Wie ich in einem anderen Artikel vor ein paar Wochen bereits geschrieben habe, geht eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit einer Vielzahl an Symptomen einher. Bisher beschrieb ich nur die beiden „Flashback“ und „Dissoziation“. Das sind aber Extremerlebnisse, die, je nach Patient, auch eher selten auftreten können. Was die PTBS eigentlich besonders unerträglich macht, sind die teils unterschwelligen, teils überwältigenden Phänomene, die ich in diesem Artikel vorstellen möchte.
Viele, die unter einer PTBS leiden, kennen diese Symptome in unterschiedlicher Ausprägung. Allein das Lesen dieser Erlebnisse kann zu unangenehmen bis unaushaltbaren Reaktionen führen. Deswegen möchte ich eindrücklich darauf hinweisen, dass dieser Artikel triggern kann! Wenn dir etwas an einer Stelle zu viel wird, lies bitte nicht weiter, sondern stabilisiere dich erst wieder. Das ist extrem wichtig. Versprich es mir, bitte. Du musst dich zu nichts zwingen und du musst da auch nicht „durch“. Bereit? Na, dann kann es ja losgehen.
Schreckhaftigkeit – Wenn der Postbote zu laut klingelt
Dieses Symptom gehört bei mir mit zu denen, die ich am meisten hasse und am wenigsten kontrollieren kann. Schreckhaftigkeit beschreit genau das, nach dem es klingt. Stell dir einfach folgende Situation vor: Du stehst in der Uni oder im Büro und unterhältst dich mit anderen. Plötzlich packt jemand seine Hände auf deine Schultern und schreit dir etwas zu euphorisch „Bu!“ ins Ohr. Du erschreckst dich. Vielleicht lachst du. Jemand mit PTBS wird den Erschrecker hassen. Abgrundtief. Ganz ehrlich. Lasst das bitte.
Ich hab mal einem Freund eine gescheuert, weil er das bei mir gemacht hat. Das war keine Absicht, eher eine Schockreaktion, die eher selten vorkommt. Ich habe mich danach bei ihm entschuldigt und mich erklärt. Seitdem hat er es nicht mehr gemacht. Ich verstehe es, warum man Spaß daran hat, andere Leute zu erschrecken, ganz ehrlich. Man schleicht sich wie eine Katze an, unbemerkt, hat die Macht über die Reaktion, die gleich folgen wird. Unterschätzt aber bitte nicht die Situation. Ich habe Stunden nach dem Vorfall noch gezittert.
Jetzt bezieht sich Schreckhaftigkeit aber nicht nur auf solche Momente. Jeder erschrickt bei einem Horrorfilm (ja, auch die ganz harten Kerle). Wenn der Postbote klingelt, der Hund plötzlich bellt oder den Nachbarn eine Vase herunterfällt, erschrecken auch viele. Nur eben nicht in der Intensität, die ich kenne. Wenn die Jalousien im Wind klappern oder ein Vogel ans Fenster pickt, kann ich nicht nur nicht schlafen. Ich fange an zu zittern, zu weinen, zu verzweifeln. Es gibt Tage, da ist die Schreckhaftigkeit schlimmer als an anderen. Da liege ich mehr oder weniger nur im Bett und versuche, alle Geräusche um mich herum zu dezimieren. Weil mich wirklich alles erschreckt. Der Nachbar schaltet seinen Fernseher an? Herzrasen. Der Freund klappert mit einer Bratpfanne in der Küche? Schnappatmung. Was war das für ein Geräusch? Was bedeutet das für mich? Kann mir das wehtun? Kann mich das töten? Diese Gedanken strömen mir durch das Gehirn und betäuben mich. Ich habe panische Angst.
Schreckhaftigkeit geht gerne mit einem „Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung“ (http://www.icd-code.de/icd/code/F43.1.html) einher. Man ist also mehr oder weniger dauernd in Hab-Acht-Stellung. Dass das nicht gesund ist, kann sicher keiner bestreiten. Selbst in scheinbar sicheren Situationen, wie auf dem heimischen Sofa oder der letzten Reihe eines Kinos, rechnen Betroffene mehr oder weniger immer mit dem Super-GAU. Nicht bewusst und nicht immer mit Katastrophengedanken. Oft ist es einfach ein Gefühl. Das Gefühl von panischer Achtsamkeit.
Albträume – Killerclowns und Zombies
Als Kind hatte ich relativ selten Albträume. Mal ein oder zwei pro Monat, das war schon okay. Albträume hat doch jeder. Tatsächlich wurde mir vor einigen Wochen zum ersten Mal erklärt, dass solche Albträume, wie ich sie habe, nicht normal sind.
Wie häufig treten sie bei mir auf? Beinahe jede Nacht. Eigentlich kenne ich fast nur zwei Schlafzustände: Albträume mit herausgerissenen Organen oder Komaschlaf. Denn in ersterem Zustand ist der Schlaf nicht sehr erholsam. Das wird dann in den Nächten aufgeholt, an die ich mich gar nicht erinnern kann und in denen ich gerne 13 Stunden am Stück schlafe.
Tatsächlich müssen die Albträume gar nichts mit dem eigentlichen Trauma zu tun haben. Deswegen war es für mich so schwer, sie mit der PTBS in Verbindung zu setzen. Ich träumte von Zombies in Einkaufszentren, Dinosauriern in Schlafzimmern und Wölfen, die gerne meine Eingeweide herausreißen. Ich bin eigentlich gar kein Typ für Horrorfilme, ich schaue solche Streifen eher selten. Ich habe auch keinen Hang zu Gewalt oder Blut. Tatsächlich kann ich mit beidem herzlich wenig anfangen. Das mag auch an meinen Albträumen liegen. Wenn du jede Nacht einen Splatterfilm träumst, musst du tagsüber keine anschauen.
Leider bringen wie gesagt solche oscarreifen Nächte wenig Erholung. Dementsprechend gerädert fühle ich mich am nächsten Tag. Wenn ich hintereinander vier Albträume habe, gebe ich vier Uhr morgens entnervt auf und greife zu dem Buch, das immer neben meinem Bett liegt. Manchmal stehe ich auch auf und schreibe Blogartikel oder schalte den Computer ein. Schlafen kann ich eh nicht mehr. Ich versuche mich abzulenken von den Monstern meiner eigenen Vorstellungkraft. An so einem Tag arbeiten oder studieren? Unmöglich.
Gott sei Dank habe ich es bereits als Kind von meiner Mutter gelernt (Danke Mama!), meine Träume zu einem gewissen Grad kontrollieren zu können. In guten Nächten kann ich sie vollständig leiten. Das ist bei Albträumen leider eher nicht möglich, denn sie nehmen mich so mit ihrer Angst ein, dass ich nicht klar denken kann. Aber ich kann sie unterbrechen. Ich kann in neunzig Prozent der Fälle aufwachen, wenn ich das möchte. Das macht die Träume erträglicher. Mehr Schlaf bekomme ich leider trotzdem nicht. Denn sobald ich die Augen wieder schließe, werde ich erneut von bösen Gestalten heimgesucht.
Albträume müssen also keinen Bezug zur Traumatisierung haben. Oft haben sie das aber doch. Ein Kriegsveteran träumt von seinem Einsatz in Afghanistan, eine junge Frau von der Vergewaltigung oder ein mittelalter Mann von den Misshandlungen, denen er als Kind ausgesetzt war. Das sind die wirklich schlimmen Träume. Weil sie sich verdammt real anfühlen. Wenn man es schafft, aus diesen Träumen aufzuwachen, gehen sie weiter. Man ist nicht wach. Man zermartert sich das Gehirn, der ganze Körper zittert und alle bis dato wundervollen Therapieerfolge werden erstmal über Bord geworfen. Dieser Zustand kann selbst behandelt Wochen andauern. Oft sind die dementsprechend geprägt von einer noch krasseren Schreckhaftigkeit und Aufmerksamkeit, oder dem Gefühl von Hoffnungslosigkeit und im schlimmsten Fall Suizidalität oder Mordgedanken.
Teilnahmslosigkeit und Freudlosigkeit
Auch diese Begriffe würde ich wohl nicht weiter erklären müssen. Die meisten werden sie kennen. Man hat ein Projekt, das irgendwie nicht vorangeht. In der letzten Klausur hat man 0 Punkte bekommen, obwohl man so viel gelernt hat. Der Ex-Freund hat eine Neue und die sieht verdammt gut aus. Das sind normale Situationen, die zu Freudlosigkeit führen können.
Was aber, wenn sie durch eine Traumatisierung ausgelöst wird? Durch eine Situation, in der man sein eigenes oder das Leben eines anderen bedroht oder sogar ausgelöscht sieht? Traumatisierungen gehen immer einher mit extrem starken Emotionen, Angst, Panik, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und am Ende Abstumpfung. Der Körper und das Gehirn können diese Dinge nicht mehr verarbeiten. Sie sind so stark überfordert, dass sie schlicht aufgeben. Hier setzt die Teilnahmslosigkeit und Freudlosigkeit an.
