Ein Psychotherapeut ist kein Halbgott in Weiß. Trotzdem fällt es mir als Patientin recht schwer, sie zu kritisieren, denn immerhin verdanke ich einigen von ihnen mein passables Leben. Vorweg gesagt sei also, dass ich mit diesem Artikel nicht das Fachpersonal per se kritisieren will. Ich will einfach eine Auflistung vornehmen, was ich alles schon so von Therapeuten hören durfte, was mir nicht geholfen oder mir sogar geschadet hat. Sicherlich gibt es eine Vielzahl an Psychologen, die keinen einzigen dieser Sätze jemals ausgesprochen haben. Für diejenigen, die es allerdings doch tun: Denkt bitte darüber nach, wie die Aussage bei eurem Patienten ankommen könnte.
1. „Das schaffen Sie schon.“
Der Todessatz schlechthin. Aber wieso? Eigentlich klingt er ja ganz nett, motivierend und unterstützend. Der Therapeut möchte damit wohl sagen, dass er fest an Sie glaubt und alles Leid früher oder später durch Ihre Anstrengung von selbst verschwinden wird. Tja. Problem.
Nummer 1: „Das schaffen Sie schon“ impliziert, dass der Therapeut sich fein herausnimmt, denn es ist kein „Das schaffen wir schon“. Der Patient wird also mal wieder daran erinnert, dass niemand ihm helfen kann, sondern dass er sich selbst retten muss. Das ist an sich nicht falsch, denn es stimmt ja, dass man es im Kern immer selbst ist, der einem am nächsten steht. Trotzdem braucht es Hilfe von außen, unterstützende Netzwerke und eben auch fachliche Hilfe.
Nummer 2: Was ist, wenn ich es eben nicht schaffe? Was ist, wenn die Depression, Angst, Flashbacks, Albträume, manische Episode, was weiß ich, wiederkommt? Oder wenn sie nie wirklich weggeht? Bin ich dann zu schwach? Zu dumm? Zu faul? Nicht fähig? Was sagt mir das? Dass es sich eh nicht lohnt, mir Hilfe zu holen, weil ich es nicht schaffe, sie zu nutzen? „Das schaffen Sie schon“ ist der toxischste Satz, wenn es darum geht, sich nach einem Rückfall wieder Hilfe zu suchen.
2. „Es gibt Schlimmeres.“
Wieso gibt es überhaupt Menschen, die sowas sagen? Ich sag doch einem Krebskranken auch nicht: „Hey, immerhin bekommst du hier im Krankenhaus drei Mahlzeiten, in Afrika ist das viel schlimmer.“ Ich möchte jetzt mal eins sagen: Es gibt immer etwas noch Schlimmeres. Das macht die derzeitige Situation allerdings nicht besser, eher sogar noch schlimmer (wobei es ja selbst dann immer noch Schlimmeres gibt). Der Satz führt nämlich logischerweise dazu, dass man sich dafür schämt, wie schlecht es einem geht. Denn man hat ja angeblich kein Recht dazu, sich zu beklagen. Immerhin gibt es Schlimmeres. Mir wurde dieser Satz tatsächlich mal von einem Therapeuten entgegengebracht. Danach folgte eine halbstündige Erklärung über Patienten, denen es schlechter geht als mir. Was mir das gebracht hat? Naja, die Vorlesung hat fast die gesamte Therapiestunde verbraucht, die ich übrigens bezahlt habe. Satz mit x. Aber es gibt ja Schlimmeres.
3. „Sie müssen da einfach mal durch.“
Wieso der Satz so beliebt ist, wird sich mir wohl nie erschließen. Denn wenn ein Therapeut das sagt, vergisst er Folgendes: Ich bin ja gerade bei ihm, um mir erklären zu lassen, wie ich das kann. Einfach mal durch. Einfach. Wenn’s einfach wäre, müsste meine Krankenkasse nicht dafür zahlen, dass ich auf ihrem sackunbequemen Stuhl sitze. Therapeuten vergleichen psychische Auffälligkeiten ja gerne mal mit einem Sturm, den man durchlaufen muss. Kann schon sein. Wenn der Sturm allerdings eine Windgeschwindigkeit von 300 km/h hat, kann ich da nicht einfach mal so durchlaufen. Da brauche ich Hilfe. Deswegen bin ich ja bei dem Therapeuten. Der Satz verharmlost einfach alles, was mich gerade am Leben behindert. Und mal ganz nebenbei gibt es auch chronische Verläufe von psychischen Erkrankungen. Sagt mal einer jemandem mit komplexer PTBS, dass er da einfach mal durch muss.
