Männerberatung. Was für ein komisches Wort. Männer sind doch auch Menschen, oder? Trotzdem brauchen auch sie perfekt auf sie zugeschnittene Hilfe, wenn der Schuh mal etwas zu fest drückt. Was bedeutet es heutzutage, ein Mann zu sein? Dürfen Männer weinen? Und wenn ja, wie oft und wo?
Dean Perez Peralta, ein Freund und Kommilitone von mir, hat vor einiger Zeit die „Männerberatung – Leipzig“ gegründet. Dort hilft er seinen Klienten auf Grundlage des Systemischen Beratungsansatzes bei verschiedensten Problemen, wie häuslicher Gewalt, familiären Konflikten oder Fragen zur eigenen Identität. Ich hatte die Freude, mit Dean ein Interview führen zu dürfen. Seine Antworten findet ihr in diesem Artikel. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und um die Frage oben noch zu beantworten: Ja, Männer dürfen weinen und zwar so oft sie wollen. Weinen ist eine wichtige Form der Emotionsregulation und absolut normal. Männer mit Taschentüchern an die Macht (neben uns Frauen natürlich)!
Dean, was ist „Männerberatung“ eigentlich?
Puh, das ist eine sehr große Frage und vor allen Dingen eine Frage, mit der wir uns auch selbst weiterhin beschäftigen. Zurzeit steht die Männerberatung deutschlandweit noch in den Kinderschuhen. Wer darf wen beraten? Wozu wird beraten? Reicht die normale Lebensberatung nicht auch? Wenn ich es runterbrechen würde, dann würde ich sagen, es ist ein niedrigschwelliges Beratungsangebot, welches Männern die Chance gibt, über die mögliche Scham- und Angstschwelle zu treten, welche wir oft bei Männern antreffen. Nach dem Motto: Ich brauche nie Hilfe, ich bin doch ein starker Mann.
Männer sind auch Menschen. Warum braucht es trotzdem dieses spezielle Angebot?
Wir haben aus der Männerhausarbeit mitgenommen, dass viele Männer gar nicht auf den Gedanken kommen, dass sie aus den Krisensituationen aussteigen können bzw. es die Möglichkeit gibt, etwas daran ändern zu können. Oft ist den Männern erst durch das Bekanntwerden des Angebots die Not oder der Wunsch bei sich selbst klarer geworden. Kurzum, es braucht dieses spezielle Angebot, um Männern einen Möglichkeiten- und Schutzraum zu bieten, in dem sie über sich selbst reflektieren und konstruktiv mit Krisen umgehen können, der frei von Vorurteilen oder auch Erwartungen ist. Ein Ort, an dem der Mann sein „Mann-Sein“ ablegen kann und trotzdem sicher ist.
Welche Männerklischees herrschen noch immer vor in unserer Gesellschaft?
Es gibt sehr viele Klischees, auf die ich stoße, doch das prägnanteste ist der „Indianer, der keinen Schmerz kennt“. In den Beratungen wird oft alles getan, um eben nicht zu fühlen. Es wird monologisiert, rationalisiert und verdrängt. Ein weiteres, oft auftretendes Klischee ist der „Mann, der doch alles schaffen muss“. Der Mann möchte ein sehr guter Vater sein, ein sehr guter Mann und am besten noch der Alleinernährer der Familie. Ein Konstrukt, das scheitern muss.
Mit welchen Sorgen treten die Männer an Dich heran?
Oft ist es die Sorge, was man als Mann eigentlich wert ist, ob überhaupt gefühlt werden darf. Meist stehen diese Sorgen auch im Bezug zur eigenen, wie auch zur Herkunftsfamilie.
Was genau tust Du bei der Beratung?
Puh, auch wieder eine sehr große Frage, da mein Arbeitsstil sich vor allem durch sehr viele kleine Dinge kennzeichnet. Ich arbeite relativ streng systemisch. Das bedeutet, dass ich ein meist klares Methodenrepertoire habe. Diese Methoden sind bei mir aufgeteilt in Erlebnismethoden, Zirkularität und hypnosystemische Fragetechniken (klingt skurriler als es ist). Meist geht es in diesen Methoden darum, das System des Klienten auszudifferenzieren oder zumindest zu irritieren. Also, aus dem Rahmen des momentanen Problemdenkens rauskommen und neue bzw. gewünschte Möglichkeiten des Lösens schaffen. Grundsätzlich führe ich am Anfang eine Anamnese durch, auch um miteinander warm zu werden. Sprich, ich frage erst einmal danach, wer dort vor mir sitzt, was das Anliegen ist, weshalb er zur Beratung gekommen ist, seit wann die Thematik vorliegt und wer alles daran beteiligt ist. Sofern es keine offenen Fragen gibt, beginnt die Beratung meist auch schon mit einer Zielfindung. Was soll passieren oder sich verändern? Danach folgt dann eine zum Ziel passende Methode.
Wo liegt der Unterschied zwischen Beratung und Therapie?
