Was Unis für psychisch Kranke tun können

Ich sitze im Seminarraum. Mir gegenüber zwei Mitstudenten, links neben mir vier, vorne am Pult der Prof. Er erzählt etwas. Ich höre nichts. Ich versuche, mich zu konzentrieren, aber mein Herz schlägt zu laut. Mein Kopf ist ein Schwamm, nur leider schon zu voll, um noch mehr Reize zu verarbeiten. Der Typ auf der anderen Seite des Raums lässt dauernd seine Füße über den Boden schleifen. Ich will ihn anschreien, dass er das lassen soll. Ich will mich auf dem Boden zusammenkrümmen, mir die Hände auf die Ohren pressen und laut schreien. Es ist Montag, 13.45 Uhr, Raum 4/202, ich habe eine PTBS.

Derzeit studieren etwa 2,8 Millionen Menschen an deutschen Hochschulen. 20 bis 25 % von ihnen leiden unter einer oder mehreren psychischen Erkrankungen. Das sind knapp eine halbe Million Studenten, die jeden Tag um mehr kämpfen, als gute Noten. Sie kämpfen um ihr Leben, ein lebenswertes Leben, gegen innere Dämonen, Schlafstörungen, Angstzustände, Suizidgedanken oder selbstzerstörerische Kopfinhalte.

An vielen Universitäten unseres Landes gibt es inzwischen Hilfsangebote für diese relativ große Gruppe von Studenten. Die Behindertenbeauftragten nehmen sich unser an, verständnisvolle Profs haben ein offenes Ohr, Mitstudenten reagieren nicht mehr so oft mit Unverständnis oder Abweisung. Trotzdem ist das Thema „Psychische Gesundheit“ noch immer ein Tabuthema und mit Stigmatisierung und Ausgrenzung verbunden. Denn es gibt auch die Profs, die psychische Erkrankungen als Faulheit abstempeln.

Was aber können Universitäten (und auch Schulen oder Arbeitgeber) für Menschen mit Depressionen, Angststörungen, Traumafolgestörungen oder psychotischen Störungen tun? In den letzten Wochen habe ich meine Uni mal genau beobachtet und mir eine Liste mit Dingen angelegt, die ich mir wünschen würde.

 

Rückzugsorte schaffen

In der Situation, die ich eingangs beschrieben habe, wollte ich gerne heraus. Ich wollte mich zurückziehen, kurz Luft holen, um mich dann wieder ins Getümmel zu stürzen. Ich wollte aber nicht aufstehen. Das wäre doch peinlich! Dann hätte ich mich noch rechtfertigen müssen und wo hätte ich überhaupt hingehen sollen? In der Cafeteria saßen zu diesem Zeitpunkt dutzende Studenten, auch auf den Toiletten war Publikumsverkehr, andere Seminarräume besetzt. Ich hätte das Gebäude verlassen können, aber auch vor den Türen standen quatschende Grüppchen. Niemand wirft ihnen das vor. Ich kann Menschen nicht daran hindern, anwesend zu sein.

Trotzdem habe ich mir schon oft einen Rückzugsraum gewünscht. Es müsste nicht einmal ein besonders großer Raum sein, es müsste nicht einmal etwas darin stehen. Ein Sofa vielleicht. Mir würde aber wie gesagt einfach ein leeres Zimmer reichen, in dem ich kurz wieder zu mir selbst finden kann. Der Raum wäre nicht als allgemeiner Aufenthaltsraum gedacht, sondern nur für Studis in akuter Krisensituation. Denn häufig gehe ich nicht zu den Seminarsitzungen oder Vorlesungen, weil ich weiß, dass ich keine Ruhe finden werde. Ein Ruheraum könnte hier deutlich Abhilfe schaffen.

 

Teilzeitstudium einführen

Wer sich mal mit Studenten mit chronischen Erkrankungen auseinandergesetzt hat, versteht diesen Punkt. Ein Teilzeitstudium ist nur dann möglich, wenn man nebenbei arbeiten geht. Für einen Menschen mit chronischer körperlicher oder psychischer Erkrankung ist es aber beinahe unmöglich, das Studium in Regelstudienzeit abzulegen. Und warum auch? Wieso sollte jemand mit Beeinträchtigung das Studium genauso schnell abschließen können wie jemand Unbeeinträchtigtes? Das ergibt schlicht keinen Sinn. Ich kann pro Semester nicht vier Vorlesungen und zwei Seminare besuchen, um am Ende des Semesters noch sechs Prüfungen abzulegen. Ich schaffe vielleicht die Hälfte. Das liegt nicht an Faulheit oder Desorganisation, sondern schlicht an meiner Krankheit.

