Steckt die Psyche nur im Kopf?

Nein. Damit könnte ich den Artikel bereits abschließen, er wäre dann vermutlich nur ein bisschen zu kurz. Wo also steckt die Psyche sonst?

Meine Psyche steckt in meinem Bauch. Es ist weithin bekannt, dass in dem eine Menge Nervenverbindungen stecken. „Bauchhirn“ wird das Ganze gerne genannt. Bemerkbar macht es sich vor allem in stressigen Situationen. Da führt der Weg vor einer wichtigen Präsentation gerne zuerst mal auf die Toilette. Auch viele Erkrankungen, wie das Reizdarm- oder das Reizmagensyndrom, werden auf die Psyche geschoben. „Das schlägt mir auf den Magen“ wird ja nicht nur gesagt, wenn man den nicht mehr ganz so frischen Fisch isst. Sorgen, Trauer, Angst, Stress – das alles macht sich in der Körpermitte bemerkbar.

Meine Psyche steckt in meinem Herzen. Vor allem merke ich das, wenn ich Angst habe. Dann vollführt meine Pumpe Höchstleistungen. Oft sogar, wenn ich das gar nicht möchte oder es nicht verstehe. Warum habe ich denn bitte jetzt Herzrasen? Menschen mit Panikattacken oder Angststörungen können davon ein Liedchen singen. In depressiven Phasen schlägt mein Herz langsamer. Dann fühle ich mich kraft- und antriebslos. Erschöpft.

Meine Psyche steckt in meiner Lunge. Nach Albträumen oder Flashbacks bekomme ich schlichtweg keine Luft mehr. Da hilft nur bewusstes und sehr langsames Ein- und Ausatmen. Denn wenn ich es nicht betont bewusst mache, atme ich gar nicht. Nicht flach, nicht gehetzt – gar nicht. In stressigen Situationen, zum Beispiel beim Einkaufen in überfüllten Supermärkten, vergessen meine Lungenflügel gerne mal, wie sie sich füllen und wieder leeren sollen. Der berühmte Elefant auf meiner Brust tanzt Polka.

Meine Psyche steckt in meinen Muskeln. Nach schlaflosen Nächten oder triggernden Situationen habe ich Muskelkater. Ohne Sport getrieben zu haben. Ja, das ist so lustig, wie es klingt. Mein Rücken ist mehr oder weniger dauerverspannt, die Schultern kommen nach einem Tag in hochgezogener Position nicht mehr runter. Mir tun die Arme weh, weil ich mich so oft an Dinge klammere und die Beine, weil ich schnell aus unangenehmen Situationen fliehen möchte.

Meine Psyche steckt in meinen Augen. An denen kann man ganz gut ablesen, wie wohl ich mich in einer Situation fühle. Mein Verlobter hat mir mal gesagt, dass er noch keinen anderen Menschen gesehen hat, bei dem die Augen so schnell hin- und herspringen. Ich muss alles aufnehmen, darf keinen visuellen Reiz auslassen, denn genau dieser vergessene Input könnte gefährlich für mich sein. Sakkaden nennt man das übrigens, also die schnellen, unkontrollierten Augenbewegungen, die nicht bewusst wahrgenommen werden.

Meine Psyche steckt in meinem Kopf. Das ist sowieso klar. Der steuert alles in meinem Körper, der ist schuld an den angespannten Muskeln, dem rasenden Herzen, der hektischen Lunge, dem rumorenden Bauch und den ruckenden Augen. Es ist also korrekt, dass die Psyche vom Kopf aus gesteuert wird. Der Satz „Die Psyche ist nur in deinem Kopf“ klingt aber so, als hätte sie keine Auswirkungen auf den Rest meines Körpers, und das ist nicht korrekt. Denn was mich wirklich an meiner psychischen Erkrankung nervt, sind nicht allein die Gedanken und Gefühle. Am schlimmsten sind die körperlichen Erscheinungen, die ich nicht kontrollieren kann. Die Übelkeit, wenn eine Prüfung ansteht. Das rasende Herz, wenn ich einkaufen gehe. Die rebellierende Lunge, wenn ich in einem überfüllten Bus sitze.

Psychische Erkrankungen sind sehr komplex. Sie betreffen nicht ein einzelnes Organ, sondern alle. Jemand, der unter psychischen Problemen leidet, hat also viele Punkte, bei denen etwas getan werden muss. Eine Angststörung ohne den beteiligten Reizdarm zu behandeln, wird nicht viel bringen. Deswegen müssen Psychotherapeuten mit Ärzten, Physiotherapeuten und von mir aus auch mit Heilpraktikern zusammenarbeiten. Denn die Psyche hat vielleicht ihren Hauptsitz im Kopf, die Zweigstellen sind aber im gesamten Körper verteilt.

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