Psychische Erkrankungen an Schulen

Seit meinem vierzehnten Lebensjahr leide ich unter psychischen Problemen. Angefangen mit einer Agoraphobie, kam später noch die Diagnose PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) hinzu. Zu dieser Zeit steckte ich noch mitten in der schulischen Ausbildung. Genauso wie ich, meine Familie und meine Freunde, war auch die Schule heillos überfordert mit der Situation. Heute frage ich mich, wieso eigentlich.

Beinahe jeder fünfte Minderjährige leidet an einer psychischen Erkrankung. Depressionen, Borderline, Angst- und Essstörungen gehören genauso zu einem Klassenzimmer wie Tafel, Schulhefte und Kaugummis unter den Tischen. Trotzdem konnten meine Lehrer nichts mit mir anfangen.

Ich war oft krankgeschrieben. Ich glänzte den Großteil des Schuljahres mit Abwesenheit. Und wenn ich doch mal da war, blieb der Unterricht von mir mehr oder weniger unbemerkt. Ich war schlicht zu viel mit mir selbst beschäftigt. Das war keine Faulheit. Das war keine Unlust. Das war die Krankheit.

Die meisten Lehrkräfte begegneten mir mit Verständnis. Die Noten kriege man schon irgendwie zusammen, ich solle halt erst mal richtig gesund werden. Je länger meine Krankheit dauerte und je stärker sie wurde, umso kleiner wurde dieser Rückhalt.

Anfangs wurde ich belächelt. Dann wurde über mich geseufzt. Dann kamen die Vorwürfe: „Wo soll ich denn deine mündliche Note herbekommen, wenn du nie da bist?“ Dann kamen die Anschuldigungen: „Ich hab auch nicht immer Lust auf den Laden hier, aber du toppst echt alles.“ Dann kamen die Drohungen: „Dann geb ich dir halt einfach eine 6 als Note ins Zeugnis, ist mir vollkommen egal.“ Dass das nicht legal ist, musste ich auch erst lernen. Denn als Schüler glaubt man schlicht beinahe alles, was ein Lehrer erzählt.

Einmal hat meine Mama wirklich beim Schulamt nachfragen müssen, ob die Notengebung einer Lehrerin legal war. Mir drohte damals eine sechs als mündliche Note, weil ich ja nie etwas zum Unterricht beitrug (wegen Krankschreibung, wohlgemerkt). Lange Rede kurz, die Lehrerin wurde informiert, dass ich mich über sie beschwert hatte. Sie wurde zum Rektor zitiert und bekam eine Abmahnung. In der nächsten Stunde holte sie mich aus der Klasse und machte mich zur Sau. Was mir einfiele, mich über sie zu beschweren. Wie sehr das unser Vertrauensverhältnis zerstören würde. Und vor allem warf sie mir an den Kopf, ich würde sie psychisch fertigmachen. Das machte mich wiederum psychisch so fertig, dass ich eine Woche krankgeschrieben war. Vom Arzt wohlgemerkt.

Ich wurde beleidigt. Ich wurde bedroht. Ich wurde angeschrien. Ganz ehrlich. In einer sehr schweren Phase meiner PTBS, gerade an eine neue Schule gekommen, noch keine wirklichen Freunde gefunden, hat mich eine Lehrkraft vor versammelter Klasse angeschrien. Ich bin zitternd aufs Klo gegangen, dann bin ich dissoziiert. Das passiert nämlich, wenn man jemanden mit PTBS anschreit. Hätte die Lehrkraft wissen können. Wollte sie vermutlich nicht. Sie hatte auch so schon genug zu tun.

Ich möchte keine Anschuldigungen loswerden. Das Thema Schule ist für mich allen Himmeln sei Dank vorbei. An der Uni schreit mich niemand mehr an. Ich bin vermutlich inzwischen auch einfach schon zu groß geworden, um mir das gefallen zu lassen. Als Kind ist das anders. Als Kind lässt du das passieren. Und deswegen schreibe ich diesen Artikel.

An sehr vielen Schulen in Deutschland gibt es keine Schulpsychologen. Es gibt keine Ansprechpartner vor Ort, an die die Schüler sich wenden können. Das Thema "Psyche" wird erst angesprochen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, der sich psychische Erkrankung nennt. Selbst das passiert aber nur dann, wenn das Kind oder der Jugendliche den Weg zum Therapeuten überhaupt schafft. Viele brechen die Schule einfach ab und geben auf. Ich frage mich ehrlich, warum nicht viel intensiver über psychische Erkrankungen in Schulen gesprochen wird. Als würden Minderjährige geschützt sein vor diesen Monstern. Das sind sie nicht. Wieso sehen wir sie nicht?

Liebe Lehrer, informiert euch über psychische Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen. Kennt die Warnzeichen. Habt Verständnis und hört zu. Wir, die „gestörten“ Kinder, meinen es nicht böse. Sprecht die Schüler an, wenn ihr einen Verdacht habt. Lasst sie in einem geschützten Raum von sich erzählen. Verweist sie zum Schulpsychologen oder bietet an, einen Therapeutentermin für sie auszumachen. Seid ihre Vertrauten. Das sehen eure Schüler nämlich in euch. Hätte mich damals nur ein Lehrer ehrlich angesprochen, ich hätte mir sehr viel Leid ersparen können. Mit „ehrlich“ meine ich übrigens nicht: „Ach, auch mal wieder da? Den verpassten Stoff hast du hoffentlich nachgeholt.“

Liebe Schüler, ihr seid okay. Lasst euch von euren Lehrern nicht alles gefallen. Sie haben nicht das Recht, euch fertigzumachen, zu bedrohen oder anzuschreien. Wenn es euch nicht gut geht, kümmert euch um euch selbst. Ihr geht immer vor. Wenn ihr euch komisch fühlt, sprecht mit jemandem darüber. Das muss kein Erwachsener sein. Sprecht mit euren Freunden, Fußballkumpels, Reitmädels, irgendwem. Ihr müsst das nicht alleine durchstehen. Ihr müsst das nicht ertragen. Holt euch bitte Hilfe. Tut es für mich, die ich damals die Gelegenheit verpasst habe, weil mir niemand diese Worte gesagt hat. Ihr seid wertvoll. Lasst euch nichts anderes einreden.

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