Depression - Let it go?

Ich weiß, meinem Blutdruck und Seelenfrieden zuliebe wollte ich mich zu diesem Thema eigentlich nicht mehr äußern, aber ein paar Tweets der letzten Tage haben mich nicht mehr schlafen lassen. Worum es geht?

Halbstarke möchte gern Machos mit „Champ“ am Ende ihres Twitternamens mussten leider meine Timeline mit richtig wichtigen Sprüchen wie:

„Man sagt, es gibt immer Licht am Ende des Tunnels. Aber du siehst es nicht nicht mehr, wenn sich deine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben.“ (@AimixOffiziell vom 13.03.2019, hat offenbar keine Ahnung von Physik und Anatomie – oder deutet das zweite „nicht“ im Tweet darauf hin, dass die Sache hier viel tiefgründiger ist?)

oder

„Die Krankheit „Depression“ gibt es nicht. Du fühlst dich traurig, du kommst darüber hinweg.“ (@NinoChamp vom 13.03.2019, hat offenbar noch weniger Ahnung von irgendwas)

fluten und weil mir die Aufklärung über die Erkrankung (!) Depression so wichtig ist, hier eine kleine Erinnerung.

Depressionen sind nicht Traurigkeit, sie haben nichts mit einer Opferrolle zu tun und sie sind nicht einfach nur eine Lebenseinstellung. Warum ist das in so vielen Köpfen noch nicht angekommen?

Wenn ich eine depressive Episode habe, fühle ich mich nicht traurig. Ich fühle mich gar nicht irgendwie. Wenn, dann fühle ich Schuld und Scham und Unzulänglichkeit, dann fühle ich mich überflüssig und falsch. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich mich darin suhlen würde wie ein Schwein im Schlamm, sondern dass es dann eben so ist. Ich weiß, dass mein Kopf nicht die Wahrheit spricht, dass ich ein kompetenter Mensch bin, der im Leben schon sehr viel erreicht hat. Es ist dieser Widerspruch, der mich niederstreckt. Nicht die Tatsache, dass ich mal wieder einen faulen Tag auf dem Sofa brauche.

Depression bedeutet Antriebslosigkeit. Es ist eine Erschöpfungserkrankung. Wer Personen mit Depression sagt, dass sie nur mal ihren Arsch hochkriegen müssen, erzählt auch Polizisten nach drei 24-Stunden-Schichten, dass sie gar nicht müde sind, sondern mehr Sport treiben müssen.

Wenn ich in einer depressiven Episode stecke, dann bin ich froh, wenn ich mir alleine die Haare waschen oder mir etwas zu essen machen kann. Das hat nichts damit zu tun, dass ich keine Lust auf Sport habe oder nicht die Welt verändern möchte, sondern, dass ich es eben einfach nicht tun kann. Körperlich nicht kann. Das hat nichts mit meiner Einstellung zu tun, sondern mit Erschöpfung.

Und nein, über eine Depression kommt man nicht einfach hinweg. Schön wär’s. Ich lehne mich jetzt einfach mal ein bisschen aus dem Fenster, aber es gibt und gab keinen Menschen auf dieser herrlichen Welt, der jahrelang unter depressiven Episoden litt und eines morgens einfach ohne Depressionen wieder aufgewacht ist. Eine Depression ist keine Grippe, die man im besten Fall einfach aussitzen, ausruhen und ausschlafen kann (wobei uns ja vorgeworfen wird, dass wir gerade das versuchen). Eine klinische Depression gehört in die Obhut einer guten Psychotherapie, die gegebenenfalls medikamentös begleitet wird, nicht mehr und nicht weniger.

Ja, zu dieser Therapie gehört auch das Verändern von Verhaltens- und Gedankenmustern, manchmal auch die Trennung von Umgebungsfaktoren oder dysfunktionalen Beziehungsstrukturen. Eine Depression ruft immer nach Veränderung, genauso, wie das jede Erkrankung tut. Wenn ich nach einem Unfall querschnittsgelähmt bin, muss ich auch meine Wohnung rollstuhlgerecht herrichten oder umziehen. Und bei jeder Erkrankung müssen Faktoren erkannt und beseitigt werden, die die Erkrankung verursachen oder am Leben erhalten. Das ist logisch.

Das geht aber nicht von heute auf morgen und das geht meistens auch nicht von alleine. Es braucht Psychoedukation, um die Erkrankung überhaupt zu verstehen. Es braucht Begleitung, um den Mut zu finden, dysfunktionale Strukturen zu bekämpfen. Und vor allem braucht es Zeit – viel Zeit. Denn man kann bei einer Erkrankung, die dazu führt, dass sogar das Schnürsenkel binden viel zu viel Kraft braucht, nicht das komplette Leben Champ like von heute auf morgen ändern. Zuerst muss man durch die akute Episode hindurch. Die kann übrigens gerne mal 16 Monate dauern – von Dysthymien gar nicht erst zu reden.

