit psychischen Krisen sollte der Psychotherapeut oder Psychiater sein. Irgendwer mit psychologischer Ausbildung eben. Es ist allgemeiner Konsens, dass diese Personen dir helfen können. Sie können unterstützen, erklären, begleiten, trösten. Ich bin meinen bisherigen Therapeuten unglaublich dankbar, denn sie haben mir immer wieder geholfen, mein Leben wieder lebenswert zu machen.

Es gibt allerdings auch Therapeuten, die einem Schaden zufügen, bewusst oder unbewusst. Das kann einerseits an den Nebenwirkungen einer Therapie an sich liegen. So können zum Beispiel während einer Behandlung bisher unbekannte Symptome auftauchen. Während meiner acht Wochen in einer psychosomatischen Klinik habe ich zwei Wochen gar nicht geschlafen. Das kann passieren.

Der Schaden kann allerdings auch durch den Therapeuten direkt verursacht werden. Nicht alle ausgebildeten Seelenklempner sind für ihren Beruf geeignet und manche nutzen ihn schamlos aus. So werden Patienten gebeten, Hausarbeiten für den Behandler zu erledigen oder sie werden systematisch erniedrigt, um Macht über sie ausüben zu können. Das ist nicht nur gefährlich, sondern strafbar.

Mir ist es selbst passiert, dass ich bei einem Therapeuten gelandet bin, der mir massiv geschadet hat. Von diesem Fall möchte ich gerne berichten.

 

Sechs Stunden Blackout

Es war Mitte November 2016 und ich war auf dem Weg zu meiner zweiten Probesitzung bei meiner neuen Therapeutin. Die letzte Sitzung war recht gut verlaufen und ich war positiv gestimmt. Heute würde ich meine Probleme angehen. Bei ihrer Praxis angekommen wurde ich ins Wartezimmer komplementiert. Sie habe noch einen anderen Patienten in Behandlung. Also setzte ich mich und wartete. Nach wenigen Augenblicken kam sie wieder und scheuchte mich forsch aus dem Zimmer. Ich solle ihr Tee kochen. Währenddessen fuhr sie mich immer wieder scharf an mit Sätzen wie „Was interessieren mich ihre Probleme?“ Das traf ziemlich direkt und verunsicherte mich. Ich begann zu zittern, meine Bewegungen wurden fahriger. Tapfer hielt ich durch. Das Ganze hat sicher einen tieferen Sinn, redete ich mir selbst ein. Der Sinn hat sich mir bis heute nicht ergeben.

Nach dem Teekochen sollte ich im Sprechzimmer Platz nehmen – auf ihrem Stuhl. Heute sollte ich die Sitzung leiten. Zu Wort kam ich kaum. Meine Therapeutin fragte mich, was mir jetzt Angst machen würde. Da mir nichts Besseres einfiel, sagte ich: „Wenn die Tür abgesperrt ist.“ Also sperrte sie die Tür zu. Meine Angst steigerte sich nicht. Sie ging zum Fenster und öffnete dieses und atmete tief durch. Ich machte einen Scherz, um die Stimmung aufzulockern, sie durchbohrte mich mit strengem Blick. Egal, was ich tat, es war falsch. Also tat ich gar nichts mehr. Sie fragte mich, was mich gerade störe. Ich antwortete, dass mir ihr Ton nicht gefiele, mit dem sie sprach. Sie sagte irgendwas von wegen „Ab um eins jedem seins.“ Sie ging zurück zur Tür und versuchte, sie aufzusperren. Es gelang ihr nicht, weswegen ich ihr die korrekte Richtung des Schlüsseldrehens nahelegte. „Erklären Sie doch der Bundesregierung, wie man Türen öffnet!“, fuhr sie mich an und ich verstand nur noch Bahnhof. Das machte mich noch unsicherer. Ich konnte die Situation nicht einschätzen, sie ergab schlicht keinen Sinn. Mir war eiskalt und ich zitterte.

In diesem Moment fühlte ich zum ersten Mal, wie die Dissoziation in mich kroch. Mein Blickfeld wurde enger, mein Herz raste, mein Kopf schrie. Die Therapeutin bekam es gar nicht mit. Ich sträubte mich gegen die Schwärze in mir, wollte nicht aufgeben, nicht jetzt, nicht hier. Nicht bei ihr. Ich hatte Angst, was passiert, würde ich jetzt nichts mehr sehen oder hören können. Ich hatte Angst vor ihr. Panische Angst.

In etwa so gingen die ganzen fünfzig Minuten vorbei. Am Ende des Gesprächs war ich vollkommen verwirrt, fühlte mich wie ein gehäutetes Tier, nackt, schwach, in Habachtstellung. Ich wurde von ihr herauskomplementiert mit den Worten: „Das hier wird nichts, mir ist meine Zeit zu kostbar für Sie.“ Also ging ich nach Hause. Mir lief ein Mädchen mit roten Haaren über den Weg. Ich sperrte die Haustür auf, betrat den kühlen Flur. Dann die Wohnungstür. Vertrauter Duft. Wärme. Ein Glas Wasser. Danach nur noch – Nichts.

An die nächsten sechs Stunden erinnere ich mich nicht mehr. Das Einzige, was vor meinem inneren Auge noch aufblitzt, bin ich, wie ich auf dem kalten Küchenboden sitze und Hobbit-Musik höre. Wahrscheinlich habe ich Essen gekocht, denn nach diesen sechs Stunden Blackout fand ich einen benutzten Topf auf dem Herd. Ich hatte mitten in der Dissoziation, in der ich weder richtig sehe, noch überhaupt etwas wahrnehmen kann, gekocht.

