1. „Das ist doch nur ein bisschen quatschen“
Klar, und nach der Knie-OP Physiotherapie machen ist ja auch nur Laufen. Mal ehrlich, Leute, ich gehe da nicht hin, um über mein verregnetes Wochenende oder den verbrannten Kuchen zu labern. Ich rede über Traumatisierungen. Über die tiefsten Abgründe meiner Seele, meiner Vergangenheit und meiner Gegenwart. Ich stelle mich nicht nur meinen größten Ängsten, sondern mir selbst. Das als „ein bisschen quatschen“ zu bezeichnen, ist ein Tritt gegen das Schienbein (gegen deins, wenn du das nochmal sagst). Nach jedem einzelnen Therapiegespräch lege ich mich den restlichen Tag in mein Bett, weil ich vollkommen fertig bin. Deswegen sollte man mich auch nicht direkt danach fragen, was ich besprochen habe. Ich weiß es nicht. Mein Hirn ist Matsch. Von dem „bisschen Quatschen“.
2. „Du liegst da auf ‘ner Couch, oder?“
Tatsächlich lag ich noch nie bei einem Therapiegespräch irgendwo. Ich sitze. Zumeist auf Stühlen oder Sesseln. Das mit dem Auf-der-Couch-Liegen kommt aus der frühen Phase der Psychoanalyse, vom Urvater Freud persönlich. Bei der Verhaltenstherapie z.B. sitzt man aber dem Therapeuten gegenüber. Da merkt man dann auch besser, ob der gerade am Einschlafen ist oder die ganze Zeit auf die Uhr schaut. Tatsächlich saß ich auch mal auf ‘ner Couch, aber die war unbequem wie Hölle. Ich mag Sessel lieber und auch die aufrechte Position gefällt mir eher.
3. „Der Therapeut macht ja auch nicht mehr als ‚Hmm‘ und ‚Aha‘ zu murmeln.“
Das sehe ich als katastrophale Verkennung des Therapeutenberufs. Wer sowas denkt, sollte mal eine Woche in einer Psychotherapeutischen Praxis hospitieren. Was Therapeuten tatsächlich alles machen, würde hier den Rahmen vollkommen sprengen. Nur so viel: Es ist anstrengend. Denn der Seelenklempner muss nicht nur zuhören, er muss einordnen, erkennen, nachhaken, Schlüsse ziehen und aus diesen Schlüssen wiederum Schlüsse ziehen. Er muss einen Therapieplan erstellen, ihn zusammen mit dem Patienten durchwandern und am Ende evaluieren. Er muss Anträge stellen, Beurteilungen schreiben, Tests auswerten, sich mit Angehörigen herumschlagen, mit Chefs, Krankenkassen, Ehepartnern. Ich habe einen riesen Respekt vor Therapeuten.
4. „So ein bisschen Labern heilt doch keine Krankheit.“
Du kannst eine Krankheit ja auch nicht „weglabern“. Behauptet auch keiner. Therapie ist aber (wie oben beschrieben) auch nicht einfach nur Labern. Bei einer Angststörung ist das Mittel der Wahl häufig eine Exposition, also ein Aussetzen mit dem Angstreiz. Es gibt Hausaufgaben, Übungen, Tipps und bei manchen auch Medikamente. Über das „Labern“ kann man allerdings viele „Krankheitsherde“ und Ursachen herausfinden, die man gezielt angehen kann. Außerdem fehlt vielen Patienten tatsächlich das im Leben: Jemand, bei dem man sich auslabern kann, ohne unterbrochen oder korrigiert zu werden. Das kann mich zwar nicht heilen, aber es fühlt sich verdammt gut an und es hilft.
5. „Zum Therapeuten zu gehen ist doch nur ‘ne Ausrede, wenn man nicht arbeiten will.“
Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!!!!!1!!elf!! Nein. Ich gehe nicht zum Therapeuten, weil ich keinen Bock auf Arbeiten oder Uni habe. Das ist nicht so wie bei den meisten Arbeitstätigen, dass ich nach einer durchzechten Nacht ein Attest brauche. Die darf ein Psychotherapeut nämlich gar nicht verteilen. Klar, es gibt auch die Fälle, in denen Arbeitnehmer aus Bequemlichkeit gerne Arbeitsunfähigkeit ausgestellt bekommen möchten. Das allerdings der Mehrheit zu unterstellen, ist nicht nur unfair und widerlich, sondern gefährlich. Denn durch solche dummen Einstellungen trauen sich viele nicht, zum Therapeuten zu gehen. Zu sehr fürchten sie, als Trittbrettfahrer oder Ausnutzer des Systems zu gelten. Du bist aber kein Ausnutzer des Systems, wenn du dich wegen einer Erkrankung in Behandlung begibst. Wer das behauptet, hat die Welt nicht verstanden. Tatsächlich müssen Menschen mit psychischer Störung sehr stark für sich selbst kämpfen, damit sie überhaupt etwas bekommen. Anträge stellen, die Ablehnung des Antrags ertragen, in Berufung gehen, Fachartikel lesen, sich im schlimmsten Fall einen Anwalt nehmen. Uns wird nichts geschenkt. Erspart uns wenigstens die dummen Sprüche.