Von Behinderung und Steinen im Weg

Vor kurzem sagte ich zu meinem Mann in absoluter Resignation: „Zuerst legt dir das Leben Steine in den Weg und dann bewerfen dich andere Menschen noch mit Felsbrocken, weil sie Angst haben, dass du es zu leicht hast.“ So in etwa ist das, wenn man eine deutliche Einschränkung hat.

Mein Antrag auf Nachteilsausgleich an der Uni wurde abgelehnt. Nein, er wurde gar nicht abgelehnt, er wurde mir in einer Form bewilligt, die meinen Nachteil nicht ausgleicht. Warum mich das noch wütender macht? Es ist eine Sache, dumme Entscheidungen zu treffen, gegen die man eindeutig vorgehen kann. Es ist eine ganz andere Sache, Anteilnahme und Hilfsbereitschaft zu heucheln, während man noch mehr Steine in den Weg schaufelt.

Mir steht aufgrund meiner chronischen Erkrankung ein Nachteilsausgleich für Prüfungen zu. Nach der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, darf ich wie jeder gesunde Mensch auch studieren. Ich darf aufgrund meiner Einschränkung nicht diskriminiert oder benachteiligt werden. Also muss irgendwie dieser Nachteil, muss irgendwie diese Einschränkung ausgeglichen werden. Soweit, so gut.

Leider gibt es keine rechtlichen Vorgaben, wie dieses Ausgleichen aussehen soll oder kann. Behörden und Institutionen haben einen Spielraum von hier bis zum Ende des Universums. Sie müssen dir eigentlich irgendeinen Ausgleich anbieten, aber ob der dir überhaupt zusteht, das musst du ja erst mal eindeutig beweisen und wie der dann aussieht, das kann die Institution nach eigenem Ermessen entscheiden. Und dann sagen sie: „Du bekommst ja was, sei dankbar!“ und dann sagst du: „Aber das hilft mir nicht!“ und dann sagen sie: „Das ist dein Problem.“

Wenn es um Inklusion geht, ist fast alles mehr Schein als Sein. Es steht überall groß drauf (Ich sag nur „Aktionsplan Inklusion“) und ab und an wird mal eine Person, die im Rollstuhl sitzt, für irgendeine Image-Kampagne ausgenutzt und darf eine Rollstuhlrampe einweihen, die da vor zwanzig Jahren schon hätte sein sollen und die viel zu steil ist für eine Person, die im Rollstuhl sitzt. Aber Inklusion!

Und ganz oft heißt es, dass Inklusion in diesem ganz konkreten, speziellen und individuellen Fall halt leider aus diesen und jenen Gründen ganz leider absolut nicht möglich ist, weil keine Kapazitäten und keine Möglichkeit und Altbautreppe, an der man keinen Lift anbringen kann, und genau dieses ganz spezielle autistische Kind können wir leider in unserer Schule nicht aufnehmen, weil gerade wir dafür gar nicht geeignet sind und das tut uns natürlich sehr leid, aber machen Sie doch bitte von außen die Tür zu und rufen Sie nie wieder an.

Inklusion ist nicht so schwer. Ehrlich nicht. Es wird nur dann schwer, wenn man es eigentlich nicht will. Es gibt ja Sonderschulen, die sind perfekt für ganz besondere Kinder, die dürfen da ja sogar in die Schule gehen und lesen lernen! Und in Behindertenwerkstätten sind die armen Seelen doch viel besser aufgehoben, weil die auf dem ersten Arbeitsmarkt gar nicht klarkommen würden mit diesen kapitalistischen Gewohnheiten! Und Rollstuhlrampen sind doch viel zu schwer zu bezwingen für Rollstuhlfahrer, die sollten besser einfach zu Hause bleiben, da ist alles ganz erholsam und ruhig und die armen Leute müssen sich nicht so aufregen.

Und man soll immer dankbar für das sein, was man bekommt. Nachteilsausgleich? Reine Kulanz. Schwerbehindertenausweis? Na, also da müssen wir mal genau schauen, ob das nicht ausgenutzt wird. EU-Rente? Sozialschmarotzer!

