Die Haustür, mein Feind

 Was ist eine Agoraphobie?

Die Agoraphobie gehört zum Kreis der Angst- und Panikstörungen, also den sogenannten Phobischen Störungen. Dabei ist ihr Hauptkennzeichen, dass sich Betroffene extrem schwer tun, ihre eigenen vier Wände zu verlassen. Dabei können sich die Befürchtungen auf Menschenmengen, das Bahn-/Busfahren, öffentliche Plätze, Supermärkte, die Schule oder andere Räume beziehen. Die Agoraphobie ist übrigens die berühmte „Platzangst“, die gerne mal mit der Klaustrophobie (also der Angst vor engen Räumen) verwechselt wird.

 

Was für Symptome sind typisch?

Ausreden. Nein, ehrlich, ganz vorne steht natürlich das Vermeidungsverhalten, also das bewusste Weglassen von angstauslösenden Situationen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern nur logisch. Denn die Angst kann überwältigend stark sein und wer will das schon jeden Tag fühlen? Für die Angst selbst ganz typisch sind natürlich vegetative Reaktionen wie Herzrasen, Schwitzen, Schwindel, Übelkeit, Schlafstörungen, Zittern, erhöhte Muskelspannung, Bauchschmerzen, Darmbeschwerden oder die berühmten kalten Füße. Hinzu kommt beim Betroffenen das Gefühl, ausgeliefert zu sein, der Situation nicht entkommen zu können oder die Kontrolle zu verlieren. Außerdem typisch ist die Angst davor, keine Hilfe erwarten zu können, wenn tatsächlich ein medizinischer Notfall vorliegen sollte.

 

Ist eine Agoraphobie einfach Angst?

Irgendwie schon, denn es ist eine Angststörung. Man bemerke aber bitte eben auch den zweiten Teil des Wortes: Störung. Eine Agoraphobie ist also nicht mit „normaler“ Angst zu verwechseln. Somit ist es auch nicht immer einfach, sich den angstauslösenden Situationen zu stellen. Oft genug steckt hinter einer Agoraphobie nämlich noch viel mehr. Ein bisschen Verständnis ist also ganz schön, denn der Betroffene übertreibt nicht, er hat gerade wirklich das Gefühl zu sterben.

 

Was für Ursachen kann eine Agoraphobie haben?

Ich stelle hier jetzt einfach mal die These auf, dass keine psychische Störung einfach so auftritt. Es gibt immer einen Urauslöser, die „erste“ Angst. Die kann zum Beispiel durch den Tod eines nahen Angehörigen, Scheidung oder Trennung, Mobbing, finanzielle Sorgen, berufliche Probleme oder Konflikte ausgelöst werden. In ganz vielen Fällen ist allerdings kein so weltbewegendes Ereignis der Auslöser. Ein Sturz vom Pferd, Kotzen vor der versammelten Klasse, eine Ohnmacht im Bus, das reicht oft schon aus. Kennzeichnend ist hier das Gefühl, dass man auf die jeweilige Situation keinen Einfluss und damit auch keine Kontrolle hatte. Man fühlte sich ausgeliefert und klein, oder hat keine Hilfe erfahren. Solche Erlebnisse graben sich tief ins Gehirn ein und natürlich versucht man daraufhin, genau diese Orte zu vermeiden. Dabei breitet sich die Agoraphobie immer weiter aus und betrifft früher oder später beinahe das gesamte Leben da draußen.

 

Wo im Gehirn sitzt eigentlich die Angst?

Ganz tief drin, nämlich im sogenannten Limbischen System, oder noch genauer in der Amygdala. Allerdings ist mehr oder weniger das ganze Gehirn aktiv, wenn man Angst hat. Sowohl der Schläfenlappen, als auch der Präfrontale Cortex werden bei akuter Angst deutlich besser durchblutet. Besonders wichtig ist der Hypothalamus, der direkt neben der Amygdala Platz genommen hat. Er steuert das sympathische Nervensystem (das mir irgendwie oft genug gar nicht so sympathisch ist), außerdem produziert er das Corticotropin-Releasing-Hormon, das wiederum die Hypophyse dazu bewegt, das Adrenocorticotrope Hormon (ACTH) auszuschütten. Dieses Hormon wandert in die Nebennierenrinde und verursacht dort die Ausschüttung von Cortisol. Puh, so viele Hormone. Das führt dann zu den typischen Angstreaktionen, also erhöhte Muskelspannung, beschleunigter Herzschlag, etc.

Jetzt aber zurück zur Amygdala (auch „Mandelkerne“ genannt, was ich viel netter finde). Im Hirn-MRT kann man bei vielen Menschen mit Angsterkrankungen erkennen, dass die Amygdala deutlich vergrößert ist (bei mir zum Beispiel, ist ein echt schönes Bild geworden). Die Amygdala ist übrigens auch beim Träumen besonders aktiv und somit wahrscheinlich verantwortlich für die Emotionen, die wir beim Träumen fühlen (inklusive Angst, merkste was, hm?) Die Amygdala selbst besteht aus mehreren, miteinander verschalteten Kernen, wobei jeder Kern seine eigene Aufgabe hat. Der zentrale Kern zum Beispiel erhält Informationen aus dem Cortex. Der zentrale Kern ist es auch, wo wahrscheinlich die Angstkonditionierung vonstattengeht (also das unbewusste Erinnern an frühere angstauslösende Situationen). Die Amygdala steht in regem Austausch mit dem Hypothalamus, den ich ja bereits oben beschrieben habe.

