Wo werden psychisch Kranke ausgegrenzt?

Eine psychische Erkrankung ist schwer zu ertragen, vor allem, wenn sie akut sehr schlimm ist oder einen chronischen Verlauf hat. Die Gesellschaft macht es uns dabei nicht unbedingt einfacher. Hier ein paar Beispiele, bei denen es eine systematische Benachteiligung von Menschen mit psychischen Erkrankungen gibt.

 

Versichert sein schön und gut

Die gesetzliche Krankenversicherung kann uns eigentlich niemand wegnehmen. Mit der müssen wir uns zwar auch oft um Therapiekontingente und Finanzierung von Hilfsmitteln (Ich sage nur Assistenzhund) prügeln, aber immerhin dürfen wir in dem Club bleiben. Bei anderen Versicherungen sieht das schon ganz anders aus. Berufsunfähigkeitsversicherung? Nice try. Lebensversicherung? Haha, klar! Krankenhauszusatzversicherung? Nope. ZAHNZUSATZVERSICHERUNG? Gut, das habe ich noch nicht probiert. Aber ansonsten stehen wir auf dem privaten Versicherungsmarkt ziemlich schlecht da. Hat mein Mann zu gesagt: „Klar, wer will schon jemanden versichern, der bereits erkrankt ist?“ Habe ich geantwortet: „Was meinst du denn, wofür Versicherungen da sein sollten? Richtig, für Kranke.“ Wieso dürfen sich Versicherungen die gesunden Leuts raussuchen und die kranken dürfen irgendwie alleine klarkommen? Da warst du einmal mit zwölf Jahren in einer Klinik, um deine Anorexie zu besiegen, hast du schon keine Chance mehr. Dabei warst du doch DAMALS in der Klinik, damit du die Krankheit in ZUKUNFT nicht hast. Trotzdem. Schicksal? Dein Problem. Sobald du einmal einen Therapeuten besucht hast, reicht das eigentlich schon aus. Ach ja, eine Verbeamtung kannst du dir dann auch in die Haare schmieren. Wozu das führt? Menschen, die eigentlich dringend Hilfe benötigen, weil sie eine normale Erkrankung haben, suchen sich aus Angst keine. Wer will sich schon mit einer Psychotherapie die Zukunft versauen? Und mal so nebenbei: Ein Drittel der Menschen machen im Laufe ihres Lebens eine psychische Erkrankung durch. Da ist es doch eigentlich egal, ob ich die vor Berufsantritt hatte oder erst mit Mitte vierzig, oder? Leidest du aber bereits in jungen Jahren unter einer psychischen Erkrankung, hast du mehr oder weniger in einigen Dingen keine Chance mehr. Ist das fair? Nein. Passiert es trotzdem? Willkommen in unserer Gesellschaft.

 

Wer will denn schon arbeiten?

Was hört man als Mensch mit psychischer Erkrankung als Erstes, wenn man erzählt, dass man sich irgendwo beworben hat? „Aber sag da bloß nichts von deiner Erkrankung, sonst kannst du die Stelle vergessen!“ Eine Verwandte von mir hat das noch weitergetrieben. Sie riet mir, mich nicht mit einem Nachteilsausgleich für meine Abiturnote an der Uni zu bewerben, weil das ja da vermerkt wird und sicher irgendwie auf ominöse Art und Weise meinen zukünftigen Arbeitgeber erreichen wird. Aber wie soll das denn weitergehen? Entweder meine Erkrankung hat keinerlei Einfluss auf meine Arbeit, was ich in der Probezeit ja hinreichend beweisen kann, oder sie hat einen Einfluss und dann muss mein Arbeitgeber das auch wissen. Wieso sollte ich das also verschweigen? Ich studiere seit 6 Jahren im Bachelor. Jeder Personaler wird da gezielt nachfragen. Soll ich lügen? Bin ich richtig schlecht drin. Soll ich Ausreden suchen? Nicht mein Stil. Soll ich die Wahrheit sagen und die Stelle dann gegebenenfalls nicht bekommen? Vermutlich. Kein Wunder also, dass ziemlich viele Menschen mit psychischer Erkrankung wo landen? In Behindertenwerkstätten. Kein Scherz. Keine Pointe. Ja, das tut weh. Jeder fünfte Beschäftigte in einer WfbM hat eine psychiatrische Erkrankung. Dort dürfen wir für einen Hungerlohn niederste Aufgaben verrichten und sollen dafür dankbar sein. Die Würde des Menschen ist unantastbar? Sowas von 1949. Dabei könnte eine geregelte, wertschätzende und sinnstiftende Arbeit sogar gut für die Psyche sein und bei der Genesung helfen. Es ist kein Wunder, dass immer noch sehr viele an ihrem Arbeitsplatz ihre psychische Erkrankung verheimlichen, aus Angst vor Sanktionen oder Stigmatisierung. Übrigens: Eine Studie der Agentur für Arbeit hat gezeigt, dass etwa 1/3 der Hartz-IV-Bezieher unter einer psychischen Erkrankung leiden. Psychisch krank zu sein führt mehr oder weniger in sehr vielen Fällen direkt in die Arbeitslosigkeit, die Armut und die Isolation. Und je länger die Arbeitslosigkeit anhält, umso mehr verschlechtert sich oft die Erkrankung. So kann es nicht weitergehen.

