Psychische Probleme in der Schule

Liebe ehemalige Lehrer,

ich fand euch wirklich toll. Ich bin gerne zu euch gekommen, habe euer Wissen aufgesaugt. Ihr wart meine wahren Helden, Quell der Weisheit, Antwortgeber für kindliche Fragen. Ich bin gerne zu euch in die Schule gekommen, ehrlich.

Dann kam diese Zeit, in der ich mich selbst verlor, in der ich mir selbst fremd wurde und alles um mich herum zerbrach. Anfangs verstand ich es selbst nicht, heute habe ich ein Wort dafür: Angststörung. Ihr hattet auch keinen Begriff dafür, keine Ahnung davon. Ich hätte es mir so sehr gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass ihr mich auffangt in der Zeit, in der kein anderer das konnte. Als ich es selbst nicht konnte. Ich war ein Kind und ich habe auf euch gebaut.

Ich habe euch vertraut, die ihr mich besser kanntet, länger begleitetet habt, als die meisten anderen Menschen in meinem Leben. Ihr konntet mir auch nicht helfen und oft genug hatte ich das Gefühl, dass ihr das auch gar nicht wolltet. Viele von euch waren nett, freundlich, zeigten zumindest vordergründig Verständnis. Aber keiner hat gefragt. Keiner hat gefragt, was mit mir nicht stimmt und ob ich Hilfe brauche.

Natürlich, es gab die „freiwilligen“ Angebote, Gespräche mit meinen Eltern, Vertrauenslehrern, sogar dem Schulpsychologen. Der hat im Lehrerzimmer über mich geredet. Die Schweigepflicht gebrochen. Ich habe euch vertraut, liebe Lehrer. Ich wusste nur nicht, wie ich mich ausdrücken soll.

„Das ist eine schwere Phase“, habt ihr zu meinen Eltern gesagt und mich im nächsten Moment spüren lassen, wie schwer diese schwere Zeit für euch war. „Wie soll ich denn bitteschön eine mündliche Note von dir bekommen, wenn du nie da bist?“, habt ihr mir vorgeworfen und dabei nicht bemerkt, wie ich mich immer weiter zurückzog. Nicht, weil ich faul war oder euch hasste, sondern weil ich krank war.

Ihr habt mich jeden Tag spüren lassen, dass meine Probleme euch stören. So viele Krankschreibungen zu bearbeiten, so viele verpasste Tests, so viele Sorgen. Ich wollte das nicht. Ich wollte euch nicht zur Last fallen. Ich wollte nicht stören. Aber ich tat es, weil es nicht anders ging.

„Du musst dich halt mal zusammenreißen“, habt ihr gesagt und dabei ganz vergessen zu fragen, wegen was eigentlich. Was war denn nicht richtig mit mir? Was stimmte nicht mit dieser Schülerin, die hunderte Fehltage ansammelte, unkonzentriert war, sich beinahe jeden Tag abholen ließ? Ihr habt nicht gefragt. Ihr habt mir immer wieder gesagt, wie sehr es euch stresst, dass ihr Wiederholungsklausuren verfassen müsst, nur für mich. Ich wollte das nicht, aber es tut mir nicht leid, denn es ist nicht meine Schuld. Ich war ein Kind, ein überfordertes, krankes Kind.

Dafür sind doch die Eltern zuständig! Müssen sich denn Lehrer um alles kümmern? Nein. Aber eure Kinder sind nicht nur Wesen, denen man Wissen vermitteln muss. Ihr seid ihre Vertrauenspersonen. Möglicherweise ihre einzige Rettung. Ihr seid überarbeitet, das weiß ich, und ihr könnt nicht alle retten. Aber mich. Mich hättet ihr retten können.

Ich habe meine halbe Schulzeit zu Hause verbracht. Nicht, weil ich so klug war („Ach, die holt den Stoff schon wieder auf.“), sondern weil ich krank war. Ich wäre gerne öfter zu euch gekommen, hätte gerne mehr mit meinen Freunden gelernt, in dieser Schule, diesem sicheren Ort. Ihr hättet mich auffangen können, mir Verständnis entgegenbringen, und nicht dauernd Vorwürfe.

Es ist schwer, gegen eine Krankheit zu kämpfen, nicht weniger habe ich jahrelang getan. Es wird aber nicht dadurch leichter, dass ihr zu Hause anruft und euch bei meinen Eltern beschwert, dass ich schon wieder einen Test verpasst habe. Es wird nicht dadurch besser, dass ihr mich bereits früh am Morgen an der Klassenzimmertür abfangt und mir sagt, dass ich in einer Woche die Nachholklausur habe und noch dreimal ausgefragt werden muss, damit ihr eine mündliche Note von mir bekommt.

Was habt ihr euch davon versprochen? Wolltet ihr mich pushen? Wolltet ihr mich spüren lassen, wie sehr ich euren Job erschwere? Wolltet ihr eure Wut an mir auslassen? Eure Verzweiflung? Was hat es gebracht? Ich bin noch seltener in die Schule gekommen. Mir war noch öfter schlecht, ich hatte noch öfter Bauchschmerzen, ich habe mich noch öfter in den Schlaf geweint. Ich habe mich bemüht, euch zu gefallen. Alles, was ich tun konnte, habe ich getan, alles was ich geben konnte, gab ich euch. Ihr habt es vielleicht nicht bemerkt, aber ich habe jede Sekunde, die ihr mich gesehen habt, um mein Überleben gekämpft.

Liebe Lehrer, ich will euch keinen Vorwurf machen. Aber jeden Tag kommen Schüler zu euch, die Hilfe brauchen. Die ernsthafte psychische Probleme haben und einfach nur ein offenes Ohr brauchen. Die nicht wissen, was eigentlich gerade mit ihnen passiert. Seid für sie da. Erklärt ihnen, dass das vorbei geht. Bietet Hilfe an, schaltet von mir aus einen Psychologen ein (aber bitte einen, der nicht die Schweigepflicht im Lehrerzimmer verletzt). Ihr seid vielleicht kein in psychologischen Themen geschultes Personal, aber ihr seid mitfühlende Menschen. Nicht mehr braucht ein Schüler in Not. Nicht mehr hätte ich gebraucht. Einfach folgende Worte: "Mir ist aufgefallen, dass du gerade eine schwere Zeit hast. Was ist denn los? Kann ich dir helfen?" und dann zuhören. Von mir aus stundenlang. Kein Pflichtgespräch. Keine Vorwürfe. Ehrliches Interesse.

Nicht alle Schüler, die abwesend sind oder im Unterricht so wirken, sind faul oder desinteressiert. Manche von ihnen haben ernsthafte Probleme. Überseht sie nicht. Ignoriert sie nicht. Nehmt sie nicht einfach als "pubertär" hin. Ich war nicht pubertär. Ich war krank. Ich bin es noch immer.

Es war nicht leicht für euch, das weiß ich. Für mich war es auch nicht leicht. Danke, dass ihr mich trotz allem niemals aufgegeben habt.

Eure Julia

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