Was ist ein Trauma

Ich habe keinen Autounfall gehabt. Ich habe nie ein schlimmes Erdbeben oder einen Tsunami erlebt. Ich war nie im Krieg und wurde nie gefoltert. Ich war nie auf der Flucht. Ich wurde nie vergewaltigt oder sexuell belästigt. Und trotzdem habe ich eine PTBS.

„Wieso hast du denn eine Posttraumatische Belastungsstörung? Was soll denn bitte dein Trauma gewesen sein?“ Sätze wie diese kennen wahrscheinlich viele von Euch. Man wird als undankbar und übertreibend dargestellt, hysterisch oder als Lügner. Ihr wisst selbst nicht mehr, ob ihr Euch und Eurer Geschichte noch glauben könnt. Ob Eure Erinnerungen korrekt sind, weil Euch immer das Gegenteil eingetrichtert wurde. „Nicht so schlimm“ war das Erlebnis. „Doch nur Spaß“ das Geschehene. Das war es nicht. Das war es nie.

Ihr übertreibt nicht. Ihr lügt nicht. Ihr wollt euch nicht durch eure Erkrankung in den Mittelpunkt stellen oder euch interessant machen. Das stimmt einfach nicht. Ihr habt Schlimmes erlebt, Überwältigendes und Unkontrollierbares. Ihr wart einer Situation ausgeliefert, mit der ihr nicht umgehen konntet. Weil sie zu groß war oder ihr einfach noch zu klein.

Man muss nicht im Krieg gewesen sein, um ein Trauma erlebt zu haben. Man muss nicht physisch oder sexuell Missbraucht worden sein, um ein Trauma überlebt zu haben. Ein Trauma ist nicht schlimmer als das andere und es ist anmaßend und dumm, ein traumatisches Erlebnis bewerten zu wollen. Das hier ist nicht „Germany’s Next Traumaopfer“, sondern das Leben.

Ich wurde oft ungläubig gefragt, von was ich denn bitteschön traumatisiert bin. Zu perfekt war die Fassade, zu einstudiert die Maske. Es hat niemand mitbekommen, was passiert ist, und wer es mitbekommen hat, hat es falsch eingeschätzt. Ich möchte niemandem einen Vorwurf machen. Ich selbst habe die Situation viel zu lange als normal angesehen, weil mir das so eingetrichtert wurde. Eigentlich geht es auch niemanden etwas an, was ich erleben musste. Das ist mein Trauma und es ist extrem intim. Es bietet eine große Angriffsfläche, macht mich verletzlich. Erzähle ich dann doch meine Geschichte, bringe ich die Menschen zum Weinen. Und zum ungläubigen Kopfschütteln. „Wie hast du das nur ertragen?“ Ich weiß es nicht. Ich dachte eben, es sei normal gewesen.

Niemand hat das Recht, jemand anderem das Trauma abzusprechen. Wenn die Symptome eindeutig auf eine PTBS hindeuten, dann ist es auch eine PTBS. Niemand würde sagen: „Wieso haben Sie denn Diabetes? Sie essen doch keine Sahnetorte!“ Zu den Symptomen einer PTBS gehören zum Beispiel Flashbacks (Erinnerungen an das traumatische Erlebnis), Albträume, Zurückgezogenheit, emotionale Abstumpfung, erhöhte Schreckhaftigkeit und das Vermeiden bestimmter, mit dem Trauma verbundenen Situationen oder Personen. Letzteres muss nicht unbedingt dabei sein. Da ist schon so ein komisches Unwohlsein, wenn man sich mit diesen Personen oder Orten auseinandersetzen muss, dieses Gefühl wird aber häufig überspielt und nicht wahrgenommen.

Ein traumatisches Erlebnis muss nicht laut sein. Die meisten sind verdammt leise und passieren im Verborgenen. Es braucht keinen ohrenbetäubenden Hubschrauberlärm, abstürzende Flugzeuge oder alles zermalmende Tsunami-Wellen. Missbrauch zum Beispiel geschieht heimlich. Emotionaler. Psychischer. Physischer. Sexueller. Leise. Verborgen. Immer wieder. Wer da ohne psychische Verletzung herauskommt, muss ein Alien sein. Behaupte ich jetzt einfach mal. Denn Traumareaktionen sind bei solchen Situationen vollkommen normal und logisch. Schmerzhaft, aber logisch.

Wenn man mich fragt, warum ich denn bitteschön mit meinem scheinbar perfekten Leben eine PTBS habe, antworte ich inzwischen: „Das geht dich nichts an.“ Klingt hart, ist aber so. Bei Menschen, die ich wirklich gern habe, sage ich eher: „Ich kann nicht darüber sprechen.“ Läuft letzten Endes aufs Gleiche hinaus. Beides ist wahr. Denn vor niemandem muss ich mich für meine Erkrankung rechtfertigen. Nicht vor Fremden. Nicht vor dem Chef. Nicht vor irgendwelchen Mitarbeitern bei Behörden. Ich habe eine PTBS, Punkt.

Eine PTBS ist übrigens nicht die einzige mögliche Reaktion auf ein traumatisches Ereignis. Angststörungen, Depressionen, Borderline, das alles kann Folge eines Traumas sein. Deswegen ist es extrem wichtig, behutsam an die Sache heranzugehen und nicht zu schnell zu tief zu graben. Denn was da alles zum Vorschein kommen kann, ist schwer einzuschätzen. Ich habe tatsächlich schon die Theorie gelesen, dass PTBS die Reaktion auf schwere Traumatisierungen sind und Depressionen oder Borderline auf kleine. Das ist ein so dämlicher Unfug, dass mir beim Lesen fast das Hirn rausgesprungen ist. „Sorry, sowas muss ich mir nicht antun!“, hat es gesagt und wollte die Koffer packen.

Jedes Trauma ist ein Trauma. Es ist nicht stärker oder schwächer, schlimmer oder besser als ein anderes. Ein Trauma ist eine oder sind mehrere Situationen, die überwältigend sind. Das Gefühl der Kontrolle fehlt komplett, das Gehirn kann den Input nicht verarbeiten. Die Folge sind psychische Probleme. Meistens nicht direkt danach, sondern erst Monate oder Jahre später. Die Traumafolgestörungen können so unterschiedlich sein, wie die auslösenden Erlebnisse. Niemand sollte versuchen, jemandem das Trauma auszureden. Denn es ist nun einmal da und es will bemerkt und behandelt werden.

Denn genau hier liegt die Gefahr: Spricht man die Erlebnisse des Betroffenen klein, sucht er sich keine Hilfe. Er will damit nichts zu tun haben, schluckt es runter und bekommt ein Magengeschwür davon. Oder eben eine Depression. Oder eine PTBS. Das Wichtigste, was man dann machen muss, ist, sich Hilfe zu suchen. Denn alleine kann ein Trauma nicht verarbeitet werden. Aufgekratzt, ja. Aber nicht ins Leben integriert. Darum geht es. Man kann mit einer PTBS leben, auch mit einer komplexen. Man muss nur irgendwo anfangen.

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