 

Medizinische Versorgung

Wenn ich noch einmal höre, dass „das psychosomatisch ist“, springe ich psychosomatisch an die Wand. Wisst ihr was? Schwedische Forscher haben herausgefunden, dass Menschen mit psychischer Erkrankung auch einen Körper haben und krank werden können – und zwar so richtig echt, so körperlich und so. Ich will hier definitiv nicht alle Ärzte über einen Kamm scheren, aber es gibt schon ziemlich viele, die die Psychosomatik grundsätzlich als Ausrede benutzen, wenn sie keine Ahnung haben, welche Diagnostik sie veranschlagen sollen. Wisst ihr, was bei mir schon alles psychosomatisch sein sollte? Mal schauen: Meine chronische Magenschleimhautentzündung, meine Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung, die ich seit frühester Kindheit habe), eine Mandelentzündung, meine Endometriose und meine Kaseinintoleranz. Das Problem dabei besteht vor allem darin, dass ohne hinreichende Diagnostik auch keine Therapie erfolgt. Eine ehemalige Mitpatientin von mir aus der Klinik 2012 ist irgendwann nur noch ohne Überweisungsschein zu Fachärzten gegangen, weil ihr Hausarzt ihr bei „Diagnose“ immer die Depression mit reingeschrieben hat. Nach fast einem Jahrzehnt und viel Streit hat mal einer herausgefunden, was ihr überhaupt fehlt: Die Arme litt seit Ewigkeiten unter Rheuma. Schmerzen? Und jetzt alle zusammen: Psychosomatisch! Ein Hoch an dieser Stelle auf meinen tollen Hausarzt, dem ich im zweiten Gespräch bereits beichtete, dass ich unter einer PTBS leide, und der in meiner Anwesenheit noch nie das Wort „Psychosomatisch“ verwendet hat.

 

Teil der Gesellschaft? Ja, aber halt am Rand.

Rein theoretisch dürfen wir alles machen, was andere Menschen auch tun. In manchen Bereichen werden Personen mit psychischer Erkrankung aber grundsätzlich ausgeschlossen oder haben es deutlich schwerer. Wir müssen dauernd über Grundsätzliches diskutieren, uns verteidigen oder erklären und das nervt ziemlich. Denn diese Energie könnten wir auch genauso gut für unsere Genesung oder unseren normalen Alltag verwenden. Und weil wir angeblich (!) nicht so viel leisten wie der Rest der Gesellschaft, werden wir eben abgeschoben – in Behindertenwerkstätten, in unverschämte Versicherungsverträge (wenn wir überhaupt einen bekommen) oder weg aus der Arztpraxis. Dabei betrifft das Grundgesetz auch uns: Freie Berufswahl, freie Persönlichkeitsentfaltung, Würde und so ein Quatsch – das gilt alles auch für Menschen mit Behinderung oder Erkrankung. Sollten die Leute mal etwas länger drüber nachdenken. „Strukturelle Diskriminierung“ nennt man das übrigens und die ist rein theoretisch strafbar.

Triggerwarnungen - sinnvoll?

Triggerwarnungen. Ein Thema, bei dem sich die Meinungen in zwei Lager teilen: „Ja, bitte“ und „So ein Quatsch“. Ich persönlich bin tatsächl...