Studenten mit chronischen Erkrankungen (und ich rede hier bewusst nicht nur von psychischen Krankheiten) werden einfach noch immer nicht ausreichend an Universitäten gesehen. Natürlich kann man sich ein Urlaubssemester nehmen, wenn es einem akut nicht gut geht. Bei chronischer Erkrankung ist das aber witzlos. Ich könnte mir jedes Semester ein Urlaubssemester nehmen. Dass ich das nicht tue, ist logisch. Trotzdem ist die Abbruchquote bei Studis mit Erkrankung deutlich höher als bei solchen ohne. Warum? Weil ihnen schlicht nach hinten die Zeit wegrennt. Ein Teilzeitstudium könnte hier extrem viel Druck herausnehmen.

 

Gesprächsräume bieten

Mir fällt es selbst jetzt nach meinem öffentlichen Coming Out noch sehr schwer, auf Dozenten zuzugehen, um ihnen zu erklären, warum ich so oft abwesend bin. Ich weiß einfach nicht, wie ich das anfangen soll, wem ich Bescheid geben sollte und so weiter. Außerdem habe ich erst im achten Semester (!) erfahren, dass es jemanden gibt, der für uns zuständig ist – es gibt nämlich eine Beratung für Studierende mit Beeinträchtigung. Hat mir vorher keiner gesagt. Die Beraterin dort hat mir am meisten geholfen, denn sie hat mir erklärt, wie ich einen Nachteilsausgleich beantragen oder wie ich Fachsemester streichen lassen kann. Diese Gesprächsangebote werden noch viel zu wenig kommuniziert.

 

Vernetzung ermöglichen

Wenn man davon ausgeht, dass 20 % der Studenten an meiner Universität unter einer psychischen Störung leiden, wären das 2.227 Studis. Kennen tue ich von denen keinen einzigen. Warum eigentlich? Gerade Betroffene von psychischen Erkrankungen brauchen das Gefühl, nicht alleine zu sein. Eine Vernetzung oder ein Austausch unter Studis wäre also sinnvoll. Es muss ja nicht gleich ein komplettes Therapieangebot etabliert werden, aber eine Selbsthilfegruppe zum Beispiel wäre eine kleine Hilfe, um sich auszutauschen. Wie hast du den Nachteilsausgleich durchbekommen? Mit welchen Profs kann man gut reden, bei wem sollte man eher die Klappe halten? Was machst du, wenn du bei einem Seminar nicht anwesend sein kannst? Wer kennt einen guten Therapeuten oder Psychiater in der Stadt?

Aber auch die Vernetzung mit Dozenten wäre wünschenswert. Es könnte zum Beispiel ein Konzept entwickelt werden, bei dem sich Dozenten freiwillig als Ansprechpartner des Instituts anbieten. So wäre die Hemmschwelle für ein Coming Out viel niedriger. Diese Dozenten könnten dann auch unbürokratischer vermitteln, sollte es doch aufgrund der Erkrankung mal zu einem Konflikt mit einem anderen Dozenten oder Prof kommen. Man hätte einfach jemanden vor Ort, auf den man sich verlassen kann und der auf meiner Seite steht.

 

Öffentlichkeitsarbeit betreiben

Jährlich begehen in Deutschland knapp 10.000 Menschen Suizid, 100.000 versuchen es. Darunter sind auch verdammt viele junge Leute oder Studenten. Die Universität ist für viele Jahre die wichtigste Bezugsinstanz für einen Studenten. Deshalb ist gerade hier Aufklärungsarbeit so enorm wichtig. Vorträge, Artikel in Unizeitungen, Plakate – all das lenkt die Aufmerksamkeit auf das Tabuthema „Psychische Erkrankungen“. Für Betroffene, die sich nicht trauen, über sich selbst zu sprechen oder die sich noch nicht sicher sind, ob sie überhaupt betroffen sind, wäre das eine große Hilfe. Sie würden aus dem Schweigen herausgeholt werden.

Und auch für Nicht-Betroffene ist Öffentlichkeitsarbeit von Bedeutung. Stigmatisierung und Diskriminierung erwachsen aus Unwissenheit. Durch Aufklärung können diese Dinge verringert werden. Suizidale sind nicht melodramatisch. Depressive sind nicht faul. Studis mit Angststörung reden sich nicht raus. Das, was in der Gesellschaft an sich fehlt, nämlich großangelegte Aufklärung, ist auch an deutschen Hochschulen unterrepräsentiert. Denn immerhin ein Viertel der Studenten leidet unter einer psychischen Erkrankung. Nehmen wir sie endlich ernst.

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