Wer mehr über dieses Thema wissen möchte, sollte auf jeden Fall diese Seite lesen:

http://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/angst/641

 

Wie kann man Angst therapieren?

Gerade die Agoraphobie sollte und muss sogar dringend behandelt werden. Ein Leben findet einfach nicht nur im eigenen Haus statt, sondern sollte draußen passieren. Oder wie John A. Shedd mal sagte: „A ship is safe in harbor, but that’s not what ships are for“.

Wie aber sollte man das Ganze angehen? Der erste Anlaufpunkt sollte entweder der Hausarzt, ein Psychiater oder direkt ein Psychotherapeut sein. Für Letzteren braucht man übrigens keine Überweisung, ein Anruf genügt. Den muss man nicht unbedingt selber machen, das kann auch ein guter Freund oder Angehöriger übernehmen. Besonders bewährt bei Agoraphobie hat sich die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Das Hauptziel der Therapie ist natürlich, das Vertrauen in sich selbst und den eigenen Körper wiederzugewinnen. Ob es eine Exposition (also die bewusste Aussetzung mit dem angstauslösenden Reiz) sein muss, ist individuell verschieden. Hier sollte man auf den Therapeuten seines Vertrauens hören, wobei man natürlich immer sagen sollte, wozu man sich bereit fühlt. Eine jede Therapie beginnt klein.

Bei einer Angststörung können auch Antidepressiva verschrieben werden. Wie klug das ist, muss individuell festgestellt werden. Gerade zu Beginn einer Therapie können sie bei den ersten Schritten helfen, gehen aber auch oft mit Nebenwirkungen einher. Bei mir war das so, dass ich die gesamte KVT über Medikamente genommen habe, die Symptome allerdings direkt nach dem Absetzen wieder aufgetaucht sind. Wieso? Weil mein Gehirn sich schon daran gewöhnt hat. Ich weiß nicht, ob ich sinnvoller hätte therapiert werden können, hätte ich das Antidepressivum noch in therapeutischer Begleitung abgesetzt.

 

Was kann man bei akuter Angst machen?

Betroffene können sehr kreativ werden, wenn es um diese Frage geht. Oft hilft es, sich der Realität bewusst zu machen. Manche beißen auch auf Chilischoten oder umgreifen mit beiden Händen einen Kühlakku. Da der ganze Körper temporär mit Cortisol und Adrenalin vollgepumpt ist, hilft oft auch Bewegung, also Spazierengehen oder Joggen. Ich jongliere gerne, wenn die Angst zu groß wird (Geheimtipp!). Auch ein Igelball soll schon Wunder bewirkt haben. Oft reicht es auch, einfach darüber zu sprechen: „Ich hab grade Angst.“ Entspannungsübungen sind noch zu erwähnen, wobei man in einer akuten Panikattacke für sowas keinen Kopf hat, weil die Amygdala übernimmt. Solche Sachen müssen also gut trainiert werden, um in akuten Situationen präsent zu sein. Wenn du noch den absoluten Geheimtipp gegen die Angst hast, schreib es bitte in die Kommentare rein :).

 

Was will mir der Artikel jetzt sagen?

Eine Agoraphobie ist eine Erkrankung und nicht einfach nur Angst. Somit ist das Zeigen von Symptomen auch keine Schwäche, sondern sie sind halt einfach Symptome einer Krankheit. Wenn du niest, sagt ja auch keiner, wie schwach du bist, weil du’s nicht unterdrückt hast. Hauptmerkmal einer Agoraphobie ist die Angst vor bestimmten Situationen oder Orten, die auf der anderen Seite der Haustür lauern, wie Bus, Bahn, Supermarkt, Konzerte, etc. Für die Angst typisch sind Reaktionen wie beschleunigter Herzschlag, Zittern, Übelkeit, Bauchschmerzen, flache Atmung oder Schwitzen. Dabei werden diese Phänomene direkt vom Gehirn durch einen komplexen Hormoncocktail gesteuert. Auslöser für die Agoraphobie ist meist eine „Urangst“, also eine erste, überwältigende Angst in einer scheinbar unkontrollierbaren Situation. Eine Agoraphobie ist relativ gut therapierbar, wobei sich vor allem die Kognitive Verhaltenstherapie bewährt hat. Auch Antidepressiva können eingesetzt werden, deren Einnahme sollte allerdings streng überwacht werden. Auf jeden Fall sollte man sich in Therapie begeben, denn so schön die eigene Wohnung auch ist, draußen spielt sich das echte Leben ab und das ist es wert.

 

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