Die Diskussion ob der Differenzierung in Beratung und Therapie gibt es schon sehr lange und ist leider auch etwas müßig. Abhängig vom Paradigma und auch dem Krankenwesen, gibt es dazu unterschiedliche Standpunkte. Oft gilt die Beratung als „kleine Therapie“, oder es wird gesagt, dass Beratung sich nicht mit konkreten Krankheitsdiagnosen beschäftigen darf. Meine persönliche Meinung ist jedoch, dass es eine künstliche, vielleicht sogar eher politische Trennung ist. Auf professioneller Ebene entziehe ich mich dieser Diskussion ein Stück weit. Das systemische Paradigma lehnt den Krankheitsbegriff als solches ab, sondern unterstellt einer Störung stets auch eine sinnvolle Funktion. Somit existiert psychische Krankheit eher nicht.
Was ist ein „Systemischer Ansatz“? Wo liegen die Vorteile?
Der „Systemische Beratungsansatz“ bedeutet für mich, dass ich meine Techniken und Methoden in einen theoretischen Kontext setze. Ich berate also nicht nur aus dem Bauch heraus, sondern verorte mich mit meinen Handlungen in einem Rahmen, welcher konkret die Systemtheorie ist. Intuition ist eine wichtige Komponente im psychosozialen Kontext, doch ist es mir wichtig, ein gutes Konstrukt an der Hand zu haben, an dem ich die Beratung kritisch reflektieren kann. Der Vorteil des Systemischen Ansatzes ist für mich wiederum, dass ich mich in der Beratung vom Konzept der Kausalität ein stückweit verabschieden kann. Als leicht abstraktes Beispiel: Viele Klienten kommen mit dem „Henne oder Ei“-Problem zu mir. Sprich: „Wer hat Schuld?“ Meine Frage an den Klienten ist in diesem Fall meist: „Geht es wirklich um Henne oder Ei oder könnte es um eine Geburt gehen?“ Ebenso gehört für mich der Konstruktivismus zu diesem Ansatz. Für mich bedeutet das, dass alles, was auf der Interpretationsebene passiert, lediglich eine Möglichkeit der Interpretation ist. Liegt oder steht der Tisch auf seinen Beinen?
Wie lange dauert eine Beratung bei Dir (pro Sitzung und insgesamt)?
Für gewöhnlich dauert eine Sitzung 45 – 55 Minuten. Ich beende ungerne Sitzungen, wenn es gerade sehr intensiv ist, auch einfach aus Respekt dem Klienten und der möglichen Veränderung gegenüber. Ein kompletter Beratungsprozess nimmt meist fünf bis zehn Sitzungen ein. Das ist aber auch stark abhängig vom Klienten. Bei manchen platzt der Knoten nach drei Sitzungen und dann darf das auch gerne zu Ende sein. Bei manchen dauert es wesentlich länger. Im Allgemeinen mache ich nach fünf Sitzungen einen Zwischenstand. Ist das Ziel erreicht und wie soll es weitergehen? Nach zehn Sitzungen empfehle ist dann meist eine Pause, um Platz für Veränderungen und Entwicklungen zu lassen.
Ist so eine Beratung (weil nicht von der Krankenkasse bezahlt) teuer?
Das kommt leider ganz darauf an, was der Berater als Honorar möchte oder ob er festangestellt ist und ob die Beratungsstelle gefördert wird. Wenn der Berater freiberuflich tätig ist, hängt es davon ab, wie lange die einzelne Sitzung dauert, wie viel Miete der Berater zahlen muss und was er letztendlich verdienen möchte. Bei uns in der Beratung fällt zum Beispiel der Mietaspekt großteils weg, da die Beratung in den Räumen des „LEMann e.V.“ stattfinden kann. Hinzu kommt, dass wir ein flexibles Zahlungssystem nutzen, um eben die Zugangsschwelle so niedrig wie möglich zu halten. Um konkrete Zahlen zu nennen, kostet eine Sitzung etwa 20-60 Euro.
Wie kann man Kontakt mit Dir aufnehmen und wo ist Deine Einrichtung zu finden?
Kontakt kann man recht einfach aufnehmen. Auf der Internetseite männerberatung-leipzig.de kann man unter „Kontakt“ die entsprechende Telefonnummer finden, anrufen, eine SMS schreiben oder auch das E-Mail-Formular nutzen. Die Räumlichkeiten des „LEMann e.V.“, und somit auch der Beratung, befinden sich im Haus der Demokratie, in der Nähe des Connewitzer Kreuzes in Leipzig.
Am Ende möchte ich mich noch für die Fragen bedanken, da mit jeder Frage, die an mich und die Männerberatung – Leipzig gestellt wird, die Beratung selbst wächst und sich reflektiert. Daher Danke für Deine und Eure Fragen!
Natürlich möchte ich mich an dieser Stelle auch noch bei Dir, lieber Dean, bedanken für Deine ausführlichen Antworten und für die Arbeit, die Du leistest. Leute wie Du, ihr seid es, die die Welt zu einem besseren Ort machen. Ich wünsche Dir alles Gute für Deine Männerberatung und allen Deinen Klienten viele Erkenntnisse!
Falls bei Euch Lesern jetzt doch noch die eine oder andere Frage aufgetaucht ist, könnt ihr sie mir gerne zuschicken. Oder ihr meldet Euch direkt bei Dean, ihr wisst ja jetzt, wie das möglich ist ;).
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Den "LEMann e.V." findet ihr hier: