Kinder schlagen

 „Meine Eltern haben mich auch geschlagen. Hat mir nicht geschadet. Ich war auch ein wirklich freches Kind.“

Solche Aussagen machen mich wütend. Wirklich, richtig wütend, direkt aus der Körpermitte. Wäre ich ein Drache, ich würde Feuer spucken. Gleich zu Beginn möchte ich sagen, dass ich als Kind nie geschlagen wurde. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Und ganz nebenbei: Ich war auch ein freches Kind.

Kinder sind frech. Alle Kinder sind frech. Es gibt keine nicht-frechen Kinder. „Heranwachsende“ heißen so, weil sie noch nicht ganz ausgereift sind, inklusive Gehirn. Der Präfrontale Cortex eines Kindes ist eine Baustelle, sprich, Kinder haben noch keine ausgefeilte Impulskontrolle. Kinder sagen verletzende Dinge. Kinder klettern auf Stühle und springen vom Klodeckel in die Badewanne. Das hat nichts mit frech zu tun. Das ist normal. Das ist – kindisch.

Kinder zu schlagen ist niemals ein Ausdruck von Erziehung, sondern immer von den Problemen der Erwachsenen. Sie sind es, die ihre Angst, ihre Wut oder ihre scheinbare Unzulänglichkeit an ihren Schützlingen auslassen. Kinder provozieren nicht. Kinder sind Kinder. Wenn du diese Situationen nicht anders lösen kannst, ist das deine Schuld, nicht die des Kindes.

„Er hat mich provoziert, da ist mir die Hand ausgerutscht“, ist in meinen Augen eine ziemlich schwache Ausrede. Hände rutschen nicht aus, das machen Füße. Und wenn die Hand schon ausrutschen muss, dann klatsch halt zweimal gegen die Wand neben dem Kind. Oder dreh dich um und geh (außer, wenn du zusammen mit deinem Kind an einer Straße stehst, dann nimm das Kind bitte mit).

Habe ich den Anspruch an mich selbst, meinem Kind gegenüber niemals ausfällig zu werden? Nein. Ich bin ein Mensch, ich mache Fehler. Wenn ich von mir ausgehe, dass ich perfekt bin und eine selige, alles ertragende Mutter, dann belüge ich mich nur selbst. Sollte mir dann doch einmal „die Hand ausrutschen“, müsste ich mir phänomenale Vorwürfe machen. Zu was führen die dann? „Ich bin doch nicht so perfekt! Ich bin eine schreckliche Mutter!“, gefolgt von Selbstvorwürfen, einem schrumpfenden Selbstwirksamkeitsgefühl (ja, das gibt es wirklich, hat was mit Selbstkontrolle zu tun) und folglich mit noch mehr „ausrutschenden Händen“.

Was aber sollte man tun, wenn man dem Kind doch einmal am Arm zieht oder es schief von der Seite anschreit? Entschuldigen. Das Kind hat dich nämlich nicht provoziert. Genauso könntest du sagen, die Sonne hat ja den Sonnenbrand provoziert, dieser dämliche Stern. Dass du auch in den Schatten hättest gehen können, naja, das wäre dann deine Entscheidung gewesen. Wenn du einen Fehler machst, dann hab auch wenigstens die Eier (oder Eierstöcke) in der Hose, dich bei deinem Kind zu entschuldigen. „Es tut mir wirklich leid, dass ich dich am Arm gepackt habe. Ich weiß, dass dir das sehr wehgetan hat und ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Ich war sehr wütend, weil ich gerade sehr viel Stress habe und das habe ich an dir ausgelassen. Möchtest du mir verzeihen?“

Welches Kind sagt da „Nein“? Ehrlich, Kinder wollen nichts mehr, als den Eltern zu gefallen. Dabei besteht zwischen Kind und Bezugsperson ein unsichtbares Band, das man Vertrauen nennt. Dieses Vertrauen basiert nicht auf Macht, sondern auf Liebe. Man muss das Kind also nicht schlagen, um ihm zu zeigen, wer „der Herr im Haus ist“. Die wissen schon ganz genau, dass es Erwachsene und Kinder gibt. Schlagen hat also nichts mit Autorität zu tun, sondern mit Schwäche. Wenn du deinem Kind nämlich nicht anders beibringen kannst, wer die Bettgehzeiten festlegt, dann bist du ziemlich schwach. Punkt.

Was passiert nämlich mit diesem feinen Band namens Vertrauen, wenn eine Bezugsperson das Kind schlägt? Es reißt. Es platzt, zerfetzt sich selbst in der Luft. Mit ihm bricht übrigens auch das Herz des Kindes. Weil mit Schlagen immer ein Stück Liebe mitstirbt. Es geht um die Angst des Kindes, von der wichtigsten Person seines Lebens verletzt werden zu können. Der Mensch, der ihm Schutz und Sicherheit versprochen, ja eigentlich mit der Zeugung geschworen hat, wird zum Täter. Nicht zum Beschützer. Wer kann dem Kind dann noch Sicherheit vermitteln? Das Kind wird unsicher. Mit jedem Schlagen etwas mehr. Und ja, auch schon bei der ersten „rutschigen Hand“ (oder so).