Was mich aber an den Tweets am meisten stört, ist die Menschenverachtung, die dahintersteckt. „Du bist selber schuld, wenn es dir schlecht geht und du bist selber schuld, wenn es nicht besser wird.“ Darin verborgen liegen zwei Gedanken.

Nummer Eins: Du bist unfähig. Dass dein Leben so schlecht ist, liegt nur daran, dass du ein fauler, dummer Sack bist, der es sich in seiner Opferrolle bequem gemacht hat. Das wird den allermeisten Erkrankten nicht gerecht. Zum einen kämpfen wir tagtäglich um nicht weniger als unser Überleben, zum anderen machen wir das nicht einfach so nebenbei, sondern unter Verwendung all unserer Kräfte. Zusätzlich arbeiten viele von uns, schmeißen den Haushalt, ernähren die Kinder, füttern die Katzen, machen die Steuererklärung, fahren das Auto zum TÜV, nehmen unsere Vorsorgeuntersuchungen wahr und versuchen, wenigstens ein bisschen Normalität zu erhalten. Erkrankte Menschen sind viel stärker als Gesunde, weil wir zusätzlich zu dem, was Gesunde tun, noch die Erkrankung ertragen und bekämpfen müssen.

Nummer Zwei: Therapien und Behandlungen sind überflüssig. Du kommst darüber hinweg. Leb damit oder stirb damit, aber es ist deine Entscheidung. Noch mal ganz langsam und zum Mitschreiben: Eine Erkrankung ist niemals eine Entscheidung. Ich habe nicht irgendwann mal bei Amazon eine Depression bestellt, weil die gerade im Angebot war. Ich habe nicht irgendwann mal gedacht: „Hey, auf dem Sofa verrotten und keinen Sinn im Leben sehen, das wäre doch was!“ Und ich habe niemals in meinem Leben etwas getan, mit dem ich diese Erkrankung provoziert oder verdient hätte. Sie ist zu mir gekommen, nicht ich zu ihr. Die Depression genauso wie die Schilddrüsenunterfunktion oder die Skoliose.

Diese pseudophilosophischen Aussagen von Menschen, die offensichtlich absolut keine Ahnung von dieser Erkrankung haben, führen nur leider bei vielen Betroffenen wozu? Richtig: Dass sie sich keine Hilfe suchen, weil sie sie angeblich nicht verdienen oder brauchen. Man kann’s ja alleine richten! Kann man aber nicht. Wie oben bereits beschrieben, muss eine Depression immer professionell behandelt werden, sonst kann sie chronisch oder sogar tödlich verlaufen.

Eine Depression ist eine Erkrankung. Eine Depression ist eine ernstzunehmende Erkrankung. Eine Depression ist eine ernstzunehmende Erkrankung, über die nicht so ein Mist geschrieben werden sollte. Leider haben viele noch immer nicht verstanden, dass eine Depression eine Erkrankung ist und weil es sich richtig ins Hirn einbrennen soll: Eine Depression ist eine Erkrankung.

Eine Erkrankung kann man nicht durch die persönliche Lebenseinstellung oder semi-hilfreiche Tweets von Champs beseitigen. Eine Erkrankung gehört in die Hände einer Person, die sich mit dieser Erkrankung auskennt. Bei einer Depression ist das ein*e Psychotherapeut*in, ein*e Psychiater*in oder von mir aus im Notfall auch ein Hausarzt oder eine Hausärztin. Nicht Twitter. Nicht „Just do it!“-Aussagen oder Menschen, die denken, Depressionen durchschaut und dadurch jahrzehntelange Forschung und professionelle Behandlungsarten überflüssig gemacht zu haben.

Depressionen kann man nicht einfach loslassen, genauso wenig wie Tumore. Sie fressen sich tief ins Gewebe, sie verändern unseren Stoffwechsel, sie lassen uns schwerer atmen und langsamer laufen. Und deshalb müssen sie behandelt werden. Depressionen gehören immer in erfahrene Hände und es braucht viel Zeit, bis sie sich bessern. Ja, Lebensstrukturen, Verhaltens- und Denkweisen müssen verändert werden. Aber das ist nur die halbe Miete. Depression ist mehr als Traurigkeit. Depression ist etwas ganz anderes als eine Opferrolle. Depression, das ist eine verdammte Erkrankung. Nicht mehr. Nicht weniger.

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