Trauma Bullshit Bingo

Es gibt Sätze, bei denen fragt man sich tatsächlich, was der Sprechende sich dabei gedacht hat. Oder ob er überhaupt gedacht hat. Wenn man unter einer psychischen Erkrankung leidet, begegnen solche Aussagen einem doch vermutlich etwas häufiger als gesunden Menschen. Die Klassiker kennen wohl alle: Geh doch ein bisschen spazieren, ruh dich aus, hab dich nicht so. Auch bei Traumafolgestörungen bleiben gute Ratschläge und fiese Aussagen nicht lange aus. Hier meine Top 5 dumme Sprüche, die mir im Laufe meiner PTBS begegnet sind (und mir tatsächlich zum Beispiel auf Twitter noch immer wöchentlich begegnen).

 

1. „Du darfst dich da nicht so hängen lassen.“

Übrigens ein richtig fieser Spruch bei Menschen mit Suizidgedanken. Ich frage mich immer, wie genau die Aussage gemeint sein soll. Stellen die sich vor, dass ich wie eine in Öl gemalte Frau den ganzen Tag schlaff auf dem Sofa liege und vor mich hin-PTBS-e? So eine Traumafolgestörung ist harte Arbeit und bedeutet eigentlich mehr oder weniger das genaue Gegenteil von „hängen lassen“. Denn genau das tue ich nicht. Ich bin den ganzen Tag auf Achse, erledige so viel wie möglich, denn in den Momenten der Ruhe kommen die stärksten Symptome. Klar, auch in anderen Situationen, Dissoziationen zum Beispiel tauchen nur in stressigen Tagesabschnitten auf. Die hätte ich also gar nicht, wenn ich mich nur „hängen lassen“ würde. Von der Therapie mal ganz abgesehen, verbringe ich doch einige Stunden die Woche mit Gesprächen, Anträgen und Therapiehausaufgaben.

 

2. „Hast du schon mal xyz probiert?“

Darmsanierung gegen Depression. Globuli gegen Angststörungen. Wasser trinken gegen PTBS. Und die alten Kamellen: Sport treiben, viel schlafen, ausruhen, Gemüse essen, Kokosölkuren für die Haare. Okay, wir schweifen ab. Ja, es gibt manch ein Verhalten, das ist gar nicht so schlecht für den Körper. Viel Wasser trinken oder gesund essen (was auch immer das bedeuten mag) gehört dazu. Und ihr könnt euch sicher sein, dass die meisten Menschen mit psychischer Erkrankung auch schon den einen oder anderen Hokuspokus ausgetestet haben. Aber sind wir mal ehrlich, irgendwann wird’s lächerlich und manchmal sogar gefährlich. Ich weiß, ich wollte Autismus nie wieder als Beispiel für irgendwas bringen, aber gerade hier ist das Feld der alternativen Heiler besonders schlimm. Es gibt Eltern, die geben ihren autistischen Kindern Salzsäure zu trinken, um den Autismus zu heilen. Das ist nicht nur nicht hilfreich, sondern Körperverletzung. Ich mit meiner PTBS kann selbst entscheiden, was ich tue und was ich lasse. Trotzdem ist es unendlich nervig, dauernd Nachrichten zu bekommen wie „Energien ausleiten bei PTBS“ oder „Heilfasten bei PTBS“. Keine Ahnung, wie dadurch mein Trauma verschwinden soll. Die meisten Tipps sind in ihrem Inhalt etwas harmloser, da geht es dann tatsächlich eher um Sport treiben und viel schlafen. Problem: Durch die PTBS habe ich Schlafstörungen. Viel schlafen ist also nett gemeint, aber eben nicht machbar. Beim gesunden Essen ist das ähnlich. In Zeiten absoluter PTBS-igkeit bin ich froh, überhaupt an die Nahrungsaufnahme zu denken. Da landet auch mal eine Fertigpizza im Verdauungstrakt – und das ist okay. Wenn ihr also jemandem diesen gutgemeinten „Hast du schon mal“-Tipp geben wollt, denkt dran, dass ihr vermutlich sehr wenig über die Erkrankung und über die erkrankte Person wisst. Also: Sprüche sparen, besser Fragen stellen und unverbindliche Hilfe anbieten.

 

3. „Lass es doch endlich hinter dir, das ist Vergangenheit.“

Wie lange darf man an einem Trauma knabbern? Wann ist der gesellschaftsverträgliche Zeitpunkt gekommen, an dem das Trauma auf magische Art und Weise überwunden sein muss? Und sagen diese Leute zu Menschen, die zum Beispiel durch einen Unfall ein Bein verloren haben, auch: „Hab dich nicht so, das ist Vergangenheit“? Ja, die Vergangenheit ist vorbei, aber die Wunden, die in ihrer Gegenwart aufgetreten sind, heilen unterschiedlich schnell. Und da gibt es auch keine Vorgaben, wie schnell die weg zu sein haben. Ein Trauma ist eine tiefgreifende Verletzung der Seele, die niemals ganz verschwinden wird. Man kann lernen, damit zu leben und das Geschehene zu integrieren, aber das lässt das Trauma nicht verschwinden. Für die Heilung oder Genesung an sich ist so ein Spruch übrigens auch nicht sehr hilfreich, impliziert er doch eine Menge Druck und Unverständnis. Genau das aber braucht man nicht, wenn man sich seiner Vergangenheit stellen möchte.

 

4. „So schlimm war’s doch gar nicht, übertreib halt nicht.“

Oh, der Spruch kommt meistens, wenn die Leute genug von meiner PTBS haben. Spätestens hier zeigt sich dann, welche Art von Mensch mir gegenübersitzt. Zugegeben, die Aussage begegnet mir selten, aber sie kommt vor und für mich ist sie die ekelhafteste. Wieso? Stellt euch vor, euer gesamtes Leben über haben andere Personen bestimmt, was für euch schlimm ist und was nicht. Euch wurde dauernd erzählt, dass ihr übertreibt, eine Drama Queen seid und euch nur wichtigmachen wollt oder jemanden mit eurem Schmerz manipulieren möchtet. Irgendwann habt ihr es endlich geschafft, euch dieser Vergangenheit zu stellen, wenigstens ein bisschen Selbstwertgefühl aufzubauen und euch dabei gut zu fühlen. Und dann kommt jemand und sagt: „Du übertreibst.“ Zack, das war’s mit Selbstwertgefühl, das war’s mit Sicherheit, das war’s mit Therapiefortschritten. Hallo Zweifel, hallo Selbsthass, hallo Hoffnungslosigkeit. Lasst es! Entweder ihr wart nicht dabei und habt deshalb keine Ahnung oder ihr wart dabei und habt nicht geholfen, was noch viel schlimmer ist.

 

5. „Wenn du dich damit so wohlfühlst, suhl dich halt in deinem Selbstmitleid.“

Wer hat sich nicht schon einmal gedacht: „Ich bin so gestresst. So ein PTBS-Wellness-Wochenende wäre mal was Tolles.“ Ja, so eine PTBS fühlt sich richtig gut an. Dauerndes Angespanntsein, extreme Schreckhaftigkeit, die Nächte voller Albträume und Schlafstörungen, die Tage voller Flashbacks und physischem Schmerz. Ein Traum. Vermutlich zielt diese Aussage auf ein Phänomen ab, das man „sekundären Krankheitsgewinn“ nennt. Manche Betroffene können und möchten ihre Erkrankung nicht loslassen, weil sie davon profitieren, zum Beispiel durch Aufmerksamkeit von außen. Sie genießen es, dass andere sich um sie kümmern, nett zu ihnen sind und Erledigungen abnehmen. Leider wird diese Erscheinung von Gesunden gerne dazu genutzt, dem Erkrankten Druck und Vorwürfe zu machen. Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich überhaupt nicht von meiner Erkrankung profitiere, sie stört einfach nur. Ich würde gerne studieren, arbeiten und alleine einkaufen gehen. Es nervt mich abgrundtief, wenn mein Mann sich Sorgen macht oder mir Dinge abnehmen muss. Aber für Außenstehende ist es bei schwachen Argumenten eben einfacher, so einen dämlichen Spruch abzulassen, denn dann müssen sie sich nicht mehr mit der Erkrankung auseinandersetzen. Sie müssen nicht darüber nachdenken, ob sie vielleicht zur Aufrechterhaltung beitragen oder zumindest nicht bei der Genesung helfen. Bei Betroffenen führt so eine Aussage leider eben genau zu Folgendem: Druck und Selbsthass. Unsicherheit. Schlecht für eine Besserung der Symptomatik. Also einfach sein lassen. Und für Betroffene: Einfach nicht hinhören. Solche Sprüche kommen nämlich tatsächlich meistens dann, wenn eurem Gegenüber nichts Substantielles mehr einfällt. Das spricht gegen sie, nicht gegen euch.

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