Wenn man etwas Schreckliches erlebt und daraufhin jeden Tag monatelang von Albträumen, Flashbacks und übersteigerter Vigilanz (also Wachsamkeit) leidet, stumpft das Hirn irgendwann ab. Man kann keine Freunde mehr empfinden. Man sieht etwas wunderschönes, etwas, über das man sich früher bis zum Umfallen gefreut hätte, und man fühlt keine Freude. Man fühlt Trauer. Einen Knoten in der Brust. Oder eben einfach nichts. Die beste Freundin ist schwanger? Nichts. Ein Kollege heiratet? Nichts. Man selbst heiratet? Nichts. Es ist nichts.
Wenn man die Tage über durchschreckt und die Nächte nicht schlafen kann, hat man auch keine Lust mehr auf Hobbys. Oder Freunde. Oder Familie. Man hängt so dermaßen fest in der eigenen kugelrunden Birne und der Vergangenheit, in der das Trauma passiert ist, dass die Gegenwart gar keine Chance mehr hat. Trainingstermine werden verschoben. Dann abgesagt. Arzttermine werden gar nicht erst ausgemacht. Der Friseur wird vergessen, das Duschen, das Zähneputzen, das Leben. Das Einzige, was noch existiert, ist das unverarbeitete Trauma im Kopf.
Das bleibt oft nicht ungesühnt. Freunde wenden sich ab, weil man Treffen verpasst hat und auf Nachrichten nicht mehr reagiert. Machen sie eben was mit anderen. Die Familie hält die „dauernden negativen Vibes“ nicht mehr aus. Man wird ausgeschlossen. Nicht absichtsvoll oder böse gemeint. Man nimmt einfach am Leben anderer nicht Teil. Wie sollte man auch, wenn man am eigenen Leben keinen Anteil mehr hat?
Man merkt also, wie die Umwelt sich immer weiter zurückzieht. Die Einsamkeit überkommt einen, man hat am Ende scheinbar niemanden mehr, mit dem man sprechen kann. Freudvolle Unternehmungen wurden so weit reduziert, dass gar nichts mehr übrigbleibt, über das man sich freuen könnte. Manchmal stellt man sich vor den Spiegel und sieht sich die leere Hülle an, die man geworden ist. Das Gesicht da gegenüber ist fremd geworden. Ausgemergelt, die Augenringe blasslila. Man versucht ein Lächeln, zieht mit aller Kraft die Mundwinkel nach oben und blickt in eine hässliche Fratze. Gott sei Dank ist das ja nicht die eigene.
Flashbacks, Dissoziationen – das ist schlimm. Das kann einen Menschen auffressen. Sie können aber auch relativ selten auftreten. Was ich an meiner PTBS am schlimmsten finde, ist die dauernde Hoffnungslosigkeit. Das Beobachten der Leben anderer und gleichzeitig das Gefühl, das eigene nicht führen zu können. Die Albträume, die mich beinahe jede Nacht in die Verzweiflung treiben, weil ein Organismus eben Schlaf braucht und zwar erholsamen. Die Schreckhaftigkeit und Vigilanzsteigerung, die meinen Cortisolhaushalt vollkommen aus der Bahn geworfen haben, und von denen ich weiß, dass sie mich vorzeitig ins Grab bringen werden. Die Tage, an denen selbst das eigene Kauen einfach zu laut ist. In Filmen und Büchern wird die Posttraumatische Belastungsstörung gerne in heroischen Flashbacks dargestellt. Sie ist aber so viel mehr. Sie ist nicht einfach zehnmal am Tag schreckliche Bilder zu sehen. Sie ist viel mehr. Sie ist so viel tiefer. Und sie ist so viel mehr zum Verzweifeln.
Was will mir der Artikel jetzt sagen?
Eine Posttraumatische Belastungsstörung hat genauso wie jede andere psychische Erkrankung verschiedene Symptome. Die können mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt sein und müssen auch nicht alle dauernd auftreten. Viele dieser Symptome sind unterschwellig, das heißt nicht greifbar, aber trotzdem da. Sie vermitteln das beinahe dauerhafte Gefühl von Ausgeliefertsein, Hoffnungslosigkeit, emotionaler Stumpfheit und Verzweiflung. Gerade weil die Symptome bei der PTBS so massiv sein können, muss sie definitiv therapiert werden. Hier sind auch die letzten verbliebenen Angehörigen von entscheidender Bedeutung, denn Betroffene schaffen oft nicht den Weg zu einem Behandler. Seid da für eure Freunde. Seid da für eure Familie. Seid da für eure Liebsten. Sie brauchen euch. Denn gerade nach einer Nacht voller Albträume und einem Tag voller klingelnder Postboten und an Fenster klopfenden Vögeln, ist das Beste immer noch ein liebevolles Wort, eine gekochtes Lieblingsessen und ein Ohr, das zuhört, ohne zu bewerten. Hört auf eure Lieben. Sie wissen am besten, was sie brauchen.