4. „Das sehen Sie vollkommen falsch.“
Ja, ich war genauso sprachlos, wie du gerade. Man muss sich folgendes Szenario vorstellen: Ich sitze da bei meinem Therapeuten, verheult, drei Tage kaum geschlafen, veräußere mein Innerstes, meine intimsten Geheimnisse und Gedanken und dann kommt „Das sehen Sie vollkommen falsch.“ Autsch. Herzschmerz. Ich meine, wenn einem die halbe Pubertät über eingeredet wurde, dass man alles falsch sieht, was für ein therapeutischer Ansatz soll das dann bitteschön sein? Wenn man sich für die Gedanken eh schon schämt, könnte dann nicht wenigstens ein „Ich verstehe, warum Sie das so denken. Ihnen ist xyz passiert, da ist die von Ihnen getroffene Schlussfolgerung logisch“ kommen? Ich sehe nichts falsch. Ich sehe alles so, wie ich es sehe, und ich habe genug kognitive Verknüpfungen, um behaupten zu können, dass meine Sichtweise nicht per se falsch ist. Nicht hilfreich. Blockierend. Dysfunktional. Gerne. Aber nicht falsch. Genauso toll ist übrigens der Satz „Ach, was für ein Quatsch!“ Den durfte ich auch schon hören. Kein Scherz.
5. „Ach stimmt, Sie hatten ja heute einen Termin.“
Wurde mir an der Tür zur Praxis gesagt. Leider saß da schon ein Patient im Zimmer, der denselben Termin hatte wie ich. Was hab ich gemacht? Gelächelt, „Nein, nein, schon in Ordnung“ gesagt, nach Hause gegangen und geheult. Wieso? Weil es einem einfach das Gefühl gibt, nicht mal dem Therapeuten wichtig genug zu sein, damit er sich an einen erinnert. Das tut verdammt weh. Natürlich darf jeder mal einen Termin vergessen und wir können herzlich darüber lachen. Dann möchte ich aber auch, dass der Therapeut seinen eigenen Fehler einsieht und sich dafür entschuldigt. Das ist nämlich nicht passiert. Und wenn die Termine schon vom Behandler vergessen werden, können sie ja gar nicht so wichtig gewesen sein. Einen Folgetermin habe ich nicht ausgemacht. Nachdem ich mich ausgeheult hatte, habe ich mich in meinem Bett verkrochen und die Mauern dicht gemacht. Genau das passiert dann nämlich.
Was will mir der Artikel jetzt sagen?
Liebe Seelenklempner,
ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie wichtig ihr für uns seid. Manchmal seid ihr der letzte Halt, den dieses Leben bietet. Die 50 Minuten jede Woche sind für manch einen Patienten der einzige Grund, sich nicht die Pulsadern aufzuschneiden. Vergesst das nicht. Verharmlost das nicht. Und habt Respekt vor euren Patienten. Wir wissen, dass es „Schlimmeres“ da draußen gibt und dass wir uns manchmal „einfach durchbeißen“ müssen. Das können wir aber auch nicht immer. Das könnt ihr nicht immer. Das kann keiner immer. Vergesst bitte nicht unsere Termine und gebt uns das Gefühl, wir wären das Einzige, was euch gerade beschäftigt. Wir wissen, dass ihr einen verdammt harten Job habt, der selten genug gewürdigt wird. Aber wir brauchen euch. Wir brauchen von euch 100 Prozent. Wir wissen, dass ihr Menschen seid und eigene Probleme habt. Wir wissen euch ziemlich zu schätzen und wir haben ziemlichen Respekt davor, wie ihr uns immer wieder aus den tiefsten Löchern ziehen könnt. Wir versuchen wirklich alles, um euch dabei zu unterstützen, uns zu unterstützen. Seid stolz auf uns. Wir sind es wert.
Herzlichst,
eine Patientin