Habt ihr Gesunden vielleicht mal eine Sekunde darüber nachgedacht, ob wir das überhaupt wollen? Wir können gerne tauschen. Ihr hockt euch den ganzen Tag an irgendwelche Anträge, natürlich zusätzlich zu der bescheuerten Erkrankung, wegen der man diese ganzen Anträge ja ausfüllen muss. Ihr bekommt die Symptome, die Tabletten mit den ganzen Nebenwirkungen und gratis dazu noch das Gefühl, unnütz, ungewollt und eine Belastung zu sein! Das ist wie „Spiel des Lebens“, nur auf schwerster Stufe und alle würfeln dauernd 6er und ihr halt nur eine 1. Dann fängt eure Figur an zu brennen. Wir können gerne tauschen.

Ihr könnt euch gerne von Behörden gleich bei der Begrüßung folgenden Satz anhören: „Wir müssen ja erst einmal prüfen, ob das alles stimmt, was Sie hier erzählen. Sie müssen das verstehen, es gibt so viele, die das ausnutzen wollen.“ Klar. Wer macht das nicht, wenn ihm langweilig ist? Man kann’s ja mal probieren, als absolut gesunder Mensch einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Ich hab samstags auch Langeweile und dann passiert so was einfach.

Nächtelang googelt man seine Rechte, denkt sich: „Wow, das ist aber super, dass es das gibt!“ Dann stellt man einen Antrag, der mit den charmanten Worten: „In Ihrem Fall leider nicht möglich. Zahlen wir nicht. Weil halt.“ Abgelehnt wird. Und dann merkt man, dass die ganzen tollen Rechte absolut schwammig formuliert sind und die Behörde schon Recht hat mit der Ablehnung und man selbst absolut keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Und dann merkt man, dass die ganzen Rechte schon toll sind, aber von Behörden eben absolut anders ausgelegt werden – selbstverständlich zum eigenen Vorteil. Und dann heult man halt eine halbe Stunde.

Ich glaube, unsere Gesellschaft hat ein fundamentales Problem: Sie will keine behinderten Menschen, kann sich das aber selbst nicht eingestehen und tut dann halbherzig so, als läge ihr Inklusion am Herzen – aber nur auf dem Papier, weil wenn man dann selbst damit konfrontiert wird, ist das ja alles viel zu aufwändig und teuer!

Bei Nachteilsausgleichen in der Uni könnte das so einfach sein. Wenn der Prüfungsausschuss einen Antrag ablehnen will, gibt es erst mal ein persönliches Gespräch mit dem/der Betroffenen, in welchem der/die Studierende in eigenen Worten erklären kann, warum die Prüfungsleistung im vorgesehenen Umfang nicht möglich ist. Dann hätte der Prüfungsausschuss die Möglichkeit, das zu verstehen, was im Antrag und dem ärztlichen Attest vielleicht nicht so eindeutig dargestellt war. Außerdem wäre es schön, wenn die Uni die Verpflichtung hätte, ärztlichen Attesten Glauben zu schenken. Die können die nämlich einfach ignorieren und pauschal in Frage stellen – ohne selbst über medizinische oder psychologische Fachkenntnisse zu verfügen. Es könnte strengere Vorgaben geben, wann welcher Nachteilsausgleich verpflichtend ist. Und es könnte überhaupt über die Möglichkeit aufgeklärt werden, einen Nachteilsausgleich zu beantragen. Schön wäre es auch, wenn es eine verpflichtende Vorgabe gäbe, wann ein Bescheid über einen Nachteilsausgleich den/die Studierende/n zu erreichen hat. Ich hätte morgen eine Prüfung – und noch immer keine Aussage darüber, wie diese Prüfung aussehen wird. Rein rechtlich können die mir den Bescheid fünf Minuten vor der Prüfung in die Hand drücken. Ironisch? Absolut. Ich habe selten so viel gelacht wie über Behördenschreiben. Gelacht und geheult.

Wir sind behindert und wir sind da. Kommt damit klar. Ihr könnt uns nicht mehr in irgendein Heim oder eine dunkle Ecke abschieben und uns verleugnen oder diskriminieren. Weil wir eine Stimme haben und diese auch endlich benutzen. Wir brauchen eine bessere Inklusion. Wir brauchen verpflichtende Vorgaben in mehr Bereichen. Wir brauchen eine stärkere, politische Lobby, die auch ernstgenommen wird. Wir brauchen mehr offizielle Stellen, die auf unserer Seite kämpfen. Wir sind hier und wir haben Rechte. Ihr könnt uns nicht abschieben oder ignorieren. Weil ihr endlich einsehen müsst, was für ein riesen Potential in uns schlummert.

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