„Du hast mich provoziert“, ist das Grausamste, was man zu einem Heranwachsenden sagen kann. Gerade, wenn das Kind in seinen eigenen Augen absolut nichts falsch gemacht hat („Ich hab doch mein Zimmer aufgeräumt.“), wird es an Selbstbewusstsein einbüßen. Und noch was: Wenn ein Kind dich anschreit, provoziert es dich nicht. Es ist ein Kind. Es hat eine bemerkenswert schwache Impulskontrolle, weil es eben ein Kind ist. Das ist aber kein Grund, zurückzuschreien. Dein Gehirn sollte nämlich inzwischen am maximalen Punkt der neuronalen Verknüpfung angekommen sein. Du bist kein Kind. Merkste selbst, oder?

Kinder testen Grenzen aus. Das ist okay. Das müssen Kinder tun. Es ist genauso gut, Kindern auch diese Grenzen zu vermitteln. „Darf mein Gör jetzt alles machen, was es will, oder was?“ Nein, darf es nicht. Es braucht feste Zubettgehzeiten, es gibt Dinge, die sollte auch ein Kind nicht dauernd sagen, und über das Zähneputzen streiten wir jetzt einfach mal nicht. Grenzen können aber auch anders festgelegt werden als mit Backpfeifen oder Poklopfern. Im letzten Wort steckt übrigens „Opfer“ drin. Denn genau das ist das Kind, wenn es geschlagen wird. Hilflos. Ausgeliefert. Gegen jemanden mit der doppelten Körpergröße kommt der Spross nämlich nicht an. Und warte mal, versuchst du deinem Kind nicht gerade beizubringen, dass es die anderen Kinder oder gar Erwachsene nicht schlagen oder treten soll? Es gibt so einen schönen Begriff, der heißt „Vorleben“. Wäre toll, wenn du das auch in diesem Bereich schaffen könntest.

(Vorsicht, Trigger!) „Mir hat es nicht geschadet“, sagen sie, wenn sie erwachsen geworden sind. Jetzt versetze dich doch bitte noch einmal kurz in die Situation zurück. Wie ging es dir, nachdem du geschlagen wurdest? Hast du gesagt: „Ja, das war gut, danke Mama! Jetzt weiß ich, was ich nicht mehr tun soll, weil ich es verstanden habe, was schlecht an meinem Handeln war.“ Nein. Du hattest Angst. Du hast geweint. Du warst verzweifelt. Du warst wütend ob der Erniedrigung (gerade, wenn Kinder vor anderen geschlagen werden). Und du wusstest überhaupt nicht, warum du bestimmte Dinge nicht mehr tun solltest. Beziehungsweise dachtest du, du springst nicht mehr vom Klodeckel in die Badewanne, weil du sonst eine mit dem Schuhlöffel bekommst. Dass du dir dabei phänomenal das Genick hättest brechen können, das sagen die Eltern nicht dazu. Dass sie Angst um dich hatten, weil sie nicht wollen, dass du dir wehtust, das sagen sie auch nicht. Sie sagen nur: „Bist du bescheuert?“ und klatschen dir eine, aber keinen Beifall, obwohl du so einen tollen Sprung hinbekommen hast.

Erklären. Kinder brauchen Grenzen. Man muss sie ihnen aber auch verständlich machen. Wenn „Ellenbogen auf dem Tisch sind verboten!“ keinen Sinn macht, dann ist die Regel vielleicht auch einfach daneben. Wenn du die Grenzen und Regeln, die du deinen Kindern auferlegst, also nicht in Ruhe erklären kannst, dann solltest du dringend noch einmal über sie nachdenken.

Konsequenzen. Brauchen Kinder. Sie brauchen die kausale Verknüpfung zwischen Aktion und Reaktion. Es gibt aber etwa zigtausende andere Möglichkeiten der Konsequenzen als Schlagen. Die kann man mit dem Kind gerne zusammen ausmachen, die reden nämlich gerne mit. Kinder neigen übrigens dazu, sich selbst härtere Strafen aufzuerlegen als Eltern das tun. Ich selbst habe mal fünf Wochen Fernsehverbot vorgeschlagen (was Gott sei Dank nie eingetroffen ist, so frech war ich jetzt auch nicht). Wichtig ist aber, die Konsequenzen dann auch durchzuziehen. Wenn man das nicht tut, tanzen die Kinder einem auf der Nase rum. Da helfen auch „ausrutschende Hände“ nicht. Konsequenz und Erklären sind aber eben so viel schwerer als einfach mal klatschen (Hand auf Wange, nicht Hand in Hand).

Kinder zu schlagen, ist nie in Ordnung. Punkt. Ausrufezeichen. Kein Fragezeichen. Punkt. Ich weiß, dass Kinder anstrengend sind. Ich weiß, dass sie einen an den Abgrund jeglicher Moral bringen können. Ich weiß aber auch, dass sie das nicht aus Boshaftigkeit oder Absicht tun. Es sind Kinder. Bitte macht sie nicht erwachsener, als sie sind. Das werden sie schon früh genug. Achso, mir ist doch eine Situation eingefallen, in der meine Mutter mit richtig fest am Arm gezogen hat. Ich war gerade dabei, mit kleinen Hopsern auf die Straße zu eiern. Meine Mama hat mich gepackt, richtig fest, und laut „Stopp!“ gerufen. Ich hab geplärrt wie am Spieß. Meine Mama hat sich neben mir gesetzt und gesagt: „Wenn ich Stopp sage, dann ist das Stopp!“ Dann hat sie mir erklärt, warum auf die Straße zu rennen nicht sehr klug gewesen wäre. Ich hab es nie wieder gemacht. Nicht aus Angst vor meiner Mutter, sondern weil ich verstanden habe, dass ich gegen vier Spuren voller Autos nicht ankomme. Ganz einfach.

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