Letzten Endes wachte ich gegen sechs Uhr abends in meinem Bett auf. Vollkommen verwirrt, nicht im Stande mich zu rühren oder gar zu weinen. Ich wollte, aber es ging nicht. Es ging gar nichts mehr. Gegen acht Uhr kam dann mein Freund nach Hause. Er machte einen Scherz, ich fuhr ihn an. Wollte ihm nicht erzählen, was passiert war. Wollte nur, dass es aus meinem Kopf verschwindet. Es verschwand nicht. In dieser Nacht ging ich nicht ins Bett. Erst gegen fünf Uhr morgens traute ich mich. Das Gesicht meiner Therapeutin tauchte immer wieder vor meinem geistigen Auge auf. „Mir ist meine Zeit zu kostbar für Sie.“ – „Wissen Sie, dass Sie mich richtig nerven?“ Ich wollte sie verscheuchen, aber es ging nicht.

Die nächsten Wochen und Monate war ich wie im Nebel. Ich konnte kaum schlafen, hatte dauernd Flashbacks, fühlte mich wie ein halbgerissenes Kaninchen. Die Probleme, wegen denen ich ursprünglich zu der Therapeutin gegangen war, verschlimmerten sich rapide. Am Ende war ich zu fast nichts mehr imstande. Ich war ein Schatten meiner selbst – wegen einer Psychologin.

Jetzt bin ich ein Mensch, der sich zu wehren weiß. Ich wusste, dass das, was sie mit mir gemacht hatte, nicht in Ordnung war. Also kratzte ich meine letzten Ressourcen zusammen und verklagte sie. Erst reichte ich Beschwerde bei der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer ein, dann ging ich zur Polizei. Körperverletzung. Das gibt es auch für psychische Qualen, die einem zugefügt werden. Ich war stolz auf mich, weil ich es schaffte, für mich selbst einzustehen. Die Zeit verstrich, es passierte erstmal gar nichts.

Dann kamen zwei Briefe. Erster Brief, Psychotherapeutenkammer: Beschwerde wurde nach einem Gespräch mit der Therapeutin, das sie geführt hatten, wegen Mangel an Beweisen zurückgewiesen. Das saß. Zweiter Brief, Staatsanwaltschaft: Verfahren wird eingestellt. Begründung: Die Anzeigeerstatterin fühlte sich von der Therapeutin unfreundlich behandelt und es kam zu Unstimmigkeiten. Weiter: „Das von der Anzeigeerstatterin geschilderte Verhalten der Beschuldigten, stellt – wenn es überhaupt wie geschildert statt gefunden hat – keine strafbare Handlung dar (…). Die Anzeigeerstatterin ist offenbar psychisch krank und war mit der Behandlung unzufrieden.“

Um ehrlich zu sein, der zweite Brief hat mehr wehgetan. Dass ich mit der Behandlung unzufrieden war, ist nicht zu leugnen. Immerhin wurden meine Beschwerden durch diese Behandlung deutlich schlimmer. Was mich aber mehr nervt ist der erste Teil des letzten Satzes: Ich bin offenbar psychisch krank. Ist das eine Begründung? Wird mir eine Mündigkeit oder logisches Denken abgesprochen, weil ich eine Angststörung habe? Ich kam mir vor wie eine Bekloppte aus der Klapse, die sich über ihre Zwangsjacke beschwert.

Was mich aber letzten Endes voll vor den Karren schob, war meine Unfähigkeit, den Sachverhalt zu beweisen. Bei der vertraulichen Therapiesitzung war niemand sonst dabei. In dubio pro reo, natürlich. Für die Folgen allerdings habe ich sehr wohl Zeugen (mein Freund hat es mitbekommen, dass ich kaum vor den Morgenstunden ins Bett gekommen bin, er hat mich trösten müssen). Wie aber soll ich jetzt die Folgen auf das Verhalten eindeutig kausal zurückführen? Wie soll man das bei vertraulichen Eins-zu-Eins-Sitzungen überhaupt?

Was mich am meisten verletzt hat, waren die mangelhaften Möglichkeiten, mich über einen Therapeuten zu beschweren. Sowohl der Kontrollinstanz für Psychologen (die OPK), als auch der Staatsanwaltschaft, waren diese Monate ohne Schlaf und die sechs Stunden Dissoziation vollkommen egal. Hätte die Therapeutin mir eins mit dem Klemmbrett übergewischt, ich hätte bessere Chancen gehabt, denn ein blaues Auge kann man sehen. So aber habe ich keine Chance, gegen die Psychologin vorzugehen.

Ich habe jetzt noch eine zweite Beschwerde eingereicht, dieses Mal allerdings wegen mangelnder Aufklärung und Einwilligungseinholung. Dazu ist sie nämlich auch verpflichtet. Selbst wenn das von ihr gezeigte Verhalten eine verkorkste Form der Konfrontation (von was auch immer) gewesen sein sollte, so hätte sie mich darüber aufklären und meine Einwilligung einholen müssen. Die hätte ich nicht erteilt. Denn ich weiß, dass ich bei sowas leicht dissoziieren kann. Sie hätte es merken müssen. Hat sie nicht. Interessiert niemanden.

Derweil behandelt sie weiter Patienten. Über meine Anwältin, die ich mir kurzfristig gesucht hatte, erfuhr ich von einer weiteren Frau, die in ähnlicher Weise von derselben Therapeutin geschädigt wurde. Das tut mir eigentlich am meisten weh. Denn ich kann für mich selbst einstehen – wie viele ihrer anderen Patienten können das nicht?

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